Meinung zur Aktienrente

Riskantes Spiel mit der Altersvorsorge

Illustration einer Hand mit einem Smartphone, auf dem Bildschirm ist ein abwärts gerichteter Kurspfeil zu sehen.
Altersvorsorge über die Börse – das ist riskant, meint Wirtschaftsjournalisten Stephan Kaufmann. © Getty Images / Malte Müller
Ein Kommentar von Stephan Kaufmann |
Um das Rentenloch zu stopfen, sollen wir auf Kapital- und Aktienmärkte setzen. Das fordert zumindest die FDP. Für den Wirtschaftsjournalisten Stephan Kaufmann geht diese Rechnung nicht auf.
Dieser Tage hat Elon Musk, Chef des Elektoautobauers Tesla, einen Teil seiner Tesla-Aktien verkauft und dabei fünf Milliarden Dollar verdient. Und ein bisschen so sollen es die deutschen Rentner auch machen, wenn es nach dem Willen der Ampelkoalition geht. Insbesondere auf Wunsch der FDP sollen nämlich Teile der Rentenbeiträge in einen Aktienfonds fließen, von dessen Rendite künftige Rentner leben.
Altersvorsorge über die Börse – das klingt riskant und ist den meisten Menschen eher unheimlich. Aber, wird ihnen entgegnet, viel riskanter wäre es, sich auf die gesetzliche Rente zu verlassen! Denn auf die kämen mit Sicherheit Finanzierungsprobleme zu.
Als Grund für diese Finanzierungsprobleme wird die Alterung der Gesellschaft genannt – künftig stehen mehr Alte weniger Jungen gegenüber. Tatsächlich allerdings ist das Problem der Rentenkasse kein biologisches, sondern ein ökonomisches: Da die Rente aus dem Lohnaufkommen finanziert wird, müsste – bei steigender Rentnerzahl – die Lohnsumme deutlich steigen, um die Lücke zu schließen. Deutlich steigen soll der Lohn aber nicht, denn dies gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Der Sozialstaat, so heißt es, überfordere bereits „die Wirtschaft“. Damit ist die Knappheit der Rentenkasse beschlossene Sache.

Bereits das Riestern scheiterte

Bereits vor 20 Jahren wurde versucht, dieses Problem mit Hilfe des Kapitalmarkts zu lösen: Über Riester-Verträge sollten die Menschen Geld ansparen und so privat fürs Alter vorsorgen. Das gilt heute allerdings als gescheitert. Denn die Riester-Verträge verpflichteten die Versicherungswirtschaft, den Sparern mindestens ihre Einzahlungen garantiert zu 100 Prozent auszuzahlen, ohne Verlustrisiko. Die Versicherer waren also gezwungen, in extrem sichere Geldanlagen zu investieren. Und das, zeigt sich heute, bringt keine Rendite, womit klargestellt wird: Sicherheit gibt es am Kapitalmarkt nicht.
Das soll nun aber nicht gegen den Kapitalmarkt sprechen, sondern für das Risiko: Aktien gelten als die neue Lösung, schließlich feiern die Märkte derzeit einen Rekord nach dem anderen. Und was ist mit den möglichen Verlusten? Schließlich könnte man aus den aktuellen Börsenrekorden ebenso schließen, dass es bald wieder abwärtsgeht.

Keine Rendite ohne Risiko

Kein Problem, wird gesagt, Verlustrisiken können durch geschickte Anlagestrategien gemindert werden – eine Aussage, die wenig beruhigend ist. Denn mit ihr wird gleichzeitig eingestanden, dass das Risiko erstens besteht und zweitens auch nicht verschwinden wird. „Keine Rendite ohne Risiko!“ –Diese Börsenweisheit kann man als Versprechen lesen oder eben als Warnung.
Die Politik hört hier lieber das Versprechen. Die Aktienrente gilt ihr als ideale Lösung und die Risikoscheu der Menschen als das ganze Problem der Alterssicherung.
Fassen wir das Plädoyer für die Aktienrente zusammen:
Erstens: Das System der gesetzlichen Alterssicherung ist zu riskant und sichert nur das Risiko der Altersarmut.
Zweitens: Der Versuch, auf dem Kapitalmarkt sichere Erträge zu erzielen, scheitert, weil es Garantien an der Börse nicht gibt.
Wer drittens also Sicherheit will, muss ins Risiko gehen, was zwar nicht logisch klingt, aber alternativlos ist.
Es handelt sich um das Plädoyer, Vertrauen in den Markt und seine Konjunkturen zu fassen. Ähnlich argumentiert wird derzeit für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. „Wir müssen uns“, so der deutsche Industrieverband BDI, „von der Vorstellung lösen, dass ein weitgehend regulierter Arbeitsplatz ein sicherer Arbeitsplatz ist“. Im Klartext: Regulation ist für Unternehmen zu teuer.

Aus Anrechten werden Chancen

Ähnlich argumentiert wurde so auch gegen den Mietendeckel, der für Immobilienkonzerne den Neubau unrentabel macht. Mehr Wohnraum und damit leistbare Mieten schaffe nur der freie Markt.

Es ist das Plädoyer, inmitten aller Unwägbarkeiten auf den Geschäftssinn von Investoren zu vertrauen, auf Arbeitgeber, Börsianer, Immobilienkonzerne, und ihren Kalkulationen das eigene Wohlergehen anzuvertrauen. Damit werden aus den Ansprüchen der Menschen bloße Hoffnungen und aus ihren Anrechten – werden Chancen.

Stephan Kaufmann hat Ökonomie studiert und arbeitet als Wirtschaftsjournalist in Berlin. Er arbeitet für die Frankfurter Rundschau, den Freitag, das Neue Deutschland und andere Zeitungen.

Porträt des Wirtschaftsjournalisten Stephan Kaufmann
© privat
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