Akribie bis zum Umfallen

Von Elske Brault |
Mit 14 sah Katja Haß in Berlin eine Arbeit des berühmten österreichischen Bühnenbildners Erich Wonder und wollte fortan nichts anderes machen. Mit ihren Bühnenbildern ist sie selbst jetzt überaus erfolgreich und arbeitet als <papaya:link href="http://www.deutschestheater.de/ensemble/buehne/katja_hass/" text="Atelierleiterin im Deutschen Theater Berlin" title="Katja Haß, Atelierleiterin im Deutschen Theater Berlin" target="_blank" />.
"Die ist ja klein", denke ich, als ich sie das erste Mal sehe. Doch als Katja Haß die Gänge des Deutschen Theaters entlang läuft, bemerke ich: Sie ist gar nicht klein. Etwa 1 Meter 70. Dennoch wirkt sie wie ein Püppchen. Alles an ihr ist zierlich: Die Hände, die Gliedmaßen fein ziseliert wie die Details in ihren Bühnenbildmodellen, an denen sie mit nimmermüder Akribie herumbastelt.

""Es ist ein bisschen wirklich ein Tick. Also ich muss mir manchmal richtig sagen: Katja, stopp jetzt hier! Dass du diese Blume oder was jetzt hier mit dem Cutter ausschneidest, und das ist irgendwie drei mal vier Millimeter groß, das ist jetzt wirklich – tut nichts zur Sache. Ich kann aber nicht anders, es ist schon eine Form von Sucht! Versuche mich langsam ein bisschen davon zu lösen, weil es einfach zu viel Zeit frisst."

Und Zeit hat Katja Haß ja so gar nicht! Pünktlich um Viertel nach drei muss sie die Werkstätten des Deutschen Theaters verlassen, um ihre drei Kinder abzuholen: Eine Tochter von zwölf, eine von sechs Jahren und einen Sohn, zwei Jahre alt. Nachmittags widmet sie sich ausschließlich ihren Kindern. So kommt sie erst nachts wieder zur kreativen Arbeit. Und diese Nacht ist um sechs Uhr früh vorbei.

"Wenn die Kinder dann schlafen und man das letzte Gespräch mit der früh Pubertierenden geführt hat darüber, wie schwierig das Leben ist, dann ist es meistens so neun, viertel nach neun, und dann fang ich halt noch mal an. Setz mich noch mal an den Tisch. Das Problem ist mittlerweile, dass man dann oft schon so müde ist, dass man sich auch am liebsten um halb elf ins Bett legen würde. Das schönste Geschenk wäre, wenn mal jemand kommt und mich drei Tage durchschlafen lässt!"

Es war gar nicht so leicht, sich mit Katja Haß zu verabreden: Vorige Woche war sie einen Tag in Wien, um ein Gastspiel einzurichten, die Woche davor in Istanbul. Freitag? Der Babysitter kann nicht. Dann Samstag, da passt ihr Mann, der Regisseur Stephan Kimmig, auf die Kinder auf.

Der graue Haaransatz unter der langen blond gefärbten Mähne verrät, dass die 41-jährige auch für den überfälligen Friseurbesuch schlicht keine Zeit gefunden hat. Aber ihre großen braunen Augen strahlen, keinen Moment lässt sie nach in ihrer Aufmerksamkeit und Energie.

"Das Leben ist ja so kurz, dass ich es irgendwie vollpfropfen möchte bis an den Anschlag. Und natürlich auch bis an die eigenen Grenzen. Aber da möchte ich doch wenigstens so viel, in dieser wahnsinnig kurzen Zeit so viel erleben, wie möglich ist."

Die bunt bemalten Paletten im klassizistischen Saal des Deutschen Theaters knarren: Mit ihnen hat Katja Haß den Fußboden erhöht und somit den Abstand zur Decke verkleinert. Sie hat den ganzen Saal neu gestaltet. Denn die hohen Stuckdecken und riesigen Kronleuchter waren zwar beeindruckend, aber zugleich museal und erschlagend. Mit blütenbestickten Stoffbespannungen an den Wänden und einem Designkorsett aus weißen Ringen rund um die Kronleuchter hat Haß dem Saal eine neue Leichtigkeit gegeben. Es ist, als habe ein fröhliches Kind sich hier seine eigene poetische Welt erschaffen.

Naiv findet die Bühnenbildnerin im Rückblick vieles, womit sie Karriere gemacht hat. Zum Beispiel jenes Verliess mit vielen Türen, das sie mit 26 Jahren für Elmar Goerdens Inszenierung des Sturm-und Drang-Dramas "Blunt" schuf.

"Der so außer sich war vor Freude und sagte: Du, wir sind mit 'Blunt' beim Berliner Theatertreffen eingeladen. Und ich wunder mich noch heute, weil ich hatte wirklich, obwohl Theaterkind, so von Wertungen des Theaters überhaupt keine Ahnung. Das war mir ganz fremd und auch überhaupt nicht wichtig. Ich werd noch heute zitiert, dass ich gesagt habe: Wieso Berliner Theatertreffen, das war doch gerade."

Quasi im Theater aufgewachsen ist Katja Haß durch ihren Vater, den Schauspieler Ulrich Haß. So sah sie bereits mit 14 in Berlin eine Arbeit des berühmten österreichischen Bühnenbildners Erich Wonder, und von da an war klar: Das wollte sie auch machen. Mit 19 bewarb sie sich an der Hochschule in Wien, wo Wonder unterrichtete. Sie wurde sofort aufgenommen, assistierte später ihrem Lehrer Wonder und dann der Marthaler-Bühnenbildnerin Anna Viebrock. Und dann kam "Blunt", ihr Durchbruch. Noch auf der Premierenfeier sprach sie der Regisseur Stephan Kimmig an.

"Und war damals komplett schwarz angezogen, mit 'ner schwarzen Brille und langen schwarzen Haaren, und wirkte überhaupt sehr düster."

Dennoch willigte sie ein, mit ihm "Leonce und Lena" zu machen.

"Ja, da hat dann doch dieser komische schwarze Kerl mich nachhaltig fasziniert bei der Vorarbeit zu 'Leonce und Lena'."

Seit 14 Jahren arbeiten und leben die Bühnenbildnerin und der Regisseur nun zusammen. Eine spannungsgeladene Beziehung: Katja Haß will auf der Bühne stets Häuser bauen, geschlossene Welten schaffen. Stephan Kimmig hingegen fordert Leere, Freiraum für seine Schauspieler. Privat ist es genau umgekehrt. Daher gestaltete sich die Planung ihres eigenen Hauses in Berlin für das Paar höchst schwierig.

"Das Grundbedürfnis von Stephan ist: sich verstecken. Eher kleine, heimelige, kuschelige Räume zu haben. Eher dunkel. Sich eher zurückzuziehen. Bei mir ist es, dass ich 'nen großen, hellen Raum haben möchte. Das wurde dann irgendwann mal von unserem Architekten bezeichnet als Höhlen- und Hallenmensch."

Wäre Katja Haß nicht Bühnenbildnerin geworden, sie würde gern als Restauratorin arbeiten. Vergangene Welten rückerobern statt neue bauen. Doch zur Restauration mit Pinsel und Pinzette fehlt ihr die Geduld. Um ihren Hals hängt ihr Glücksbringer, eine Schildkröte aus Elfenbein. Das Geschenk ihrer Kinder vom Flohmarkt hat sie zum Anhänger umarbeiten lassen – als tägliche Mahnung.

"Das ist ein Handschmeichler. Ich hab das oft in der Hand, diesen kleinen Buckel von der Schildkröte. Also man sagt, auf der Schildkröte ruht die Welt. Und sie ist aber auch ein gelassenes, weises Tier. Ich versuche eher, durch leichtes Daumenreiben mir ein bisschen Gelassenheit zuströmen zu lassen."