Aiwanger: "Börsenpartei" FDP ist eine Gefahr

Hubert Aiwanger im Gespräch mit Barbara Roth und Ulrich Ziegler |
Bei der bevorstehenden Europawahl sehen die erstmals teilnehmenden Freien Wähler nicht in der CSU, sondern in der FDP ihren Hauptkonkurrenten. Wenn die Freien Wähler nicht zur Wahl antreten würden, drohten die Enttäuschten die FDP zu wählen, sagte der bayerische Landes- und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. Der Grund für die Enttäuschung sei aber schließlich die Finanz- und Wirtschaftskrise, betonte Aiwanger.
Deutschlandradio Kultur: Herr Aiwanger, stimmt es, dass der Freie Wähler das Parteibuch genauso scheut, wie der Teufel das Weihwasser?

Hubert Aiwanger: Das ist vielleicht ein viel kultivierter Spruch von Armin Grein, Tatsache ist natürlich, dass wir keine Partei sind, aber dass das dem Wähler ziemlich egal ist. Der Wähler will vernünftige Politik. Und ob wir Partei sind oder Wählergruppe, deshalb werden wir nicht gewählt oder werden schon gewählt. Der Wähler schaut sich die Leute an und schaut sich die Politik an, und er wählt uns dann oder wählt uns nicht. Schlichtweg ist das so.

Deutschlandradio Kultur: Also, kein Parteibuch?

Aiwanger: Kein Parteibuch!

Deutschlandradio Kultur: Für alle Zeiten?

Aiwanger: Das will ich nicht für alle Zeiten ausschließen. Ich wiederhole das noch mal: Dem Wähler ist das egal, ob wir Partei sind. Er will vernünftige Politik. Und wenn es irgendwann mal nötig sein sollte, unbedingt Partei zu werden, um unsere politischen Aufgaben zu erfüllen, dann werden wir uns nicht bis zum letzten Blutstropfen wehren.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen, "vernünftige Politik", was heißt das konkret? Die anderen würden natürlich auch sagen, wir machen vernünftige Politik. Wo ist denn das Alleinstellungsmerkmal?

Aiwanger: Das Alleinstellungsmerkmal der Freien Wähler ist, dass wir unverbraucht sind, dass wir Politik mit gesundem Menschenverstand ohne starre Parteidogmas machen, dass wir auch unabhängig sind von Lobbyisten und aufgrund dessen noch freier aufmarschieren können als andere.

Deutschlandradio Kultur: Sprechen Sie den anderen Parteien den gesunden Menschenverstand ab?

Aiwanger: Vielleicht nicht durchweg, aber es ist doch zu erkennen, dass viele etablierte Parteien teilweise das hinten an der Garderobe bereits abgegeben haben und sich wirklich nur noch in alten Parteiprogrammen verfilzt haben, von den Lobbyisten zu abhängig sind und aufgrund dessen teilweise nicht mehr so entscheiden können, wie sie gerne wollten. Wir sind noch frei genug, um das zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Das konnten Sie ja viele Jahre in den Kommunen beweisen, in denen Sie überparteilich gearbeitet haben, sich keinen Fraktionszwang auferlegt haben. Das ändert sich aber, wenn man auf die nächsthöhere Ebene geht, beispielsweise in den Landtag. Können Sie trotzdem mit Ihren Grundprinzipien weiterarbeiten, auch wenn Sie nicht mehr in der Kommunalpolitik sind?

Aiwanger: Es ist uns ja prognostiziert worden: Wenn ihr im Landtag seid, dann seid ihr wie alle anderen. Aber es sieht jetzt jeder, dass wir doch anders geblieben sind, und alle anderen uns eigentlich vorwerfen, die Freien Wähler wären nicht einzuordnen, wären nicht festzunageln. Und damit beweisen wir, dass wir es geschafft haben, unsere Andersartigkeit zu bewahren.

Deutschlandradio Kultur: Ich hake da noch mal nach: Dieses Andersartige muss man ja irgendwie greifen, auch inhaltlich. Außer der Tatsache, dass Sie kein Parteiprogramm haben, was ist andersartig an Ihnen? Wenn Sie sagen, "wir sind unverbraucht", das reicht doch nicht.

Aiwanger: Wir lassen uns nicht in ein traditionelles Links-Rechts-Schema einordnen, wo man schon im Vorhinein weiß, wenn ein Antrag von der CSU kommt, sind wir pauschal dagegen oder pauschal dafür, sondern wir schauen uns die Themen an, schauen uns die Inhalte an und entscheiden dann, wie wir abstimmen. Insofern sind wir andersartig.

Deutschlandradio Kultur: Also beliebig?

Aiwanger: Wenn man es negativ formulieren will und damit glücklich ist, kann man es als beliebig formulieren. Es ist aber nicht so. Wir haben ja unsere Leitlinien. Wir haben unsere Anschauungen, und wir haben unsere Ziele, unsere politischen Fundamente. Insofern sind wir nicht beliebig, sondern aufgrund unserer Inhalte sehr wohl anders als die anderen und frei in der Entscheidung. Das ist aber nicht beliebig, sondern das ist frei, da ist ein gesunder Menschenverstand als Entscheidungsbasis und nicht eine Beliebigkeit.

Deutschlandradio Kultur: Machen wir es mal konkret: Im Landtag stimmen Sie mal mit der CSU, mal stimmen Sie gegen die CSU. Und wenn Sie sich in Ihrer Fraktion mit Ihren 21 Mitgliedern nicht einig werden, dann enthalten Sie sich einfach?

Aiwanger: Das haben wir teilweise schon gemacht. Wenn die Dinge so sind, dass wir sagen, es ist uns nicht so wichtig, ob wir hier Ja oder Nein sagen, dann kann man sich auch enthalten. Wenn die CSU einen Vorschlag macht, der in sich halbwegs vernünftig ist, wo wir nicht grundsätzlich sagen müssen, wir müssen hier abrupt dagegen sein, dann haben wir teilweise diese Dinge auch schon passieren lassen und haben gesagt, wir enthalten uns, lassen ihnen zunächst mal die Chance, schauen dem Ganzen zu und bewerten es dann hinterher.

Das war ja auch so bei der Regierungserklärung. Wir haben nicht im Vorhinein gesagt, jeder Minister muss unsere Gegenstimmen bekommen und wir stimmen gegen den Seehofer, sondern wir haben gesagt: Seehofer, wir lassen dir deine Chance. Wir enthalten uns. Mach mal.

Deutschlandradio Kultur: Auf kommunalpolitischer Ebene könnte man sagen, da gibt's eine Gruppe Freie Wähler, die sagen: Wir wollen kein Atomkraftwerk in unserer Nähe. Vielleicht gibt es auf der anderen Seite Leute, die sagen: Wir wollen das haben, weil es Arbeitsplätze sichert. Wie lösen Sie so ein Problem im Landtag, wenn Sie sagen, wir entscheiden nach gesundem Menschenverstand und vernünftig? Was ist da dann vernünftig?

Aiwanger: Ganz einfach: Thema Kernenergie - gesunder Menschenverstand heißt nicht, das Atomkraftwerk sofort abzuschalten, dass morgen dann die Glühbirnen ausgehen. Und gesunder Menschenverstand heißt auch nicht, so wie es der Erwin Huber gesagt hat, die Kernkraftwerke noch 60 Jahre laufen zu lassen. Sondern der gesunde Menschenverstand liegt hier mit Sicherheit dazwischen, dass man sagt: Sofort Abschalten geht wohl nicht, wir müssen uns aber ernsthaft darum bemühen, aus dieser Abhängigkeit rauszukommen.

Ob das dann in fünf, zehn oder in zwölf Jahren ist, das muss dann auch die technische Alternative erst beweisen. Aber das heißt gesunder Menschenverstand: zielorientiert, aber nichts übers Knie brechen.

Deutschlandradio Kultur: Ich verstehe das noch nicht. Was heißt das? Wenn ein Antrag im Landtag vorliegt, Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke, wie werden die Freien Wähler sich dann entscheiden?

Aiwanger: Sie werden sich wieder aufgrund von Sachinformationen die Sache ganz genau ansehen. Wenn es ein altes Kernkraftwerk sein sollte, wo man sagt, wir könnten hier rausgehen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, dann gehen wir hier raus. Wenn das aber pauschal heißt, alles sofort und heute abschalten, dann gehen wir hier nicht mit. Ein Ideologe ginge hier mit. Wir mit unserem gesunden Menschenverstand gehen nicht mit, sondern sagen: Ist heute noch unverzichtbar, aber in 20 Jahren vielleicht nicht mehr. Und dazwischen müssen wir irgendwann raus.

Die Parteien haben teilweise unterm Kopfkissen ihre Handlungsanweisung. Da steht drin, wenn die CSU "Muh" sagt, dann musst du "Mäh" sagen. Und wenn die CSU "Mäh" sagt, dann musst du "Muh" sagen. Wir machen es andersrum. Wir schauen, warum die CSU "Muh" sagt, sagen dann vielleicht auch "Muh". Und wenn die "Mäh" sagt, sagen wir vielleicht auch "Mäh". Das hängt vom einzelnen Fall ab.

Deutschlandradio Kultur: Das ist aber sehr zeitintensiv, dieses Muhen und Mähen.

Aiwanger: Aber zielführend.

Deutschlandradio Kultur: Es geht ja auch um Grundsatzentscheidungen. Beispielsweise Frau Pauli, die die Spitzenkandidatin für die Europawahl ist, für die Sie ja auch antreten, sagt in Sachen Energiepolitik: "Politiker müssen raus aus Aufsichtsräten, dann würde die Sache besser laufen." Da steckt doch eine Grundüberzeugung drin. Was will sie damit bewirken?

Aiwanger: Was will sie damit bewirken? Sie will damit genau das bestätigen, was ja die Freien Wähler seit Jahren propagieren: Die Politik muss unabhängiger von Lobbyisten werden. Und es ist natürlich ein Problem, wenn Politiker in Aufsichtsräten gefangen sind. Dann haben sie nicht mehr die Möglichkeit frei zu entscheiden, ob dieses Kernkraftwerk abgeschaltet werden muss oder nicht, sondern dann bekommen sie vielleicht von den Lobbyisten eingeflüstert, was sie zu sagen haben. Deshalb lehnen wir diese Verflechtung und diese Abhängigkeitsverhältnisse ab und sagen: Wir müssen aufgrund der Sachlage entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Aber wer soll dann in den Aufsichtsräten sein? Wer soll die kontrollieren, wenn nicht die Politik? Wir erleben doch im Moment, dass bei Banken und anderswo verstärkt versucht wird, den politischen Einfluss zu stärken. Sie wollen das Gegenteil?

Aiwanger: Politik muss natürlich irgendwie den Einfluss haben auf diese Aufsichtsräte. Aber das darf nicht so aussehen, dass im Umkehrschluss der Konzern Einfluss auf die Politik hat.

Deutschlandradio Kultur: Herr Aiwanger, Sie haben weder ein Parteiprogramm, noch ein Europawahlprogramm. Sie haben Leitlinien. Sie haben jetzt Frau Pauli, die ehemalige CSU-Rebellin zur Spitzenkandidatin gekürt. Auf welche Stimmen hoffen Sie denn? Auf die Stimmen der Protestwähler?

Aiwanger: Zunächst mal will ich das richtig stellen. Wir haben Europaleitlinien. Da sind die wichtigen politischen Themenfelder abgebildet. Die CSU hat bis heute kein Programm, will erst im Mai ein Programm verabschieden. Wir haben heute bereits eins. Natürlich ist Frau Pauli ein Aushängeschild für uns. Sie ist bekannt, hier auch den Mund aufzumachen. Sie ist vielleicht als unbequeme Person bekannt.

Wir hoffen auf die Stimmen aller vernünftiger Bürger und hoffen auch auf Stimmen von Leuten, die enttäuscht sind, von Leuten, die vielleicht zu Hause bleiben würden oder irgendwelche anderen Parteien wählen würden, die vielleicht heute auftauchen und morgen verschwinden. Wir wollen die enttäuschten Wähler in der bürgerlichen Mitte halten und wollen Wähler wieder an die Urne bringen, die es schon aufgegeben haben zu wählen.

Es ist ja auch in der Landtagswahl so gewesen, dass ein nennenswerter Prozentsatz unserer Wähler aus der Wahlenthalterschiene gekommen ist, also Leute, die wieder zur Demokratie zurückgefunden haben, weil wir als Freie Wähler angetreten sind.

Deutschlandradio Kultur: Sie wollen enttäuschte Wähler und Nichtwähler wieder an die Wahlurne bringen. Was bieten Sie ihnen an und wie wollen Sie mit ihnen dann in Dialog treten?

Aiwanger: Was bieten wir ihnen an? Wir bieten ihnen eine pragmatische Politik an, eine frische, unverbrauchte Politik. "Frischer Wind für Bayern" war unser Slogan. Damit haben wir zehn Prozent der Wähler hinter uns versammelt. Ich bin überzeugt, dass wir auch bei der Europawahl Leute hinter uns versammeln. Und wir bieten ihnen einfach vernünftige Lösungen an.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein bisschen schwammig bleibt das doch. Für was steht jetzt eigentlich Frau Pauli beziehungsweise die Freien Wähler im Europawahlkampf?

Aiwanger: Für mehr Bürgernähe, für weniger Zentralismus. Wir haben uns ganz klar für eine Volksabstimmung zur EU-Verfassung ausgesprochen.

Deutschlandradio Kultur: Das will die CSU auch.

Aiwanger: Seit kurzem, sie haben es früher immer abgelehnt, das Volk zu befragen. Sie hätten jahrelang Zeit gehabt, das zu realisieren. Sie müssten dazu auf Bundesebene zunächst mal die Verfassung ändern, haben sich bisher dagegen gewehrt. Das heißt, die CSU gibt hier Lippenbekenntnisse ab, weil sie Angst vor uns hat. Wir haben seit Jahren dieses Thema gespielt, und es freut uns, dass das mittlerweile jetzt doch solche Früchte trägt und von der CSU schon übernommen wird.

Deutschlandradio Kultur: Wenn die CSU genau das macht, was Sie fordern, "frischer Wind für Bayern, mehr Bürgernähe", und sie tut es ja auch, dann braucht man irgendwann die Freien Wähler nicht mehr.

Aiwanger: Dann haben wir aber unsere Aufgabe erfüllt, Ideengeber zu sein für eine bessere Politik. Sehen Sie nur hin: Plötzlich wird in Bayern die Kinderbetreuung ausgebaut. Plötzlich gibt es Ganztagsschulen. Plötzlich heißt es, wir brauchen mehr Lehrer. Plötzlich heißt es, die grüne Gentechnik ist nicht das, was man wollte.

Das zeigt, wir haben die Politik in Bayern bewegt. Und Sie können hier ganz ruhig bleiben. Wir haben Ideen genug im Köcher und wir werden mehr Ideen auf den Tisch legen, als die CSU umsetzen kann.

Deutschlandradio Kultur: Die Freien Wähler könnten - das ist ja auch die Befürchtung der CSU - vor allem der CSU Stimmen kosten bei der Europawahl. Nehmen Sie in Kauf, dass Bayern künftig von ein paar Grünen und ein paar SPD-Politikern vertreten wird, weil aufgrund Ihrer Kandidatur die CSU rausfällt?

Aiwanger: Zunächst mal ist es ja so, dass viele derjenigen, die uns wählen werden, entweder sowieso zu Hause bleiben würden oder FDP wählen würden. Also, es geht hier nicht nur um die Konkurrenz CSU und Freie Wähler, sondern wir konkurrieren auch mit FDP-Stimmen und werben um Nichtwählerstimmen.

Auf der anderen Seite lassen wir uns natürlich aber auch kein schlechtes Gewissen einreden. Wir sind ja nicht dazu da, zu Hause zu bleiben, um der CSU nicht zu schaden. Da könnten wir auch unsere Bürgermeister und Landratskandidaten alle zurückziehen. Dann hätte die CSU wieder 100 Prozent auf kommunaler Ebene. Das wollen wir nicht. Das wollen wir auch auf überregionaler Ebene nicht.

Die CSU muss um ihr Überleben schon selber kämpfen. Sie brauchten nur eine Listenverbindung mit der CDU einzugehen, dann sind sie abgesichert. Wenn sie hierzu zu stolz sind, dann müssen sie mit dem Ergebnis am Ende selber fertig werden.

Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise, und das wissen wir ja auch, werden politische Inhalte immer über Personen vermittelt. Nehmen wir mal Gabriele Pauli. Wofür steht die eigentlich? Ist das die ideale Freie-Wähler-Kandidatin? Oder ist das einfach ein Zugpferd, auf das Sie setzen, damit Sie Protestwähler einsammeln, ohne genau die Inhalte zu benennen?

Aiwanger: Frau Pauli war 18 Jahre lang beliebte Landrätin. Frau Pauli hat sich einen Namen gemacht durch ihr unerschrockenes Vorgehen gegenüber der verkrusteten CSU. Und Frau Pauli hat sich einen Namen gemacht durch ihr Vorgehen auch in diesem ganzen Landesbank-Sumpf, hat dieses Thema als eine der ersten auf die Tagesordnung gebracht, ist hierfür bei den ersten Landtagssitzungen mit Häme übergossen worden von der CSU.

Mittlerweile rudern sie zurück. Mittlerweile bringen sie dieselben Fragen auf den Tisch, die Frau Pauli bei den ersten Landtagssitzungen gebracht hat. Schlichtweg ist Frau Pauli eine mutige Frau und mit der ziehen wir in den Europawahlkampf. Frau Pauli ist Spitzenkandidatin mit den Eigenschaften, die wir brauchen, und ist bekannt genug, um hier auch Leute hinter sich zu bringen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn beispielsweise ihr Bundesvorsitzender Armin Grein sagt, er hoffe, dass sie so langsam ihre Allüren eines Tanzmariechens ablegt, dann scheint doch da ein bisschen Misstrauen noch drin zu sein, dass sie möglicherweise aus dem Ruder läuft.

Hubert Aiwanger: Diese Formulierung stammt nicht ganz so von Grein. Aber sei es drum. Natürlich ist Frau Pauli bekannt für einige Eskapaden, die ihr immer noch nachhängen. Aber ich glaube, sie hat die Politik bunter gemacht, und sie ist irgendwie weggekommen vom grauen Alltagstrott. Damit muss die Politik leben. Damit kann sie ganz gut leben und der Wähler kann entscheiden, ob er das so will oder nicht.

Deutschlandradio Kultur: Herr Grein hat noch eine Bitte an Frau Pauli geäußert. Sie soll doch bitte im Wahlkampf ihre Forderung nach der Ehe auf Zeit nicht wiederholen. Hat Sie das ihm versprochen, hat sie ihm das zugesagt?

Aiwanger: Das ist genauso eine alte Geschichte. Ich will darauf gar nicht mehr groß eingehen. Niemand wird gezwungen sich scheiden zu lassen. Wer sich scheiden lassen will, der tut das ohne Pauli oder mit Pauli. Das ist ein Thema, das geht ins Privatleben hinein. Das will ich nicht weiter kommentieren.

Deutschlandradio Kultur: Wo stehen Sie eigentlich? Als Vermittler zwischen Parteien und Freien Wählern? Wo kriegen wir Sie wirklich zu fassen?

Aiwanger: Wir wollen die politische Landschaft und auch die Parteienlandschaft erneuern, keinesfalls abschaffen. Das wäre ja das Abschaffen der Demokratie. Aber wir sind heute dabei, feststellen zu müssen, dass die Parteien sich überlebt haben und dass die Parteien damit - so, wie sie sich heute gebärden - zur Gefahr für die Demokratie werden, weil immer mehr Leute sich abwenden, immer mehr Leute zu Hause bleiben und am Ende Leute auftreten könnten, die wir im politischen Spektrum nicht haben wollen.

Deshalb ist es nötig, die Auswüchse des Parteienwesens wieder zurückzudrängen. Das ist eben dieses ganze Spendenwesen, dieser ganze Lobbyismus. Hier wollen wir ansetzen, wollen die Politiker wieder als Interessenvertreter der Bürger sehen und nicht als Leute, bei denen man nicht genau weiß, auf welcher Rechnung sie sitzen. Und dann sind wir hier richtig beraten.

Deutschlandradio Kultur: Also sind Sie die Grünen vor 30 Jahren, die diese Erfahrung jetzt noch mal machen wollen?

Aiwanger: Man kann das vielleicht in einer gewissen Parallele sehen. Die Grünen haben vor 30 Jahren die Parteienlandschaft neu aufgemischt, sind dann im Laufe der Jahre selbst in dieses Fahrwasser hineingekommen. Ich bin hier Realist genug, um zu sehen, vielleicht sind wir in 30 Jahren genauso Gefangene dieses Systems, aber dann haben wir zunächst mal diese 30 Jahre eine fruchtbare Arbeit geleistet. Und wenn in 30 Jahren wieder eine Gruppe kommt, die besser ist als wir, dann sei es so.

Deutschlandradio Kultur: Wo ist das Risiko, dass Sie Gefangener dieses Systems werden könnten?

Hubert Aiwanger: Natürlich, je mehr Macht man sich erarbeitet und in je mehr politische Gremien man sich hineinarbeitet, umso mehr wird man natürlich auch von den Zwängen des Systems eingeholt und kann vielleicht nicht mehr alles so frei vertreten, wie man es gerne hätte. Aber der Umkehrschluss, dann zu Hause zu bleiben und Socken zu stricken, um ja nicht in eine Abhängigkeit hineinzukommen, das wäre der falsche Entschluss. Wir müssen es riskieren. Und wenn wir uns in 30 Jahren überlebt haben, dann ist das so.

Deutschlandradio Kultur: Deutschlandradio Kultur, Sie hören Tacheles, heute mit Hubert Aiwanger, dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler im Bayerischen Landtag.

Herr Aiwanger, das Alleinstellungsmerkmal der Freien Wähler war über Jahrzehnte das, dass sie in den Kommunen parteiübergreifend gearbeitet haben. Jetzt springen Sie in den Landtag. Da sind Sie schon. Sie wollen bei der Europawahl über die Fünfprozenthürde gehen, möglicherweise sogar noch weiter. Das wird die Partei doch irgendwann verändern oder die Wählervereinigung, um es noch mal richtig zu sagen.

Aiwanger: Alles verändert sich in diesem Leben. Wenn ein Kind geboren wird, dann spielt es zunächst mal im Sandkasten. Es bleibt aber nicht bis zu seinem 30. Lebensjahr im Sandkasten, sondern es muss sich weiterentwickeln. Genauso ist es mit politischen Gruppierungen.

Wir haben natürlich in der Kommune begonnen, wollen das beibehalten, es ist uns auch sehr wichtig, haben aber gemerkt, dass wir auf dieser Ebene allein gefangen sind, politisch immer weniger zu sagen haben. Es kommen immer mehr Entscheidungen von oben - sei es Berlin, sei es Brüssel - und wir müssen eben dorthin, wo die Musik gespielt wird.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie von "wir" reden, reden Sie dann auch von den Landesverbänden in Baden-Württemberg, in Sachsen und anderswo? Oder reden Sie von Bayern?

Aiwanger: Ich rede von den Freien Wählern. Das ist natürlich kein Diktat für den Letzten auf dieser Welt, der sich als Freier Wähler sieht. Sie sprechen Baden-Württemberg an. Baden-Württemberg ist damit noch nicht glücklich, hier auf höhere politische Ebenen zu gehen, sondern die wollen sich zunächst mal auf kommunaler Ebene weiterhin etablieren. Wobei Baden-Württemberg auch nicht ein geschlossener Block ist, wo jeder das so sieht.

Es gibt sehr wohl dort auch Leute, die in die Landesebene, die in die Bundes- oder Europaebene wollen. Aber die Mehrheit ist dort nun mal noch in der Kommunalpolitik gefangen. Wenn wir Erfolg haben auf höherer Ebene - wir haben es auf Landesebene bewiesen -, dann wird das für viele auch in Zukunft eine Steilvorlage sein und das wird auch in anderen Landesverbänden Schule machen.

Deutschlandradio Kultur: Die Mitglieder des Präsidiums der Freien Wähler in Baden-Württemberg denken aber bereits über einen Austritt aus dem Bundesverband nach. Droht da vielleicht sogar die Spaltung?

Aiwanger: Was heißt hier "Spaltung"? Bisher war der Bundesverband ein loser Dachverband, wo die Landesverbände sich ein- bis zweimal im Jahr getroffen haben, um politische Themen zu diskutieren, im Prinzip aber ohne politische Außenwirkung, weil die politische Umwelt das nicht mitbekommen hat. Denn solange man nicht auf Landes- oder Bundesebene kandidiert, kann sich hier treffen, wer will. Das tut denen nicht weh. Erst seit unserer Kandidatur kommt die ganze Geschichte in Bewegung. Wenn die Baden-Württemberger jetzt sagen, sie kommen zu diesen regelmäßigen Treffen nicht mehr, ändert sich im Vergleich zu früher so viel nicht. Und ich bin überzeugt, dass die in Zukunft wieder kommen werden.

Unabhängig davon stehen wir ja trotzdem auf dem Wahlzettel in Baden-Württemberg bei der Europawahl. Das ist eine bundesweit einheitliche Liste. Und auch die Baden-Württemberger Wähler und die Baden-Württemberger Freien Wähler, die uns wählen wollen, können Freie Wähler wählen. Und wenn es Baden-Württemberger Freie Wähler gibt, die lieber die CDU oder die Linkspartei wählen, dann wählen die eben CDU oder Linkspartei.

Deutschlandradio Kultur: Und Ihr Wahlkampfmanager für die Europawahl, Max Winkler, der hat ein Wahlziel für die Europawahl genannt und gesagt: Das Wahlziel sei es, "die CSU unter die Fünfprozenthürde zu drücken bei der Europawahl". Ist das ein politisches Ziel?

Aiwanger: Er hat es nicht als d a s politische Ziel formuliert. Wir haben zunächst mal gesagt, wir wollen reinkommen. Und natürlich sind auch Leute dabei, die sagen, wenn die CSU noch mal eins auf die Finger bekommt, würde es denen nicht schaden, nachdem sie ja in vielen Themen in den letzten Jahren sehr Zickzack gefahren ist und der Wähler hier endlich Klarheit will - Stichwort Kernenergie, Stichwort grüne Gentechnik, wo die CSU jeden Tat eine andere Meinung vertritt, Stichwort Volksabstimmung über die EU-Verfassung.

Mein Ziel ist es nicht, hier der CSU gezielt zu schaden. Ich bin aber überzeugt, wenn die CSU uns gezielt schaden könnte, dann würde sie das tun.

Deutschlandradio Kultur: Wer ist denn Ihr Gegner? Sind es vielleicht dann doch die Liberalen? Von Ihnen stammt ja der Satz: "Die FDP kann man als politischen Arm der Spekulanten und Heuschrecken bezeichnen."

Aiwanger: Das stimmt, und das ist meine große Sorge. Wenn wir hier nicht auftreten, sowohl europa-, als auch landespolitisch, dann werden alle Enttäuschten bei der FDP landen. Und die Enttäuschten sind ja aufgrund der ganzen Finanz- und Wirtschaftskrise enttäuscht und die Ursache dieser Finanz- und Wirtschaftskrise lag in einem exorbitanten Börsenwahn. Diesen Börsenwahn hat die FDP immer mit begleitet. Sie ist im Prinzip geistiger Vater dieses Neoliberalismus. Insofern sähe ich es für Deutschland nicht für gut an, wenn die FDP hier in zweistelliger Prozenthöhe die Stimmen einfährt und am Ende noch die Deutsche Bahn an der Börse verhökert, die Trinkwasserversorgung an die Börse bringt usw.

Wir wollen hier die kommunale Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand behalten, nicht alles an die Börse bringen. Die FDP ist für mich die Börsenpartei schlechthin. Deshalb wäre es für mich eine Gefahr, wenn die FDP hier sehr viel Macht in Deutschland bekäme. Es gibt ja Wähler, die verwechseln Freie Wähler und FDP. Aber die Schnittmenge zur CSU ist definitiv größer als zur FDP.

Deutschlandradio Kultur: In Bayern bildet die CSU mit der FDP eine Koalitionsregierung. Würden Sie nicht viel besser zur CSU passen?

Aiwanger: Ich persönlich muss sagen, ich bin mit unserer Rolle sehr zufrieden. Als konstruktive Opposition können wir uns einbringen, können dort Unterstützung signalisieren, wo Unterstützung nötig ist, können aber auch den Finger in die Wunde legen, wo das nötig ist. Was besser zur CSU gepasst hätte, mag diese selber entscheiden. Wir haben uns nicht verweigert, haben aber gemerkt, dass die CSU ein Problem mit uns hatte, dass die CSU Angst hatte, uns noch stärker ins Spiel zu bringen. Und sie ist aufgrund dessen auf den gelben Zug aufgesprungen.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben sich ja weit rausgelehnt. Sie haben unter anderem gesagt, - ich weiß nicht, ob Sie mit Herrn Seehofer per Du sind - aber Sie haben gesagt: "Lieber Horst, wenn du vernünftige Vorschläge machst und die CSU da nicht mitmacht, auf uns Freie Wähler kannst du dich verlassen." Irgendwie wollen Sie doch mitregieren.

Aiwanger: Das ist im Prinzip unser politisches Ziel, unsere Themen durchzubringen. Und wenn wir sehen, die CSU springt auf unsere Themen auf - Bildungspolitik, Mittelstandspolitik, Kommunales usw. - , dann wären wir natürlich schlecht beraten, hier wieder gegen die CSU zu stimmen, sondern dann sagen wir natürlich: Jawohl, das habt ihr gut gemacht, wir unterstützen euch.

Und wenn Horst Seehofer hier innerhalb der CSU in Bedrängnis kommen sollte bei gewissen Themen, dann können wir ihm hier Schützenhilfe anbieten und können sagen: Jawohl, Seehofer hätte hier recht und CSU, wenn du das nicht einsiehst, wir stimmen hier zu. Und wenn es innerhalb der CSU verschiedene Meinungen geben sollte zu gewissen Themen, wir wären im Endeffekt bereit, für vernünftige Themen auch die Mehrheiten zu organisieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein bisschen naiv ist das doch schon, zu sagen, wenn die CSU sich nicht einig ist, dann springen die Freien Wähler dem Horst an die Seite und dann hat er wieder eine Mehrheit.

Aiwanger: Das ist nicht naiv, sondern das beeinflusst natürlich die Diskussion innerhalb der CSU. Die CSU sieht sehr wohl, wenn sie sich bei gewissen Themen nicht bewegen, dann werden sie immer weiter abgestraft vom Wähler und die Freien Wähler erobern zusätzliches Land. Seehofer hat damit innerhalb der CSU einen leichteren Stand und kann die Wackelkandidaten eher in eine vernünftige Richtung bringen, weil er sagt: Freunde, wenn wir nicht, dann machen es die Freien Wähler.

Deutschlandradio Kultur: Also, die Freien Wähler sind die heimliche Stütze des Bayerischen Ministerpräsidenten? Man kann aber auch sagen, sie biedern sich an.

Aiwanger: Das können Sie sehen, wie Sie wollen. Wenn die Themen passen, dann machen wir mit. Und ich gebe Ihnen recht, wir sind natürlich eine Stütze für Herrn Seehofer, denn ich bin überzeugt, wenn er sich einer absoluten CSU-Mehrheit gegenüber sähe, dann säße er nicht so sicher auf dem Sessel als in dieser jetzigen Situation, wo die CSU eine weitere Partei braucht, um einen Ministerpräsidenten wieder auszuwechseln. Es geht nicht mehr im Hinterzimmer, den Ministerpräsidenten auszuwechseln, sondern sie müssten in diesem Fall jetzt zunächst mal auch die FDP fragen, ob die einen Wechsel mittragen würden. Insofern lebt er heute sicherer als früher Beckstein oder Stoiber gelebt haben.

Deutschlandradio Kultur: Wo Sie richtig mit entscheiden können, dürfte möglicherweise die Bundespräsidentenwahl im Mai sein. Sieben Stimmen müssen es sein von den Freien Wählern, damit Horst Köhler direkt durchkommt. Wird er die Stimmen im ersten Wahlkampf von Ihnen kriegen?

Aiwanger: Ich hab immer gesagt, Horst Köhler wird an den Freien Wählern nicht scheitern. Und das wird so sein. Er bekommt von uns nicht nur sieben Stimmen, sondern ich würde davon ausgehen, dass er alle zehn bekommt. Ich habe auch gesagt, ich kann natürlich in der Wahlkabine niemandem die Hand führen. Das geht aber den anderen Parteien nicht anders - siehe CSU.

Die haben ja immer Probleme gehabt, ihre Leute wirklich geschlossen hinter Köhler zu bringen. Es hat immer Abweichler gegeben. Damals waren noch keine Freien Wähler dabei. Ich will nicht ausschließen, dass es mittlerweile Leute gibt, die Köhler nicht wählen, um dann zu sagen, das waren die Freien Wähler, die hier anders abgestimmt haben. An uns wird er nicht scheitern, wenn er nicht am Ende an seinen eigenen Leuten scheitert.

Deutschlandradio Kultur: Frau Pauli hat sich aber noch nicht entschieden.

Aiwanger: Frau Pauli hat im Vorfeld gesagt, sie wird Köhler wählen, hat dann aber nach dem Gespräch mit Frau Schwan gesagt, sie wäre wieder nachdenklich geworden, würde noch mal drüber nachdenken, hat aber definitiv noch nicht gesagt, dass sie umschwenkt. Das wird auch nicht passieren. Das kann eigentlich gar nicht passieren. Die Freien Wähler sind als Fraktion auf Horst Köhler eingeschworen. Wir haben gesagt, wir wählen Köhler. Und damit ist das natürlich auch eine Maßgabe für alle, die dort dabei sind.

Deutschlandradio Kultur: Aber warum Horst Köhler und nicht Gesine Schwan? Sie war bei Ihnen, Sie waren begeistert. Sie hat Vorstellungen von Bürgernähe, die Ihnen eigentlich ziemlich nah sein müssten. Aber Sie sagen trotzdem, Horst Köhler ist es, obwohl Sie noch gar nicht mit ihm geredet haben.

Aiwanger: Ich werde mit ihm persönlich noch sprechen vor dieser Bundespräsidentenwahl. Aber natürlich hat er seine Sache bisher ganz gut gemacht. Wir haben keine Notwendigkeit, ihm hier jetzt die Stuhlbeine abzusägen. Er kandidiert noch mal. Er soll unsere Unterstützung haben und damit passt das.

Deutschlandradio Kultur: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Aiwanger: Bitteschön.