Airbus und Europa

Von Gunter Hofmann |
An Handküssen fehlt es nicht. Betont herzlich haben Jacques Chirac und Angela Merkel im neuen Gästehaus der Regierung im brandenburgischen Schloss Meseberg ihren Streit über das gemeinsame Airbusprojekt A 380 und A 350 übertönt. Ein politischer Drahtseilakt, bei dem jeder um seine Interessen hart pokert; ein Konflikt, der von Arbeitsplätzen, Standortvorteilen und von künftigen Technologien handelt, die Chancen auf den umkämpften Weltmärkten versprechen.
Pragmatismus pur, aber das war es dann auch. Insgeheim ging es Frankreich stets um die Kontrolle Deutschlands, des einstigen Erzfeindes, der nach dem Zweiten Weltkrieg fest an der Seite angebunden und europäisch eingebettet werden sollte. Manchmal, wie bei General de Gaulle 1963, spielte noch die Idee hinein, man könne diese Bundesrepublik aus der allzu engen Anbindung an das Transatlantische lösen. Manchmal holprig, im Prinzip aber stetig entwickelte sich das Verhältnis dennoch geradezu mustergültig. 1975 rief Frankreichs Präsident Giscard den Weltwährungsgipfel ins Leben, natürlich von Freund Helmut Schmidt mitbetrieben, später folgte das Europäische Währungssystem, aus dem der Euro hervorging – dieses deutsch-französische "couple" erlebte man im Jahr 2003 im Streit um den Irak-Krieg, Präsident Chirac und Gerhard Schröder verständigten sich auf das Nein. Als 1985 der US-Präsident Ronald Reagan den westlichen Bündnispartnern ein Raketenabwehrsystem zur Abwehr ballistischer Nuklearraketen einreden wollte, verständigten sich der deutsche Außenminister Genscher und sein französischer Kollege und Freund Roland Dumas auf ein "Nein". Sie vereinbarten stattdessen ein ziviles Weltraum-Forschungsprojekt, "Eureka". Das Paar verkündete stolz, SDI sei eine "Episode", Eureka aber ein europäisches Zukunftsprojekt von Dauer. Diese Freundschaft Genscher-Dumas übrigens bewährte sich 1989 und 1990, als es um die Wiedervereinigung und französische Ängste vor einem deutschen "Riesen" in Europa ging.

Auf Betreiben Francois Mitterands wurde 1992 das Eurocorps eingerichtet, mit französischen und deutschen Soldaten im Kern, historisch besehen sensationell. Schließlich: Die mühsame Einigung Paris/Berlin in Nizza im Jahr 2000 oder die Ablehnung des Irak-Krieges. Mit alledem möchte ich nur auf eines hinaus: Der Stolz Frankreichs, beim "zivilisatorischen Projekt" der zwei Nachbarn in der heimlichen Führungsrolle zu sein, machte vieles möglich. Bei jeder größeren historischen Weggabelung fanden die Nachbarn zusammen. Ist dieses Paar Frankreich-Deutschland ein Fossil aus der Gründerzeit?

Wie der Airbus-Streit zeigt, sind wir im Alltag gelandet. Richtig, Paris und Berlin können das Europa der 27 wahrlich nicht allein zusammenhalten. Aber sie können, wie sich im Irak-Streit mit Washington zeigte, noch immer viel in die Waagschale werfen. Noch besser, London säße künftig – Beispiel: Suche nach einer Verhandlungslösung mit Teheran – in der Regel mit im Boot. London - und Warschau! Das wäre ein belastbarer Kern. Wünschen würde man sich also schon, dass die französischen Präsidentschaftsanwärter, Nicolas Sarkozy oder Ségolène Royal, sich spürbar deutlicher daran erinnerten, was dieses Duo bewirken kann, oder was jedenfalls ohne es nicht gelingt – die EU-Verfassung beispielsweise könnten nur beide gemeinsam retten, wenn sie es beide wollen.

Exakt an der Stelle übrigens sucht wenigstens der Überraschungskandidat der Mitte, Francois Bayrou, Flagge zu zeigen: Europa müsse man wollen, es sei jede Anstrengung wert, ruft er der zögerlichen Linken und dem skeptischen Rechten zu. Hierzulande übrigens verhält es sich kein Jota besser: Niedersachsens Ministerpräsident Wulff wünscht, im Airbus-Streit dürfe Deutschland sich nicht ins technologische Abseits drängen lassen – dass er sich hingegen als engagierter Europäer hervorgetan hätte, nein, davon ist leider nichts bekannt. Im Alltag von heute geht es ums Business. Aber Europa ist mehr als Business. Europa, längst ein globaler Mitspieler, braucht alles andere als Provinzpolitik. Den Kreis über das Duo hinaus zu erweitern, wird notwendig sein – aber es fehlt eine offensive Strategie. Immerhin: Nur Deutschland und Frankreich gemeinsam könnten es sich schultern, einer internationalen politischen Rolle Europas Konturen zu geben, die westlich orientiert bleibt, aber nicht auf Vorgaben aus Washington wartet. Vom Paar wird mehr verlangt, nicht etwa weniger, bloß weil die friedliche Nachbarschaft, das Händchenhalten von Kohl und Mitterand über den Gräbern von Verdun, oder der Handkuss von Jacques für Angela, Alltag geworden sind.

Gunter Hofmann, Journalist und Autor, Jahrgang 1942, Dr. phil., seit 1977 bei der Wochenzeitung Die ZEIT, seit 1994 Büroleiter in Bonn, seit dem Regierungsumzug in Berlin, einer der angesehensten Beobachter des deutschen Politikbetriebs, jüngste Buchveröffentlichung: "Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik. Eine Anatomie."