Aiman Mazyek über Integration

"Wir haben ein Umsetzungsdefizit"

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
Angela Merkels "Wir schaffen das" sieht Aiman Mazyek als wegweisende Aussage. © Deutschlandradio / Nicolas Hansen
Aiman Mazyek im Gespräch mit Nana Brink · 31.08.2016
Flüchtlinge in Deutschland seien mangelhaft integriert, sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Das liege zumeist nicht an ihnen selbst, sondern an Hürden wie der Bürokratie. Er warnt davor, auf diese Weise Menschen zu verprellen.
Es hapere vor allem an der praktischen Umsetzung des Integrationsgesetzes, sagt Mazyek: "Wir haben hier kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit". So brauche ein Flüchtling zwischen einem halben und einem Jahr, bevor er einen Integrationskurs bekomme: "Das ist einfach viel zu lang". Vieles scheitere an den Strukturen und der Bürokratie.
Mazyek betont, die meisten Flüchtlinge seien gewillt, sich einzubringen. Wenn man allerdings das Prinzip "Fordern und Fördern" nicht anwende, würden die Menschen träge, dann verkämen auch "ihr Ehrgeiz und ihre Bereitschaft, sich hier einzubringen". Er warne davor, auf diese Weise viele Talente und Kräfte "zu verprellen".

Bei den Fluchtursachen kein Stückchen weiter

Den vor einem Jahr von Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußerten Satz "Wir schaffen das" sieht Mazyek als eine wegweisende Aussage. Diese entspreche unseren freiheitlichen Rechten, der Demokratie und dem Grundgesetz. Auf der anderen Seite bleibe die Integration der Flüchtlinge "eine Mammutaufgabe".
Mit Blick auf die Europäische Union äußert Mazyek, die EU-Krise sei weniger durch die Flüchtlinge verursacht worden, als vielmehr durch "unterlassene Hilfeleistung" und eine "fehlerhafte Außenpolitik". Zur Bekämpfung von Fluchtursachen sagt er: "Leider sind wir da fast kein Stückchen weiter."

Das Interview im Wortlaut:

O-Ton Angela Merkel: "Das Motiv, indem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das. Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden."
Nana Brink: Genau vor einem Jahr hat Kanzlerin Angela Merkel in einer Pressekonferenz jenen legendären Satz gesagt: "Wir schaffen das." Wir schaffen es, Hunderttausende von Flüchtlingen aufzunehmen und auch zu integrieren. Einer, der damals daran zweifelte, war Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, und in einem Interview vor einem Jahr hat er gesagt: "Jene, die meinen, hier in Deutschland ihre Konflikte auszutragen, die haben sofort ihr Recht, hier zu weilen in Deutschland, verwirkt. Die haben hier nichts zu suchen." Schönen guten Morgen, Herr Mazyek!
Aiman Mazyek: Schönen guten Morgen!
Brink: Sie haben sich dann relativ schnell recht strikt positioniert und davor gewarnt, Flüchtlinge in Watte zu packen. Das war recht ungewöhnlich, denn die Mehrheit der Deutschland war ja noch ganz euphorisiert.

Integrationskurs erst nach einem Jahr

Mazyek: Es bleibt nichts dran, dass die Aussage der Kanzlerin wegweisend war und letztendlich ein Statement, das damals auch in der aufgeheizten Debatte zu begreifen war. Wir erinnern uns: Flüchtlingsheime brannten, es waren wieder Ausschreitungen vor allen Dingen in Sachsen zu erkennen, und Deutschland hat ein Stück weit auch eine Verantwortung wahrzunehmen. Und man erinnerte sich auch an unsere eigene Geschichte.
Vor 60 Jahren sind Waggons aus Deutschland in den Tod gegangen, und nun wollte man auf der sicheren, richtigen Seite sein, und das war auch gut so, zu sagen, jetzt kommen Waggons aus dem Tod, von Gebieten, wo es Krieg gibt, und bei uns gibt es Sicherheit und Frieden. Insofern war das eine Aussage, die unseren freiheitlichen Rechten und Demokratie und unserem Grundgesetz entspricht, und das unterstreichen wir.
Aber auf der anderen Seite musste auch gesagt werden und es bleibt dabei, dass die Integration eben so eine Mammutaufgabe ist. Und wir erleben das ja auch gerade hier bei der Diskussion um das Integrationsgesetz – bei den praktischen Dingen hapert es. Wie lange braucht ein Flüchtling, wie viel Zeit braucht er überhaupt, um einen Integrationskurs zu bekommen? Die Zeit zwischen Ankunft und Integrationskurs sind sechs Monate, sind ein Jahr. Das ist einfach viel zu lang. Also wir haben hier kein Erkenntnis-, sondern eher ein Umsetzungsdefizit, und leider hat sich das bewahrheitet.
Brink: Nun hat ja die Kanzlerin auch schon Fehler eingeräumt. Sie hat gesagt, wir haben im Vorfeld eigentlich Fehler gemacht. Wir haben zu lange die Augen zugemacht vor dem, was da eigentlich auf uns zu kommt. Denken Sie – haben Sie das damals auch so gesehen, hat Sie das dazu bewogen, auch Zweifel zu äußern in der ganzen Euphorie?

Unterlassene Hilfeleistung und fehlerhafte Außenpolitik

Mazyek: Ich habe die Zweifel auch damals ausgeweitet mit der Thematik Ursachenbekämpfung von Flüchtlingen, und wir erleben ja Flüchtlingsströme nicht erst seit ein, zwei Jahren, sondern seit vielen Jahren. Der UNHCR spricht von 60 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, und davon sind in Anführungsstrichen gerade einmal knapp über eine Million in Europa. Der Unterschied ist, dass zur früheren Zeit die Probleme meist außerhalb Europas auch sich ansiedelten, also zum Beispiel wie Libanon, Jordanien oder Türkei, allein drei muslimisch geprägte Länder, die über sechs Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Und das hat sich geändert.
Nun sind Flüchtlinge vor der Haustür. Das heißt, wir erleben auch ein Stück weit eine Konsequenz aus einer globalen Politik, auch einer europäischen gescheiterten Politik, und tun das eben vor der eigenen Haustür. Es ist also… Die EU-Krise, die wir haben, ist weniger eine Krise, die durch die Flüchtlinge verursacht worden ist, sondern dadurch, dass wir unterlassene Hilfeleistung, Stichwort Syrien-Krieg, oder dass wir einfach eine fehlerhafte Außenpolitik betrieben haben. Und das ist etwas, was ich auch seinerzeit kritisiert habe. Das heißt, Ursachenbekämpfung. Und leider sind wir da fast kein Stückchen weiter.
Brink: Und Sie haben auch kritisiert ja, dass das ganze Phänomen der Integration, Sie haben es in Ihrer ersten Antwort ja auch schon angesprochen, dass da Defizite passieren, dass es viel zu lange dauert, bis man anerkannt wird, bis dann die ganzen Maßnahmen eigentlich greifen. Sie haben aber auch sozusagen in die Reihen der Flüchtlinge geguckt. Würden Sie Ihre Forderung von damals nach den Spielregeln zur Integration aufrechterhalten, nach dem Motto, wer den Sprachkurs schwänzt, der fliegt?

Ohne Fördern und Fordern werden die Menschen träge

Mazyek: Natürlich. Ich würde das unterstreichen. Aber wir sehen – nochmals, die Defizite liegen nicht am Schwänzen. Die Menschen, die Flüchtlinge, die hergekommen sind, zu allermeist sind gewillt, sich einzubringen. Sie haben ein sicheres Terrain gefunden, sie sind vor Krieg, sie sind vor Leid und Tod geflüchtet. Sie sind bereit, sich hier mit einzubringen. Was wir nicht machen dürfen, und wir haben ja auch aus der früheren Vergangenheit gelernt oder sollten gelernt haben aus den Fehlern – das meinte ich mit Fördern und Fordern.
Wenn wir es nicht tun, Fördern und Fordern, dann werden die Menschen träge. Dann werden die Menschen auch ihren Ehrgeiz und ihre Bereitschaft, hier sich einzubringen – sie verkommt. Das ist auch psychologisch ein Vorgang, der nachvollziehbar ist. Und damit würden wir viele Talente und viele Kräfte verprellen. Und das dürfen wir nicht, und davor warne ich. Auch die Diskussion, die danach entstanden ist, dass man die Sicherheitsdiskussion mit den Flüchtlingen verknüpft, war natürlich fatal. Und da müssen wir weg.
Das heißt, nochmals, wir haben hier kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsdefizit, und das Integrationsgesetz zeigt das sehr deutlich. Gut gemeint, aber letztendlich scheitert vieles an der Struktur, an der Bürokratie.
Brink: Ganz kurze, letzte Frage: War es dennoch richtig, die deutsche Bevölkerung, und damit meine ich auch die muslimischen Deutschen, aufzufordern, "Wir schaffen das"?
Mazyek: Der Satz als solcher ist richtig, weil er deutet an, dass wir – wir haben ja auch keine andere Alternative. Wir müssen anpacken, wir müssen auch die Verantwortung als Deutschland wahrnehmen. Wir müssen die Verantwortung auch als muslimische Gemeinden, die ja auch eine ganze Menge gemacht haben, die in ihren eigenen Reihen ganz viel sich neu anpassen mussten, viele Gemeinden, ohnehin schon klein, mussten eben noch weitere Flüchtlinge auch aufnehmen, und das war durchaus eine Herausforderung. Also diese Arbeit musste getan werden, wenn wir Verantwortung in der Welt und wenn wir Verantwortung in Europa wahrnehmen.
Brink: Vielen Dank, Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Danke für das Gespräch!
Mazyek: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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