Ai Weiweis Corona-Doku "Coronation"

Chronik der Katastrophe

06:32 Minuten
Vier Krankenschwestern im Schutzanzug betrachten Reagenzgläser mit Virenproben durch ihre Schutzbrillen.
Ai Weiwei zeigt in "Coronation" die Tristesse des Lockdowns, sagt Kritiker Carsten Probst. © Ai Weiwei Studio
Von Carsten Probst · 21.08.2020
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In seinem Dokumentarfilm "Coronation" blickt Ai Weiwei in das Zentrum der Coronakrise - nach Wuhan. Private Clips montiert Ai zu einer Studie über die Ausbreitung des Virus. Und zeigt dabei, wie die Regierung totale Kontrolle ausübt.
Die Dokumentation zeichnet eine zeitliche Abfolge nach: vom Beginn der Pandemie über den Lockdown bis zu dem Zeitpunkt, an dem die ersten Lockerungen einsetzten. Dazu hat Ai Weiwei für seinen Film Material von gewöhnlichen Bürgern und Bürgerinnen in der Region verwendet, wie es in der Pressemitteilung heißt, oft scheinbar private Clips. Aber auch einige professionelle Aufnahmen, die er für den Film aneinandergeschnitten hat.
Anders als im viel kritisierten "Human Flow" taucht Ai Weiwei diesmal an keinem Punkt selbst im Film auf. Das liegt natürlich schon deshalb auf der Hand, weil es schwerfällt, sich vorzustellen, dass er in China, insbesondere in Wuhan während des Lockdowns, frei hätte filmen können.

Die Ästhetik der Katastrophe

Vieles spricht dafür, dass Ai von vornherein die Absicht verfolgte, den Lockdown in Wuhan zu dokumentieren und frühzeitig Helfer in der Region aktiviert hat, ihm passende Bilder zu liefern.
Aber es gibt in "Coronation" auch wieder die Drohnenüberflüge zu sehen, die dem Künstler in "Human Flow", seiner Dokumentation über Flüchtlinge, als viel zu schön vorgeworfen wurden, als zu erhaben für die Katastrophe.
Bei "Coronation" unterstreicht die Ästhetisierung indes eher den Horror Vacui, die Tristesse des Lockdowns und wirkt dadurch weniger aufdringlich. Mehr als ein Film über die Corona-Krise ist es eine Studie über das Vorgehen des Systems in China geworden. Eine Studie über soziale Kontrolle.
Der Film beginnt mit einem Drohnenüberflug über den zentralen Bahnhof von Wuhan während des Lockdowns. Dumpf wummernde Musik unterstreicht die gespenstische Atmosphäre wie in einer Totenstadt. In der nächsten Szene versucht jemand, mit dem Auto nach Wuhan zu fahren. Er wird an Polizeisperren aufgehalten, muss seine Temperatur messen lassen, darf weiterfahren über menschenleere Highways. Und dort, in Wuhan, so scheint es, weiß niemand irgendetwas von einem gefährlichen Virus.

"Von den Behörden umgebracht"

Später, als sich das Virus nicht mehr leugnen lässt, als das improvisierte Hospital in Wuhan in Windeseile hochgezogen wird, gehen die Beschwichtigungen weiter. Ein Mann wird in seinem Auto interviewt. Er muss seiner Verzweiflung Luft machen. Der Mann schildert, wie die Behörden ständig die Gefahr geleugnet hätten. Sogar Spezialisten hätten verbreitet, das Virus werde sich wohl nicht weiter verbreiten. Das sei der Grund gewesen, weshalb er seinen Vater nach Wuhan zurückgeschickt habe. Und da sei er umgekommen – von den Behörden umgebracht.
Solche unmittelbar bewegenden Momente gibt es gegen Ende des Film einige. Ai Weiwei zeichnet das Bild einer total kontrollierten Gesellschaft. Die Menschen dürften nicht einmal ihre gestorbenen Angehörigen begraben, ohne dass sie dabei überwacht würden.
So wirkt der Film als Metapher für die charakteristische Art der Unterdrückung in China, als Ventil für die kritischen, wütenden, verzweifelten Stimmen aus der Bevölkerung, durchaus anwendbar auf vergleichbare Situationen, etwa in Hongkong. Der Staat pflegt derweil seine Selbstinszenierung: für alle da zu sein und für alles eine Lösung zu haben.

Ai Weiwei – Coronation
2020, 113 Minunten
Seit 21.08.2020 auf Vimeo on Demand

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