Ai Weiwei zu seinem Projekt "Priceless"

"Für echte Kunst braucht man Mut"

Der chinesische Künstler Ai Weiwei im Dezember 2017
"Kunst verändert unseren Blick auf die Welt", sagt Ai Weiwei. © picture alliance / dpa / CTK / Michal Krumphanzl
Moderation: Max Oppel · 31.08.2018
In seinem Projekt "Priceless" fragt der chinesische Künstler Ai Weiwei nach dem Wert des Lebens - und erschafft hierzu eine virtuelle Währung. Ein Künstler müsse mit der Tradition brechen, sagt Ai Weiwei im Gespräch.
Max Oppel: Der chinesische Künstler Ai Weiwei macht mit seinen Werken auf die Missstände dieser Welt aufmerksam – zuletzt hat er in seinem Film "Human Flow" das Elend der Flüchtlinge in 23 Ländern gezeigt und versucht, zu verstehen – warum so viel Ungerechtigkeit herrscht. Warum der eine Mensch mehr wert zu sein scheint als der andere.
In seinem neuen Projekt "Priceless" geht Ai Weiwei zusammen mit dem irischen Konzeptkünstler Kevin Abosch noch einen Schritt weiter. Er fragt provokativ: "Wie viel ist das menschliche Leben wert?" Und erschafft eine virtuelle Währung: Einen Gegenwert für eigentlich Unbezahlbares, zum Beispiel einen Spaziergang oder das gemeinsame Teetrinken.
Der chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Berliner Atelier mit "Kompressor"-Moderator Max Oppel beim Interview
Der chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Berliner Atelier mit "Kompressor"-Moderator Max Oppel © Nadine Stenke
Jeder kann also jetzt ein Shareholder werden an Momenten aus dem Leben von Ai Weiwei und Kevin Abosch, indem er Anteile erwirbt: und zwar in Form einer Kryptowährung – so wie Bitcoin eine ist. Wie soll das nun genau funktionieren und wozu das Ganze? Das habe ich Ai Weiwei in seinem Atelier in Berlin gefragt – und er hat mir Folgendes erzählt:
Ai Weiwei: Es geht in diesem Projekt um die Auseinandersetzung mit Werten, wie immer in meinen Arbeiten: Wie bewerten wir etwas? Warum ist manches wichtig, anderes unwichtig? Wie treffen wir Entscheidungen - aus welchen Gründen? Meist gilt ja etwas als wertvoller, wenn viel Arbeit darin steckt, Aufwand. Doch das erklärt nicht, warum ein van Gogh Millionen wert ist. Wer entscheidet das – auf welcher Grundlage?
Und mit den Werten ist es noch viel komplexer: Menschenrechte, Redefreiheit, Menschlichkeit: Das kann man nicht bewerten oder bezahlen. Dennoch maßen sich Menschen an, die Freiheit oder die Rechte anderer gering zu schätzen, also zu sagen: Deine Freiheit und deine Würde ist weniger wert als meine. Also, was wir hier machen, ist direkt mit dieser Frage verbunden: Wir haben hier zwei virtuelle "Münzen" oder Währungen, von denen jeder einen Anteil bekommen kann, man hat seinen eigenen Code, eine virtuelle Internet-Adresse, unter der ein Anteil an meinem und Kevin Aboschs Leben hinterlegt ist. Hat das jetzt einen Wert oder nicht? Um diese Frage geht es uns."

Ständiger Versuch, etwas Neues zu begreifen

Max Oppel: So weit also die erste Erklärung von Ai Weiwei. Aber so schwierig ist es doch zu verstehen, wie sich dieses Kunstwerk materialisieren soll. Also, Ai Weiwei, was halte ich denn als Anteilseigner in der Hand?
Ai Weiwei: Du kannst diese virtuellen Währungs-Adressen auf Papier ausdrucken, wie ein Bild von Gerhard Richter – es fungiert als Werk und Unterschrift des Künstlers zugleich: Du kannst es benutzen, du kannst es zerstören oder auch verschenken – es ist virtuell, aber es funktioniert wie ein Teil unseres Wertesystems. Nur mit einem Wertesystem sind wir eine menschliche Gemeinschaft.
Max Oppel: Um das zu verstehen, muss man sich aber doch recht weit in die Abstraktion hinein denken – und die Ironie und die Kritik an Kunst und Kapitalismus erkennen, die darin steckt. Sie könnten die Message, dass menschliches Leben nicht bewertbar ist, ja auch realer und handfester rüberbringen: In Form von Kunst, die man sehen und anfassen kann.
Ai Weiwei: Nein, das muss nicht unbedingt sein, die Zeiten haben sich geändert: In Japan zum Beispiel gibt es eine neue Generation, die in der virtuellen Realität lebt, die nicht mehr das Haus verlässt. Die machen alles zu Hause, suchen nicht mal einen Job draußen. Das ist eine Parallelwelt. Ich sehe das auch an meinem Sohn: Wie er Computerspiele liebt – das ist eine andere Realität für die jungen Leute. Also diese Virtualität ist eine eigene Welt mit einer eigenen Sprache.
Max Oppel: Sie passen sich also als Künstler dieser Parallelwelt an?
Ai Weiwei: Ich versuche dazuzulernen – bei allem was ich tue, versuche ich, etwas Neues zu begreifen. Als ich dieses Projekt "Priceless" mit Kevin Abosch zusammen gemacht habe - er kennt sich viel besser aus mit virtuellen Währungen - da haben wir überlegt, wie wir ein anderes System erschaffen können: Ohne reales Geld, ohne etwas, das man anfassen kann – und vor allem ohne Banken, diese Bastarde, die dein Geld nehmen, dich aber nicht vor Verlusten schützen. Das Internet verändert alles komplett, auch die Kunstwelt, es gibt so viele neue Möglichkeiten.
Max Oppel: Sind die virtuellen Währungen nicht auch zu dem Zweck entstanden, Profit zu machen?
Ai Weiwei: Ja, das war die Idee, aber man kann mit ihnen auch viel Gutes tun. Man muss das System nutzen, um das System zu zerstören. Das Spiel mitspielen, um nicht rauszufliegen. Mein Ziel ist es, nicht Angst zu haben vor neuen Technologien, sondern sie zu nutzen.

Kunst muss mehr sein als Dekoration

Max Oppel: Ist das Kunst?
Ai Weiwei: Das ist Kunst in dem Moment, wo wir es Kunst nennen. Kunst ist etwas, was unseren Blick auf die Welt verändert und unsere Ästhetik - das ist echte Kunst, dafür braucht man Mut und Geschicklichkeit. Aber das, was wir normalerweise als Kunst bezeichnen, das ist keine. Sondern Dekoration. Der immer gleiche Müll, Ideen, die seit hunderten von Jahren vor sich hingammeln. Das ist ein Problem. Ein Künstler muss mit der Tradition brechen. Sonst kaut er immer denselben Müll wieder."
Max Oppel: Sie knüpfen Ihre Arbeiten seit einigen Jahren an das Thema Flüchtlinge weltweit, so auch "Priceless". Mit dem Hinweis, dass man am Schicksal der Geflüchteten und dem Umgang mit ihnen sehen kann, wie unser Werte-System versagt. Wann ist Ihnen klar geworden, dass das Ihre Mission ist?
Ai Weiwei: Als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, habe ich festgestellt, dass ich selbst Flüchtling bin. Seit meiner Geburt. Ich bin aus meiner Heimat vertrieben worden, vor der ich bis heute Angst habe, die mir nach dem Leben trachtete. Ich denke aber, auf der Flucht zu sein, das ist ein weit verbreiteter, allgemeiner Zustand. Wenn wir keine Flüchtlinge sind, dann unsere Eltern oder Großeltern. Oder später unsere Kinder. Fluchtbewegungen sind ein natürlicher Zustand auf der Welt – und sie haben viele positive Entwicklungen bewirkt. Also sollten wir sie nicht als angebliche widernatürliche Durchmischung betrachten, sondern als Chance, dass die Menschheit daraus gestärkt hervorgeht."
Max Oppel: Ai Weiwei, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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