Ahnungslos in einer sexualisierten Gesellschaft
In unserer Gesellschaft ist Sexualität allgegenwärtig, doch um die Sexualaufklärung ist es offenbar nicht gut bestellt. Denn 2004 brachten 7000 Mädchen unter 18 Jahren Kinder zur Welt - das waren rund 45 Prozent mehr als 1998. Warum diese Zahlen so dramatisch gestiegen sind und was Eltern bei der Aufklärung ihrer Kinder besser machen können, beschreibt der Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge in seinem Buch "Von wegen aufgeklärt!".
"Woher kommen denn die Kinder?", fragt die sechsjährige Jessica ihren Vater. Eine unverblümte Frage, die nach einer unverblümten Antwort verlangt. Eigentlich. Doch Volker Apel hat sich vorbereitet. Er hat Seminare zum Thema Sexualaufklärung besucht und Broschüren gelesen. Ausführlich spricht er über Lust, über seinen Penis, über die feuchte Scheide der Mutter und den Samenerguss. Er erklärt, was Hormone sind und erzählt vom Ablauf einer Geburt. Alles, was er zum Thema weiß, bricht förmlich aus ihm heraus. Einem Fachvortrag gleich doziert er. Sehr zum Schrecken seiner Tochter: Mit offenem Mund sitzt sie vor ihm, um am Ende seiner langen Ausführungen sicher zu sein: Kinder will sie keine. Nix zu machen!
Schon auf den ersten Seiten seines überaus gelungenen Buches "Von wegen aufgeklärt!" gelingt es Jan-Uwe Rogge das zentrale Problem beim Thema Aufklärung auf den Punkt zu bringen: Wir alle, Erwachsene eingeschlossen, wissen zwar viel über das Thema, sind aber selten in der Lage, es richtig und angemessen zu besprechen. Viel zu oft, so Rogge, bleiben bei diesen Gesprächen Empathie und Einfühlungsvermögen auf der Strecke. Sexualität wird somit auf einen rein technischen Vorgang reduziert. Darüber hinaus scheint es fast so, als seien viele Eltern froh, wenn sie ihre Informationen einmal geballt ablassen könnten, um sich dann dem Thema nur noch marginal widmen zu müssen. Wie im Falle Jessicas. Da überlädt der bemühte Vater seine Tochter gleich bei der ersten Frage mit Fachwissen, ohne zu berücksichtigen, wo seine Tochter in ihrer Entwicklung steht. Er überfordert sie.
Wichtig, so schreibt Rogge, ist es, nicht alles, was man weiß, in seine Antworten hinein zu packen! Vielmehr fordert der Erziehungsexperte dazu auf: Konkret, anschaulich und emotional zu sein! Denn nicht selten verstecken sich hinter Kinder- und Jugendfragen Sorgen oder Sehnsüchte – und weniger die Suche nach nackten Fakten. Wenngleich auch die nicht verschwiegen werden sollen – nur der Zeitpunkt muss eben stimmen. Eltern müssen lernen, behutsam mit dem Thema umzugehen und sie müssen lernen: Sexualerziehung hört nie auf! Sie ist Begleitung ins Leben und gehört deshalb zum täglichen Leben dazu. Und so braucht selbst die 15-jährige Tochter oder der 17-jährige Sohn den Rat und Beistand der Erwachsenen. Auch wenn sie selbst das vielleicht abstreiten würden.
Damit die Erwachsenen dieser mitunter nervenaufreibenden Aufgabe gewachsen sind, nimmt Rogge seine Leser mit auf eine spannende und unterhaltsame Reise in die Welt der Sexualität. Angefangen vom Kindergartenkind, über die Schuljahre hin zur Pubertät erklärt er ausführlich, was bei Kindern und Jugendlichen im Körper passiert, wie ihr Hirn strukturiert ist, wie es sich umwandelt und zu welchem Zeitpunkt die Hormone zuschlagen. Dabei werden Doktorspiele, Selbstbefriedigung und der Umgang mit "schmutzigen Wörtern" genauso thematisiert wie die Bereiche "früher Sex", Verhütung und Pornografie. Ein kleines Extrakapitel widmet er dem Thema Homosexualität. Einem roten Faden gleich, appelliert Rogge durchgehend an die Erwachsenen, Kinder so anzunehmen wie sie sind. Er fordert auf, sich dem Thema Sexualität zu stellen und falls nötig, mit einfachen Worten Erklärungen zu finden oder - falls nötig - Grenzen zu setzten. Authentisch zu reagieren, so sein Credo, ist am besten.
Ganz wichtig dabei: Die Pubertät setzt immer früher ein und damit auch die Geschlechtsreife. Das müssen Eltern begreifen, wollen sie ihre Kinder vor ungewollten Schwangerschaften schützen. Denn obwohl viele Jugendliche (zumindest oberflächlich) aufgeklärt sind, findet bei 20 Prozent von ihnen der erste Geschlechtsverkehr ohne Schutz statt. Vor allem dann, wenn die Kinder besonders jung sind, also erst 12 oder 13 Jahre alt sind. Einem magischen Denken anhängend, glauben viele von ihnen, beim ersten Mal könne einfach nichts passieren. Wie falsch das ist, zeigt ein Blick in die Statistik: 7000 Mädchen, die 18 Jahre oder jünger waren, brachten im Jahr 2004 Kinder zur Welt. Dazu kamen etwa noch mal genauso viele Schwangerschaftsabbrüche bei unter 18-Jährigen. Auch davon schreibt Rogge.
Und genau das macht sein Buch so lesenswert: Es ist eine geniale Mischung aus Sachbuch auf der einen und Unterhaltungslektüre auf der anderen Seite. So zitiert der Autor die derzeit wichtigsten Sexualforscher und ihre Studien, lässt Hirnforscher wie Mediziner zu Wort kommen und nennt die neusten Zahlen der Statistiker, aber immer lässt er auch Kinder, Jugendliche und Eltern selbst zu Wort kommen. Und genau diese Gespräche sind es, die dem Thema die Schwere nehmen. Nicht selten muss man laut auflachen, erinnert sich an die eigene Jugend und an die eigenen, wie es damals schien, unlösbaren Probleme. Das macht Spaß zu lesen. Zumal Rogge damit deutlich macht: Kinder und Jugendliche heute, mögen zwar mehr Zugang zu Informationsquellen haben, sind aber genauso wie Generationen vor ihnen mit den Veränderungen und Sehnsüchten ihres Körpers überfordert. Sie sind geplagt von Ängsten über Unzulänglichkeiten, haben Angst, ihr Busen oder Penis sei zu klein oder wenig schön, um den/die Partner/in zu befriedigen. Was zeigt: Selbstbewusstsein kann kein Internet, keine TV-Serie stärken, das können nur Eltern. Denn sie sind es, die dank einer gelungenen Sexualerziehung bei ihren Kindern die Akzeptanz des eigenen Körpers und damit auch deren Einfühlungsvermögen stärken.
Rezensiert von Kim Kindermann
Rogge, Jan-Uwe: Von wegen aufgeklärt! Sexualität bei Kindern und Jugendlichen
Rowohlt 2006
254 Seiten, 14,90 Euro
Schon auf den ersten Seiten seines überaus gelungenen Buches "Von wegen aufgeklärt!" gelingt es Jan-Uwe Rogge das zentrale Problem beim Thema Aufklärung auf den Punkt zu bringen: Wir alle, Erwachsene eingeschlossen, wissen zwar viel über das Thema, sind aber selten in der Lage, es richtig und angemessen zu besprechen. Viel zu oft, so Rogge, bleiben bei diesen Gesprächen Empathie und Einfühlungsvermögen auf der Strecke. Sexualität wird somit auf einen rein technischen Vorgang reduziert. Darüber hinaus scheint es fast so, als seien viele Eltern froh, wenn sie ihre Informationen einmal geballt ablassen könnten, um sich dann dem Thema nur noch marginal widmen zu müssen. Wie im Falle Jessicas. Da überlädt der bemühte Vater seine Tochter gleich bei der ersten Frage mit Fachwissen, ohne zu berücksichtigen, wo seine Tochter in ihrer Entwicklung steht. Er überfordert sie.
Wichtig, so schreibt Rogge, ist es, nicht alles, was man weiß, in seine Antworten hinein zu packen! Vielmehr fordert der Erziehungsexperte dazu auf: Konkret, anschaulich und emotional zu sein! Denn nicht selten verstecken sich hinter Kinder- und Jugendfragen Sorgen oder Sehnsüchte – und weniger die Suche nach nackten Fakten. Wenngleich auch die nicht verschwiegen werden sollen – nur der Zeitpunkt muss eben stimmen. Eltern müssen lernen, behutsam mit dem Thema umzugehen und sie müssen lernen: Sexualerziehung hört nie auf! Sie ist Begleitung ins Leben und gehört deshalb zum täglichen Leben dazu. Und so braucht selbst die 15-jährige Tochter oder der 17-jährige Sohn den Rat und Beistand der Erwachsenen. Auch wenn sie selbst das vielleicht abstreiten würden.
Damit die Erwachsenen dieser mitunter nervenaufreibenden Aufgabe gewachsen sind, nimmt Rogge seine Leser mit auf eine spannende und unterhaltsame Reise in die Welt der Sexualität. Angefangen vom Kindergartenkind, über die Schuljahre hin zur Pubertät erklärt er ausführlich, was bei Kindern und Jugendlichen im Körper passiert, wie ihr Hirn strukturiert ist, wie es sich umwandelt und zu welchem Zeitpunkt die Hormone zuschlagen. Dabei werden Doktorspiele, Selbstbefriedigung und der Umgang mit "schmutzigen Wörtern" genauso thematisiert wie die Bereiche "früher Sex", Verhütung und Pornografie. Ein kleines Extrakapitel widmet er dem Thema Homosexualität. Einem roten Faden gleich, appelliert Rogge durchgehend an die Erwachsenen, Kinder so anzunehmen wie sie sind. Er fordert auf, sich dem Thema Sexualität zu stellen und falls nötig, mit einfachen Worten Erklärungen zu finden oder - falls nötig - Grenzen zu setzten. Authentisch zu reagieren, so sein Credo, ist am besten.
Ganz wichtig dabei: Die Pubertät setzt immer früher ein und damit auch die Geschlechtsreife. Das müssen Eltern begreifen, wollen sie ihre Kinder vor ungewollten Schwangerschaften schützen. Denn obwohl viele Jugendliche (zumindest oberflächlich) aufgeklärt sind, findet bei 20 Prozent von ihnen der erste Geschlechtsverkehr ohne Schutz statt. Vor allem dann, wenn die Kinder besonders jung sind, also erst 12 oder 13 Jahre alt sind. Einem magischen Denken anhängend, glauben viele von ihnen, beim ersten Mal könne einfach nichts passieren. Wie falsch das ist, zeigt ein Blick in die Statistik: 7000 Mädchen, die 18 Jahre oder jünger waren, brachten im Jahr 2004 Kinder zur Welt. Dazu kamen etwa noch mal genauso viele Schwangerschaftsabbrüche bei unter 18-Jährigen. Auch davon schreibt Rogge.
Und genau das macht sein Buch so lesenswert: Es ist eine geniale Mischung aus Sachbuch auf der einen und Unterhaltungslektüre auf der anderen Seite. So zitiert der Autor die derzeit wichtigsten Sexualforscher und ihre Studien, lässt Hirnforscher wie Mediziner zu Wort kommen und nennt die neusten Zahlen der Statistiker, aber immer lässt er auch Kinder, Jugendliche und Eltern selbst zu Wort kommen. Und genau diese Gespräche sind es, die dem Thema die Schwere nehmen. Nicht selten muss man laut auflachen, erinnert sich an die eigene Jugend und an die eigenen, wie es damals schien, unlösbaren Probleme. Das macht Spaß zu lesen. Zumal Rogge damit deutlich macht: Kinder und Jugendliche heute, mögen zwar mehr Zugang zu Informationsquellen haben, sind aber genauso wie Generationen vor ihnen mit den Veränderungen und Sehnsüchten ihres Körpers überfordert. Sie sind geplagt von Ängsten über Unzulänglichkeiten, haben Angst, ihr Busen oder Penis sei zu klein oder wenig schön, um den/die Partner/in zu befriedigen. Was zeigt: Selbstbewusstsein kann kein Internet, keine TV-Serie stärken, das können nur Eltern. Denn sie sind es, die dank einer gelungenen Sexualerziehung bei ihren Kindern die Akzeptanz des eigenen Körpers und damit auch deren Einfühlungsvermögen stärken.
Rezensiert von Kim Kindermann
Rogge, Jan-Uwe: Von wegen aufgeklärt! Sexualität bei Kindern und Jugendlichen
Rowohlt 2006
254 Seiten, 14,90 Euro