Ahnenforschung in Mecklenburg

"Wir hatten hier keine Juden"

Bilder an Familienstammbaum.
Bilder an Familienstammbaum. © imago stock&people
Alexa Hennings · 11.10.2017
Zwei Familienforscher arbeiten im Alleingang die jüdische Geschichte Mecklenburgs auf. Jede freie Minute verbringen sie in Archiven und Bibliotheken. Sogar eine genealogische Datenbank führen sie – privat finanziert. Nicht jedem gefällt ihr Engagement.
Ein sonniger Herbsttag in Schwerin. Ideales Wetter zum Fotografieren, Sylvia Ulmer hat Glück. Der alte jüdische Friedhof wird aufgeschlossen, extra für sie, den Gast aus Berlin.
Ich bin heute hier, um die Steine, die noch vorhanden sind auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Schwerin, zu dokumentieren und mache Fotos. Einmal die Vorderseiten und die Rückseiten. Weil – es verschwinden auch Steine. Leider muss ich sagen, denn ich mag das, solche Steine zu sehen und zu lesen und zu erkennen, wer mal wozu gehört hat. Das finde ich halt schade, und deshalb wollen wir wirklich alle Steine, dass das mal festgehalten wird, in die Archive geben. Es ist schade, wenn so was verloren geht. Es gehört nun mal zu unserer Geschichte, zur guten oder zur schlechten, völlig egal – aber es gehört dazu.
Februar 1832, Josua Falk Albu, Oberrabbiner, stirbt in Schwerin.
November 1856, Dr. Isidor Carl Bernhard, Bauingenieur, in Goldberg geboren.
Der alte jüdische Friedhof von Schwerin wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und als Flak-Stellung benutzt. Viele Steine gingen verloren, knapp 50 wurden 1947 wieder aufgestellt. In Halbkreisen, weil keiner mehr wusste, wo sich die Gräber wirklich befinden. Die ältesten Grabsteine stammen aus dem 18. Jahrhundert. Immer unleserlicher wird die Schrift. Flechten haben sich breit gemacht. Sylvia Ulmer reibt mit bloßen Händen darauf herum, um doch noch etwas zu entziffern.
Dummerweise habe ich mein Butterbrotpapier vergessen.
Butterbrotpapier auf dem Friedhof?
Na wie in der Schule, abpausen! Bleistift und Butterbrotpapier, und dann wird das abgepaust, damit ich es zuhause lesen kann (lacht).

Butterbrotpapier dem Fotoapparat überlegen

Beim Schriften entziffern ist das Butterbrotpapier dem Fotoapparat klar überlegen, weil sich die verwitterten Buchstaben auf dem Papier viel deutlicher abheben als auf einem Foto.
Und wenn man in 20 Jahren feststellt, hier ist gar nichts mehr, dann kann man vielleicht darauf zurückgreifen und sagen: Oh, da gab’s mal was.
Da gab es einmal ein jüdisches Leben in Mecklenburg. Menschen wurden geboren und starben, zogen hierher und wieder weg, durften bleiben und arbeiten oder wurden vertrieben oder umgebracht.
November 1942, Emmy Behrend, Neukahlen, stirbt in Theresienstadt.
Februar 1818, Jacob Jacobsohn, Landschafts- und Stillebenmaler, in Ludwigslust geboren.
November 1813, Marcus Lazarus Jaffe, Oberrabbiner, stirbt in Schwerin.
Sylvia Ulmer steht vor einem porösen Grabstein. Ein Knallerbsenstrauch behindert die Sicht. Sie biegt die Zweige zur Seite – und freut sich.
Das ist meine Lieblingsfamilie. Die Familie Ladewig. Ladewig war nämlich unser erstes Buch, das wir geschrieben haben. Das faszinierte uns derartig, dass wir über diesen Familienclan sehr viele Unterlagen gefunden haben und das war der Auslöser, dass wir ein Buch geschrieben haben. Bis auf vier oder fünf sind alle dem Holocaust leider zum Opfer gefallen. Es war eine sehr tragische Geschichte, die viele Familien natürlich betrifft. Aber die ist uns ans Herz gewachsen (lacht). Das war so faszinierend, das erste Eintauchen in die Recherchearbeit und in die Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte überhaupt.

"Entjudet – wie man im Nazi-Sprachgebrauch sagte"

Wir – das sind Sylvia Ulmer und Jürgen Gramenz. Die Verwaltungsangestellte aus Berlin und den Softwareentwickler aus Halle vereint ihr Hobby: die Familienforschung.
Ich bin, wie man so schön sagt, wie die Jungfrau zum Kinde zur jüdischen Geschichte in Mecklenburg gekommen. Ich war als Kind schon sehr interessiert an der Genealogie. Wir hatten einen Familienstammbaum bis ins 17. Jahrhundert zurück. Allerdings bin ich in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ich ein Nazienkel bin. Mein deutscher Großvater war seit 33 bei der allgemeinen SS, seit 39 bei der Waffen-SS. War später – aber das habe ich erst nach der Wende herausbekommen – 1939 als Mitglied der Totenkopfverbände im Ghetto Litzmannstadt eingesetzt. Und ist von dort zur SS-Kavallerie-Brigade Fegelein gekommen. Und diese Einheit hat eine Blutspur durch Weißrussland und die Ukraine gezogen. Wie man damals im Nazi-Sprachgebrauch sagte, haben sie jede Ortschaft "entjudet",
erzählt Jürgen Gramenz.
Im Jahr 2010 war es, als der Hallenser Familienforscher eine für ihn erschütternde Entdeckung machte: Der Nazi-Großvater war adoptiert worden, dessen leiblicher Vater war ein jüdischer Rechtsanwalt aus Berlin.
Die weiteren Nachforschungen nach seinen Vorfahren haben mich dann mehr oder weniger nach Mecklenburg gebracht. Und in dem Zusammenhang habe ich dann übers Internet meine Kollegin Frau Ulmer kennengelernt. Und wir haben uns dann sozusagen aufgeteilt bei den Recherchen in Mecklenburg. Ich war persönlich dann mehrfach vor Ort, in den Orten, wo ich jüdische Vorfahren vermutet habe. Und habe dann sehr schnell mitbekommen, dass es sehr viele weiße Flecken in der jüdischen Geschichte in Mecklenburg gibt. Vor allem in den kleineren Landstädten. Wir haben dort öfter gehört: Hier gab’s keine Juden. Das hat uns dann mehr oder weniger bewogen, dem Ganzen einen größeren Rahmen zu geben und auf ganz Mecklenburg auszuweiten.

Privates Projekt: "Die Juden von Mecklenburg"

Das Projekt – privat finanziert von den beiden Familienforschern – heißt "Die Juden von Mecklenburg" und umfasst die jüdische Geschichte der Region von ihren Anfängen bis heute. Drei Bücher haben Sylvia Ulmer und Jürgen Gramenz schon herausgebracht und das Internetportal "Juden in Mecklenburg" eingerichtet. Darin findet man Wissenswertes über berühmte Persönlichkeiten, erfährt etwas über Judenlandtage und Emanzipationsedikte, über Prozesse und Pogrome, Gemeindeordnungen, Ab- und Zuwanderungen, Firmen, Friedhöfe und Synagogen. Kernstück der Website ist jedoch eine genealogische Datenbank mit 30.000 Namen.
Unsere sogenannte Getcom, wie man diese genealogische Datenbank auch nennt, die hat eine eigene Geschichte. Es gab eine jüdische Familie namens Ladewig in Mecklenburg, da gab es auch einen Rechtsanwalt darunter, der war genealogisch interessiert. Der hat schon ungefähr in den 20er Jahren einen Familienstammbaum schriftlich aufgestellt bis ins 18. Jahrhundert zurück. Dieser Anwalt konnte fliehen und er hat diesen Stammbaum auch mitgenommen. Und ihn dann im Endeffekt in Amerika weiter vererbt. Der ist dann über verschlungene Wege zu einer weiter entfernten Cousine nach Hawaii gekommen. Und die hat mir im Jahr 2010 diesen Stammbaum zur Verfügung gestellt und das wurde dann zur Basis unserer Datenbank, auf der haben wir aufgebaut. Wir haben mit 4.000 Namen angefangen und sind jetzt mittlerweile bei knapp 30.000. Man muss dazu sagen, das sind nicht alles Mecklenburger Juden, wir erfassen tatsächlich alle Vorfahren und alle Nachfahren Mecklenburger Juden. Um zu wissen, wo kamen sie her und wo sind sie abgeblieben? Um später auch eine verlässliche Zahl zu haben, wie viele Holocaustopfer gab es während der Nazizeit.

Jüdische Geschichte per Twitter

Wer den Familienforschern auf Twitter folgt, kann jeden Tag eine Kurznachricht aus der jüdischen Geschichte Mecklenburgs lesen. Lebensdaten ebenso wie Ereignisse. Quer durch die Zeiten, jeweils nach Datum von einem Programm ausgesucht. Da ist es recht nützlich, wenn man, wie Jürgen Gramenz, Softwareentwickler ist.
14.April 1266, erste urkundliche Erwähnungen von Juden in Wismar.
Oktober 1492, 25 jüdische Männer und zwei Frauen werden nach einem Hostienschänderprozess.in Sternberg verbrannt.
Februar 1894, Walter Heine in Neubrandenburg geboren, gefallen 1914.
Solche Twitter-Accounts gibt es natürlich schon, aber nicht zur jüdischen Geschichte in Mecklenburg. Wir haben die Webseite deswegen erstellt, um Interessierten zu zeigen, dass es mal fast in jedem Ort jüdische Mitbürger gegeben hat. Nicht mit dem moralischen Zeigefinger. Sondern das soll ein Angebot sein: Wer Interesse hat, kann sich informieren, wer nicht, muss das natürlich auch nicht tun.

"Wir haben hier noch Täterfamilien, wir wollen keinen Ärger"

Seit Jahren verbringen Jürgen Gramenz und Sylvia Ulmer fast jeden Urlaub in Archiven und Bibliotheken des Landes. Eine Sisyphos-Arbeit. Die erste, die wirklich ganz Mecklenburg umfasst. Nicht überall ist das gern gesehen. Sie bekommen nicht nur zu hören: "Wir hatten hier keine Juden." Sondern auch: "Die SA-Leute kamen alle aus dem Nachbarort!" Oder: "Der Holocaust ging an uns vorbei." Es sind solche Sätze, die ihren Widerspruchs- und Forschergeist beflügeln. Und den Gerechtigkeitssinn ebenso.
Das war glaube ich 2011, da war ich in einer Westmecklenburger Stadt unterwegs und hatte mich beim Amt angemeldet, weil ich im Stadtarchiv die Judenakten haben wollte, um zu recherchieren. Da habe ich tatsächlich zu hören bekommen: "Wir haben hier noch Täterfamilien und wir wollen keinen Ärger und Sie brauchen das nicht." Ich habe die Judenakten dann tatsächlich nicht bekommen. Aber für mich war das mehr oder weniger der sogenannte Fehde-Handschuh. Das war auch ein Auslöser, warum wir unsere Website ins Leben gerufen haben – um zu zeigen, dass es in jeder Mecklenburger Stadt Juden gab und in fast jeder Stadt Repressalien während der Nazizeit stattgefunden haben.
In den Archiven fehlen einige der sogenannten Judenakten. Zu DDR-Zeiten, so erfuhren die Familienforscher, wurden diese oft nach Berlin geholt, wohl mit dem Anliegen, Täter zu verfolgen. So ist es schwer, das Schicksal der Holocaustopfer von Mecklenburg zu dokumentieren. Bisher gelang ihnen das bei 800 Menschen, ihre Namen und Daten sind auf der Internetseite der Familienforscher verzeichnet. Vorbehalte und Ängste mancher Behördenmitarbeiter kann Jürgen Gramenz verstehen.
Ich kann es durchaus nachvollziehen. Mein Großvater war auch Nazi und es ist schwierig, damit umzugehen. Und ich denke, wenn Leute erfahren, dass ihre Vorfahren vielleicht bei Judenauktionen unter Wert Sachen von jüdischen Nachbarn ersteigert haben oder bei Arisierungen jüdischer Firmen mitgemacht haben, ist das in jedem Falle erstmal sehr unangenehm. Die Nachkommen können nichts dafür. Aber eine Vergebung in dem Sinne kann es ja nur geben, wenn die ganze Wahrheit auf dem Tisch liegt. Aber da sehen wir noch viele weiße Flecken.

Anwohnerin klagt gegen jüdische Beerdigungen

In Schwerin öffnet sich für Sylvia Ulmer das nächste Tor. Sie hat jetzt alle Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof fotografiert. Nun möchte sie noch einen Blick in die Feierhalle werfen. Dort wartet eine Überraschung: Die Genealogin wusste, dass es irgendwo einen Gedenkstein für die ermordeten Schweriner Juden gibt. Mit allen Namen darauf.
Aber ich wusste nicht, wo die angebracht sind. Hier also!
Der Raum ist ungenutzt. Der Gedenkstein ist damit unzugänglich – und wohl schon aus dem Bewusstsein der Schweriner verschwunden.
Käthe Abraham, 1898 geboren in Schwerin, ermordet in Minsk.
Margarete Andres, 1879 geboren in Schwerin, ermordet in Stuthof.
Martin Behr, 1902 geboren in Schwerin, ermordet in Auschwitz.
Erst in den 80er Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde in Schwerin neu, nach der Wende wuchs sie durch russische Zuwanderer auf heute 730 Mitglieder an. Nach der jüdischen Tradition zu beerdigen, ist für die Gemeinde wichtig. Doch da gibt es ein Problem, erfuhr Sylvia Ulmer.
Die wollten, dass hier weiter beerdigt werden kann. Aber das geht nicht, weil hier eine Klage läuft.

"Schutzjuden" ließen sich in Mecklenburg nieder

Schon 20 Jahre lang währt ein Rechtsstreit darüber, ob der alte jüdische Friedhof weiter für Beerdigungen genutzt werden darf. Eine Anwohnerin hat dagegen geklagt. So musste die jüdische Gemeinde, obgleich sie einen Friedhof mit vielen freien Plätzen und eine Feierhalle besitzt, ein Stück Land auf dem städtischen Friedhof in Schwerin erwerben. Eine eigene Feierhalle gibt es dort nicht. Die zwei Davidsterne aus Metall, die dort das Tor zierten, jeder einen Meter im Durchmesser, sind in diesem Jahr abgesägt und gestohlen worden. Zu all dem will sich die jüdische Gemeinde nicht äußern. Man ist sehr vorsichtig. Aber dennoch sehr freundlich: Ein Gemeindemitglied hat für Sylvia Ulmer nicht nur die Türen zum alten Friedhof geöffnet, sondern fährt sie auch noch gleich zu ihrem nächsten Termin: ins Landeshauptarchiv Schwerin. Dort hat sie sich schon am Vortag ein dickes Aktenbündel reserviert: die sogenannten Judenakten von Alt-Strelitz, die Jahre 1702 bis 1736. Mehr als 200 Jahre zuvor waren in Pogromen sämtliche Juden aus Mecklenburg getötet oder vertrieben worden. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Politik gegenüber Juden liberaler. In dieser Zeit gingen beim Großherzog in Schwerin hunderte Bittbriefe jüdischer Bürger ein, die sich in Mecklenburg niederlassen wollten. Gegen Leistung besonderer Abgaben genossen sie den Schutz des Landesherren. Schutzjuden nannte man sie. Ehrfürchtig schnürt die Familienforscherin ein Aktenbündel auf.
Sylvia Ulmer will ihr Verzeichnis der Alt-Strelitzer Juden vervollständigen. Sie sucht dafür noch nach zusätzlichen Informationen zu einem Alexander Moises Cantor. Routiniert arbeitet sie sich durch die Sütterlin-Schriftstücke.
Hier stellt er dem Herzog den Antrag, dass er in Wesenberg, weil dort so wenige Kaufleute sind, ob er nicht dort unterkommen könnte. Er erhält aber vom Herzog nur die Erlaubnis, dort in Weserberg auf dem Jahrmarkt zu handeln. Interessant ist auch, dass diese Konzessionen immer jährlich verteilt wurden. Aber ich habe gesehen, 1709 hat der Herzog für sechs Jahre einen Schutzbrief ausgesprochen.

Geschichte lebendig gemacht

Aus den Akten geht hervor, dass der jüdische Händler nur so viele Waren anbieten darf, wie er selbst tragen kann, einen Wagen zu verwenden, ist ihm untersagt. Es sind Details wie diese, die Geschichte lebendig werden lassen. Zufrieden und mit ihrer vervollständigten Namensliste verlässt Sylvia Ulmer das Landesarchiv. Drei Tage hat sie noch Urlaub.
Ich will nochmal nach Waren. Penzlin, da wartet noch die Archivarin auf mich. Und Bützow, ins Stadtarchiv und auf die Friedhöfe. Weil, da war ich noch nicht, da muss ich noch hin. Bei 52 ehemaligen Gemeinden ist viel zu tun und die Zeit ist sehr knapp.
Die meisten Institutionen unterstützen die Familienforscher bei ihrer akribischen Recherche in Archiven, Kirchenbüchern, jüdischen Seelenbüchern, Standesamts- und Volkszählungsregistern. Doch die Suche nach Fotos, Dokumenten und Familiengeschichten, vor allem aus der Zeit des Nationalsozialismus findet vor allem im Internet statt. An Belege aus dieser Zeit kommt man schwieriger heran als an Akten aus dem 18. Jahrhundert, erklärt Jürgen Gramenz. Auf der Internetseite hat er deshalb einen Aufruf zur Mithilfe gestartet.
Wir hatten ein Echo, aber relativ verhalten. Wir haben sehr viele Besucher, das registrieren wir. Aber man darf nicht vergessen, es sind sehr wenige Mecklenburger Juden emigriert und konnten noch aus Nazi-Deutschland fliehen. Viele von ihnen sind ermordet worden, so dass ganze Familienzweige ausgelöscht wurden. Man kann nicht erwarten, dass es dazu viele Nachfragen gibt. Vorrangig kommen die Nachfragen natürlich – also, leben die heute in den USA oder Großbritannien. Aber ein Teil lebt auch in Skandinavien, vor allem in Schweden und in Dänemark. Wir versuchen selbstverständlich kostenlos diesen Menschen zu helfen, da das ja auch meistens Familienforscher sind. Und gerade die Amerikaner und Briten haben keinen Bezug zu deutschen Quellen, und wir helfen aus mit Geburtsurkunden. Und dadurch können wir diesen Familienforschern weiterhelfen.

Über eigene Geschichte wurde nicht gesprochen

In vielen dieser Familien wurde jahrzehntelang nicht gesprochen über die eigene Geschichte. Oft wurden nach dem Krieg jüdische Wurzeln verschwiegen oder ganz gekappt. Weil die Zeitzeugen heute verstorben sind, bleiben den Nachfahren oft nur die Akten, um Lücken in der Biografie zu schließen.
Das sind so zweierlei Sachen. Zum einen haben die, die geflüchtet sind, über ihre Vergangenheit nicht geredet. Aus verständlichen, unterschiedlichen Gründen. Auf der anderen Seite hatten wir dann auch einen Fall: Der Sohn hat nie verstanden, dass er anders war. Er hat es gefühlt, aber auf seine Fragen hat wohl die Familie nie geantwortet. Dem ist das gar nicht gut bekommen. Der ist wirklich krank geworden darüber. Das kann auch passieren, wenn eben jemand darüber nicht redet. Und oftmals ist es jetzt die Enkelgeneration, die sich damit beschäftigt und herausfindet: Ach, wir waren jüdisch oder wir sind jüdisch? Was ist denn passiert? Und für mich ist es genauso schwierig, jetzt an einen Nachfahren von einem Holocaustopfer heranzutreten und zu fragen: Was war mit deinen Eltern? Also, man greift in die Privatsphäre ein, was ich eigentlich nicht möchte. Aber es geht ja in diesem Fall nicht anders. Und ich lasse dann auch jedem die Möglichkeit zu sagen: Er möchte nicht, oder sie möchte nicht darüber reden. Ich finde, das ist selbstverständlich, das muss man auch akzeptieren. Und das ist dann auch gut so.
Längst ist aus der Familiengeschichte und der Suche nach dem Urgroßvater von Jürgen Gramenz ein Projekt geworden, das alle angeht. Und das für alle da ist. Welche Kurznachricht könnte heute per Twitter um die Welt gehen?
Else Hirsch, Lehrerin, Bützow, gestorben Herbst 1943 in Riga.
52 Zeichen. Und keine Fake News.
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