Agrarexperte: Gentechnik hilft nicht bei Bekämpfung des Hungers

Hans Rudolf Herren im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der Präsident des Millenium-Instituts in Washington, Hans Rudolf Herren, hält die Gentechnik für den falschen Weg, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen.
Gabi Wuttke: Mutter, Vater, zwei Kinder, die Oma und der Opa hungert. Sie sind kurz zusammengezuckt? Auch wenn es Sie nicht persönlich betrifft - jeder sechste Mensch auf der Welt ist unterernährt. Deshalb fordert die FAO, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, zwei Pferde zu satteln. Kleinbürgerliche Landwirtschaft und die Gentechnik sollen gestärkt werden. Der Agrarwissenschaftler Hans Rudolf Herren leitet in Washington das Millennium Institute, das Regierungen und Nichtregierungsorganisationen bei der Bekämpfung des Hungers berät. Er setzt auf die natürliche Balance.

Hans Rudolf Herren: Wir können die Böden wiederherstellen, vor allem mit Agrarökologie, biologischem Landbau. Und das ist genau, wo jetzt etwas braucht, ist, die Böden zu restaurieren, die Fruchtbarkeit in die Böden zurückzubringen. Und das macht man eben mit Mischkulturen, mit neuen Praktiken für Landwirtschaft. Und das geht weit über, was zum Beispiel Gentechnik machen kann, oder? Die Samen wachsen ja auch nur in gutem Boden.

Wuttke: Aber die grüne Revolution, von der man sich einmal viel versprochen hat, ist die nicht versiegt?

Herren: Ja, die hat natürlich viel für Nahrungsmittel produziert, aber auch sehr teuer, weil man auf Pestizide, auf Düngemittel angewiesen war. Und deshalb muss man jetzt eben die Lektionen lernen von dieser grünen Revolution, und das das zweite Mal besser machen. Und diese zweite Revolution, das ist etwa, wenn eine Revolution der Bodenfruchtbarkeiterhaltung und Wiederherstellung, dass man eben das Potenzial der Sorten, die wir schon haben – wir haben schon viele Hybriden, wir haben sehr gute Landrassen von verschiedenen Pflanzen, aber man kann das Potenzial, das in den Samen ist, nicht realisieren. Und deshalb müssen wir jetzt selber mal wieder zurückdenken oder wo sind die Ursachen des Problems und nicht die Symptome behandeln, weil natürlich mit Gentechnik behandelt man ja nur ein Symptom.

Wuttke: Aber haben wir denn die Zeit, zurückzudenken?

Herren: Wir haben ja genug Erfahrungen in den letzten Jahren auch schon gemacht oder wie man besser arbeiten kann und nachhaltiger Landwirtschaft betreiben kann. Es gibt Beispiele in Afrika, in Asien, anderswo, wo man zeigen kann, wie man die Erträge vervierfachen oder mehr kann. Und das genügt dann noch lange, um die Menschheit zu ernähren. Und es geht darum, dass man jetzt nicht mehr in Europa oder in Amerika produziert, sondern dass die Leute in den Entwicklungsländern selber produzieren und auch aus der Armut kommen durch ihre Arbeit auf dem Lande.

Wuttke: Um in 40 Jahren alle Menschen ernähren zu können, muss die Getreideproduktion um über 70 Prozent gesteigert werden. Bei dem Vorschlag, den Sie machen, ist dieses Ziel zu erreichen?

Herren: Ja, das ist zu erreichen. Wenn wir die Erträge heute in den Entwicklungsländern verdoppeln oder verdreifachen können mit nachhaltigen Methoden, wie gezeigt worden ist, dann reicht das lange aus. Wir produzieren heute 125 Prozent auf was wir brauchen, also ein Viertel mehr. Das heißt, wir müssen auch mal sehen, dass wir weniger wegwerfen, dass wir weniger verlieren. Wir wissen genau, wie das machen. Es geht ja jetzt nun darum, dass man es macht.

Wuttke: Herr Herren, warum aber schlägt dann die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen vor, dass wir auf die Gentechnik verstärkt setzen sollten?

Herren: Das beruht darauf, dass man immer sich herumschaut, um so eine Wunderlösung zu finden für ein komplexes Problem. Das gibt es nicht. Und wir haben ja schon, was die Gentechnik heute uns geben kann, das haben wir ja schon, um mehr Erträge zu erzielen. Also wenn man sagt, dass mit Gentechnik mehr produziert [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich], da stimmt das eigentlich gar nicht. Wir haben in 20 Jahren Erfahrung mit Gentechnik die Erträge, also das Ertragspotenzial der Pflanzen nicht erhöht. Die Wissenschaft muss natürlich schon weitergehen, und die wird weitergehen. Aber dass man jetzt heute sagt, man sollte mehr Gentechnik haben und da viel investiert, kurzfristig, ist falsch, weil man ja die Lösungen hat, wo man investieren muss, um die Böden zu verbessern.

Wuttke: Das müsste Sie doch dann wirklich sehr verwundern, warum die FAO, eine Organisation mit viel auch wissenschaftlicher Manpower, zu diesem Schluss kommt?

Herren: Ja, es verwundert mich. Wir haben ja den Agrarbericht, das die Arbeit von über 400 Spezialisten von der Welt, also Nord, Süd, Ost und West, vier Jahre lang gearbeitet daran, publiziert. Und was sagt dieser Bericht? Er sagt genau eben, dass wir jetzt auch zurückgehen müssen zur Agrarökologie, eine Landwirtschaft, die multifunktional ist, wo die Leute im Zentrum stehen und nicht die Technologie. Und wenn es darum geht, um die Erträge zu erhöhen und die Produktivität zu erhöhen, nachhaltig, geht es vor allem um bessere Bodenbearbeitung, Wasserwirtschaft und das Umgehen mit den Düngemitteln. Man braucht Düngemittel, ob sie jetzt organisch seien oder vielleicht Phosphat, wo es nötig ist, aber das ist alles nicht Gentechnik. Und warum die FAO nach vorne kommen mit solchen Argumenten, verstehe ich eigentlich auch nicht ganz, obwohl die Industrie hat natürlich eine Riesenpower, um Leute zu beeinflussen.

Wuttke: Das wäre genau jetzt meine Frage gewesen. Die FAO wird ja auch von Hilfsorganisationen kritisiert. Sind die Lobbyisten der Agrarkonzerne vielleicht eben zu mächtig?

Herren: Natürlich, die haben eine Riesenlobby. Man muss ja nun sehen die großen Plakate in Flughäfen, Zeitungen, überall, wie Gentechnik die Welt retten soll. Und das kann natürlich nicht stimmen. Weil wir wissen ja auch, das Problem ist nicht im Samen, das Problem ist im Boden. Die Bodenbiologie, wir müssen die Bodenfruchtbarkeit wiederherstellen, wir müssen den Leuten die Möglichkeit geben, selbst entscheiden zu können, was sie pflanzen wollen und wie sie es machen wollen, und nicht diese Abhängigkeit kreieren zwischen den zwei, drei mächtigen Samenproduzenten und auch Pestizid- und jetzt zum Teil auch Düngemittel, und dann eben die Bauern auf der anderen Seite. Ich glaube, die Zukunft der Menschheit ist doch, dass die Bauern auch selber entscheiden müssen, was sie anbauen und wenn.