Agitprop, Kammermusik und Galgenlieder

23.03.2012
Die Musikwissenschaftlerin Friederike Wißmann legt mit "Hanns Eisler - Komponist, Weltbürger, Revolutionär" ein spannendes Porträt des musikalischen Multitalentes vor: Dessen wichtigste Werke verbindet sie geschickt mit der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Eislers Werk ist so vielgestaltig wie sein Leben: Musikalischen "Agitprop" hat der Sohn eines Philosophen und einer Arbeitertochter ebenso geschrieben wie Kunstlieder, Kammermusik, Film-Soundtracks, die DDR-Nationalhymne und die "Deutsche Symphonie". Seinen zentralen Impulsgeber Brecht verehrte Eisler als bedeutendsten Schriftsteller des Jahrhunderts - genauso aber schätzte er die Literatur Thomas Manns, den er im kalifornischen Exil bei dessen Faustus-Roman musikalisch beriet und umgekehrt beim eigenen Faust-Projekt zurate zog.

Der geborene Leipziger Hanns Eisler (1898-1962) wuchs im Wien der Jahrhundertwende auf: Ein musikalischer Autodidakt, der in den Jahren 1919-1923 Schönbergs bester Schüler (nach Webern und Berg) werden sollte, bald jedoch "keine Lust hatte, eine Kunst auszuüben, wo man sein Gehirn in der Garderobe abgeben muss."

Die geistige Haltung Eislers ist von seinem Werk nicht zu trennen, jedoch hat in seinem Falle zu lange die Politik die Rezeption dominiert und teilweise auch reduziert. Im Jahr des 50.Todestags des Komponisten präsentiert nun mit Friederike Wißmann, Jahrgang 1973, eine junge Musikwissenschaftlerin einen neuen Ansatz. Sie lässt sich in der Struktur ihrer sogenannten "musikalischen Biografie" von einem kammermusikalischen Werk Eislers inspirieren: "14 Arten den Regen zu beschreiben" (1941).

Entsprechend hat das Buch vierzehn Kapitel: 14 Arten, den Komponisten zu beschreiben. Exemplarisch für alle Perioden seines künstlerischen Schaffens steht pro Kapitel eine Komposition im Fokus, die formal und inhaltlich genau beschrieben und eingeordnet wird. Von diesem Werk ausgehend reflektiert die Autorin dann den biografischen und gesellschaftlichen Kontext seiner jeweiligen Entstehungsgeschichte. Mitten im Kriegseinsatz, 1917, entstehen zum Beispiel die Galgenlieder nach den ironischen Texten von Christian Morgenstern - ein Zyklus, den der Komponist im Titel "Groteske" nennt.

Er ist eine Reaktion auf die Schrecken des Krieges, denen Eisler nicht mit (persönlich erlebtem) Schmerz begegnet, sondern voller sarkastischem Witz – wie überhaupt viele seiner Werke unsentimental und mit bissiger Pointe daherkommen, gemäß dem Motto: "Ein Kalauer ist besser als ein schlechtes Andante" (Zitat Eisler). Wiederkehrendes Charakteristikum seiner Musik, zu erleben etwa im op.1, der Schönberg gewidmeten Klaviersonate, sind rhythmische Energie und Prägnanz, Expressivität und die Verbindung atonalen Materials mit populärer Tonsprache wie auch formbewusster Tradition.

Friederike Wißmann war in den Jahren 1998-2002 Mitarbeiterin der Hanns-Eisler-Gesamtausgabe und Herausgeberin seines in der DDR heftig attackierten Opernlibrettos "Johann Faustus". Als ausgewiesene Kennerin der Quellenlage verbindet sie virtuos die Analyse der zentralen Werke mit dem zeitgeschichtlichen und biografischen Hintergrund sowie mit vielen Zitaten aus Briefen und Tagebüchern. Daraus formt sich ein genaues, umfassend und spannend geschriebenes Porträt einer der großen Persönlichkeiten des 20.Jahrhunderts, des Komponisten und Menschen Hanns Eisler: gescheit und geistreich, strotzend vor Energie - ein rundlicher kleiner Mann, dessen zupackender Optimismus mit viel Melancholie einherging.

Besprochen von Olga Hochweis

Friederike Wißmann: Hanns Eisler, Komponist, Weltbürger, Revolutionär
Edition Elke Heidenreich bei C.Bertelsmann, München 2012
304 Seiten, 16 Abbildungen, 19,99 Euro

Linktipp.
Ein Das blaue Sofa, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Gespräch mit Friederike Wißmann (MP3-Audio) auf dem Blauen Sofa der Leipziger Buchmesse können Sie mindestens bis zum 16.8.2012 in unserem unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
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