Aggressive Kinder und depressive Senioren
Für Dana Horáková liegt die Lösung des Generationenkonflikts auf der Hand. Die vielen vereinsamenden Alten müssten sich um die ebenfalls einsamen Kinder kümmern, meint sie. In "Das Christophorus Projekt. Von der Pflicht der Alten unsere Kinder zu retten" liefert Horáková Beispiele und Vorschläge.
Für die tschechisch-deutsche Journalistin und ehemalige Hamburger Kultursenatorin Dana Horáková befindet sich unsere Gesellschaft in einer dramatischen Krise. Durch die zunehmende Überalterung wird sich nicht nur die Verteilungsfrage zwischen der jungen und der alten Generation in verschärfter Form stellen.
Die eigentliche Gefahr besteht vor allem darin: Sowohl die Kinder als auch die Alten werden als unproduktive Mitlieder unserer Arbeitsgesellschaft systematisch an den Rand und in die Einsamkeit gedrängt. In ihrem Buch "Das Christophorus-Projekt" erläutert Horáková:
"Die Alten landen in Altersheimen und leiden nicht an Hunger und Kälte, sondern an Mangel an Respekt, Akzeptanz und sinnvollen Aufgaben. Aber auch die Kinder, für die Einsamkeit noch kein Begriff ist, erfahren sie hautnah, und zwar als ein Gefühlsvakuum. Sie werden in kollektiven Erziehungsanstalten sozialisiert und vermissen nach den täglichen Schulenden eine Bezugsperson, die sie uneingeschränkt akzeptiert."
Rund zwanzig Millionen Senioren und knapp dreizehn Millionen Kinder, also mehr als ein Drittel der Deutschen, seien derzeit von den Folgen ihrer Verbannung bedroht, sie werden depressiv und krank, aggressiv und kriminell.
Und genau das sei der eigentliche Nährboden für den möglichen "Krieg der Generationen". Um dies zu verhindern, müssten sich die beiden Randgruppen nur zusammentun, um sich gegenseitig zu helfen:
"Ein älterer Mensch braucht einen Abnehmer seiner Erinnerungen, seiner Erfahrungen. Und ein Kind braucht jemanden, der für ihn bedingungslos da ist, wenn sonst niemand Zeit hat. Jemanden, der erzählt, hilft, orientiert. In einem One-to-one-Einsatz."
Genau so, wie es der populärste Heilige des Mittelalters Christophorus praktiziert habe. Er war ein Riese, der nach langer Suche seine Lebensaufgabe im uneigennützigen Dienst für ein fremdes, einsames Kind fand. Deshalb also das "Christophorus-Projekt" als Königsweg zu einer neuen Solidarität zwischen den Generationen.
Diese Konzeption versucht Dana Horáková in ihrem Buch zu begründen, indem sie Denker und Statistiken zitiert, ausführliche Interpretationen von Gemälden liefert, Erfahrungen aus ihrer Kindheit berichtet und immer wieder auf den Roman Harry Potter verweist.
Selbst wenn die Journalistin damit keinen wissenschaftlichen Forschungsbeitrag liefern will, mehr Genauigkeit wäre bei diesem wichtigen Thema durchaus angebracht gewesen. Beispielsweise bei der Darstellung des möglichen Generationenkonfliktes. Ihrer Ansicht nach, drohe eine Kollision zwischen den Kindern und den Alten.
Das ist jedoch nicht zutreffend. Tatsächlich besteht der Generationenkonflikt zwischen den Erwerbstätigen und den Alten. Dabei geht es um die Streitfrage, wie viel die Jungen von den Früchten ihrer Arbeit an die Alten abgeben sollen.
Oder wenn man Horákovás Vorstellung der vereinsamenden Kinder nimmt. Mal spricht sie von 13 Millionen Kindern, die von Einsamkeit bedroht seien; eine Buchseite später "verkümmern" ihrer Ansicht nach "1,5 Millionen Kinder (in Deutschland), weil sie in einem Gefühlsvakuum aufwachsen."
Blättert man einige Seiten weiter, klagt sie darüber, dass die Kinder von ihren Eltern in die Ganztagsschulen abgeschoben würden; kurz danach behauptet sie wiederum, die Kids blieben allein zu Hause und könnten sich so völlig unkontrolliert dem Computer- und TV-Konsum hingeben.
Aber was ist mit dem Grundgedanken von Horákovás Buch? Der Vision von den einsamen Alten, die den einsamen Kindern hilfreich unter die Arme greifen? 30 von 250 Seiten wendet die Autorin auf, um diese Vision ihren Lesern und Leserinnen zu veranschaulichen. Ausführlich schildert sie einige, wenige Einzelfälle: Von einem Rentner, der sein Glück im Kleingarten mit einem Kind teilt, einer Rentnerin, die die Nachmittagsbetreuung für ein Nachbarskind übernimmt oder einem Opa, der regelmäßig bei den Hausaufgaben hilft.
Der Hinweis auf diese individuellen Spontanlösungen zur Überwindung der gegenseitigen Einsamkeit, mag hilfreich sein. Genauso wie ihre kurz gefasste Botschaft:
"Alte schaut, dass ihr in eurer Nachbarschaft Anschluss an die Kinder findet!"
Um allerdings von einem "Christophorus-Projekt" zu sprechen, wären einige Vorschläge dazu, wie dieses Verhalten systematisch gefördert werden kann, nötig gewesen.
Auf den letzten vier Seiten ihres Buches liefert Horáková mehr Stoff zur weiteren Diskussion. Und zwar im Fall der beiden erfolgreichen Geschäftsmänner Karl und Jakob Immler. Gestützt auf ihr Millionenvermögen möchten die Brüder im schwäbischen Isny eine Siedlung für Großfamilien stiften, in der, ganz wie früher, drei Generationen unter einem Dach leben sollen. Die Anforderungen an die künftigen Mieter:
"Familien mit mindestens vier wohnberechtigten Kindern und zwei Großeltern, die mit einziehen:Sollten die Großeltern sterben, bekommen die Mieter genügend Zeit, um sich ein Seniorenpaar zu suchen, das bereit ist, auf die Kinder aufzupassen. Mindestens eine Person aus dem Haushalt muss sich langfristig für eine öffentliche Aufgabe engagieren, also ehrenamtlich in der Jugend-, Alten-, Sozialarbeit tätig sein oder in Vereinen."
Gemeinwohlorientiertes Verhalten durch handfeste materielle Vorteile erkaufen? Reiche Privatleute, die angesichts des finanziell handlungsunfähigen Staates, das Verhalten ihrer Mitbürger zu steuern versuchen? In Zeiten wachsenden privaten Reichtums bei gleichzeitiger zunehmender öffentlicher Armut sicher wichtige gesellschaftspolitische Fragen. Fragen, die allerdings unbeantwortet im Raum stehen bleiben.
Fazit: Mit ihrem Buch "Das Christophorus-Projekt" greift Dana Horáková das zweifellos drängende Problem des Generationenausgleichs in unserer vergreisenden Gesellschaft auf. Bei ihrer Analyse des Themas spricht sie durchaus viele richtige Punkte an. Die von ihr schließlich präsentierte Lösung dürfte indes nur ein Teil der notwendigen gesellschaftlichen Antwort sein.
Dana Horáková: Das Christophorus Projekt. Von der Pflicht der Alten unsere Kinder zu retten
Neuer Europa Verlag Leipzig, 2006
Die eigentliche Gefahr besteht vor allem darin: Sowohl die Kinder als auch die Alten werden als unproduktive Mitlieder unserer Arbeitsgesellschaft systematisch an den Rand und in die Einsamkeit gedrängt. In ihrem Buch "Das Christophorus-Projekt" erläutert Horáková:
"Die Alten landen in Altersheimen und leiden nicht an Hunger und Kälte, sondern an Mangel an Respekt, Akzeptanz und sinnvollen Aufgaben. Aber auch die Kinder, für die Einsamkeit noch kein Begriff ist, erfahren sie hautnah, und zwar als ein Gefühlsvakuum. Sie werden in kollektiven Erziehungsanstalten sozialisiert und vermissen nach den täglichen Schulenden eine Bezugsperson, die sie uneingeschränkt akzeptiert."
Rund zwanzig Millionen Senioren und knapp dreizehn Millionen Kinder, also mehr als ein Drittel der Deutschen, seien derzeit von den Folgen ihrer Verbannung bedroht, sie werden depressiv und krank, aggressiv und kriminell.
Und genau das sei der eigentliche Nährboden für den möglichen "Krieg der Generationen". Um dies zu verhindern, müssten sich die beiden Randgruppen nur zusammentun, um sich gegenseitig zu helfen:
"Ein älterer Mensch braucht einen Abnehmer seiner Erinnerungen, seiner Erfahrungen. Und ein Kind braucht jemanden, der für ihn bedingungslos da ist, wenn sonst niemand Zeit hat. Jemanden, der erzählt, hilft, orientiert. In einem One-to-one-Einsatz."
Genau so, wie es der populärste Heilige des Mittelalters Christophorus praktiziert habe. Er war ein Riese, der nach langer Suche seine Lebensaufgabe im uneigennützigen Dienst für ein fremdes, einsames Kind fand. Deshalb also das "Christophorus-Projekt" als Königsweg zu einer neuen Solidarität zwischen den Generationen.
Diese Konzeption versucht Dana Horáková in ihrem Buch zu begründen, indem sie Denker und Statistiken zitiert, ausführliche Interpretationen von Gemälden liefert, Erfahrungen aus ihrer Kindheit berichtet und immer wieder auf den Roman Harry Potter verweist.
Selbst wenn die Journalistin damit keinen wissenschaftlichen Forschungsbeitrag liefern will, mehr Genauigkeit wäre bei diesem wichtigen Thema durchaus angebracht gewesen. Beispielsweise bei der Darstellung des möglichen Generationenkonfliktes. Ihrer Ansicht nach, drohe eine Kollision zwischen den Kindern und den Alten.
Das ist jedoch nicht zutreffend. Tatsächlich besteht der Generationenkonflikt zwischen den Erwerbstätigen und den Alten. Dabei geht es um die Streitfrage, wie viel die Jungen von den Früchten ihrer Arbeit an die Alten abgeben sollen.
Oder wenn man Horákovás Vorstellung der vereinsamenden Kinder nimmt. Mal spricht sie von 13 Millionen Kindern, die von Einsamkeit bedroht seien; eine Buchseite später "verkümmern" ihrer Ansicht nach "1,5 Millionen Kinder (in Deutschland), weil sie in einem Gefühlsvakuum aufwachsen."
Blättert man einige Seiten weiter, klagt sie darüber, dass die Kinder von ihren Eltern in die Ganztagsschulen abgeschoben würden; kurz danach behauptet sie wiederum, die Kids blieben allein zu Hause und könnten sich so völlig unkontrolliert dem Computer- und TV-Konsum hingeben.
Aber was ist mit dem Grundgedanken von Horákovás Buch? Der Vision von den einsamen Alten, die den einsamen Kindern hilfreich unter die Arme greifen? 30 von 250 Seiten wendet die Autorin auf, um diese Vision ihren Lesern und Leserinnen zu veranschaulichen. Ausführlich schildert sie einige, wenige Einzelfälle: Von einem Rentner, der sein Glück im Kleingarten mit einem Kind teilt, einer Rentnerin, die die Nachmittagsbetreuung für ein Nachbarskind übernimmt oder einem Opa, der regelmäßig bei den Hausaufgaben hilft.
Der Hinweis auf diese individuellen Spontanlösungen zur Überwindung der gegenseitigen Einsamkeit, mag hilfreich sein. Genauso wie ihre kurz gefasste Botschaft:
"Alte schaut, dass ihr in eurer Nachbarschaft Anschluss an die Kinder findet!"
Um allerdings von einem "Christophorus-Projekt" zu sprechen, wären einige Vorschläge dazu, wie dieses Verhalten systematisch gefördert werden kann, nötig gewesen.
Auf den letzten vier Seiten ihres Buches liefert Horáková mehr Stoff zur weiteren Diskussion. Und zwar im Fall der beiden erfolgreichen Geschäftsmänner Karl und Jakob Immler. Gestützt auf ihr Millionenvermögen möchten die Brüder im schwäbischen Isny eine Siedlung für Großfamilien stiften, in der, ganz wie früher, drei Generationen unter einem Dach leben sollen. Die Anforderungen an die künftigen Mieter:
"Familien mit mindestens vier wohnberechtigten Kindern und zwei Großeltern, die mit einziehen:Sollten die Großeltern sterben, bekommen die Mieter genügend Zeit, um sich ein Seniorenpaar zu suchen, das bereit ist, auf die Kinder aufzupassen. Mindestens eine Person aus dem Haushalt muss sich langfristig für eine öffentliche Aufgabe engagieren, also ehrenamtlich in der Jugend-, Alten-, Sozialarbeit tätig sein oder in Vereinen."
Gemeinwohlorientiertes Verhalten durch handfeste materielle Vorteile erkaufen? Reiche Privatleute, die angesichts des finanziell handlungsunfähigen Staates, das Verhalten ihrer Mitbürger zu steuern versuchen? In Zeiten wachsenden privaten Reichtums bei gleichzeitiger zunehmender öffentlicher Armut sicher wichtige gesellschaftspolitische Fragen. Fragen, die allerdings unbeantwortet im Raum stehen bleiben.
Fazit: Mit ihrem Buch "Das Christophorus-Projekt" greift Dana Horáková das zweifellos drängende Problem des Generationenausgleichs in unserer vergreisenden Gesellschaft auf. Bei ihrer Analyse des Themas spricht sie durchaus viele richtige Punkte an. Die von ihr schließlich präsentierte Lösung dürfte indes nur ein Teil der notwendigen gesellschaftlichen Antwort sein.
Dana Horáková: Das Christophorus Projekt. Von der Pflicht der Alten unsere Kinder zu retten
Neuer Europa Verlag Leipzig, 2006

Coverausschnitt:Das Christophorus Projekt. Von der Pflicht der Alten unsere Kinder zu retten© Neuer Europa Verlag