Afrikas Exodus

Nicht bloß an den Symptomen herumdoktorn

Ein Flüchtling wartet in der Nähe des Hafens der griechischen Insel Lesbos darauf, ein Ticket für die Fähre nach Athen zu kaufen.
Die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die ein besseres Leben in Europa suchen, reißt nicht ab. © afp / Angelos Tzortzinis
Von Linda Staude · 25.04.2015
Wenn die EU etwas gegen neue Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer tun will, sollte sie dazu beitragen, die Gründe für die Flucht der Menschen zu beseitigen, so Linda Staude. Mit Entwicklungshilfe sei das nicht getan, es brauche eine echte Wirtschaftsförderung.
Europa bedeutet Hoffnung für viele Afrikaner. Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, ohne Angst vor Verfolgung, in relativem Luxus. Aber erreichbar ist diese Hoffnung nur für die wenigsten. Es ist eine traurige Tatsache, dass die oft katastrophalen Lebensbedingungen in vielen afrikanischen Ländern hunderttausende zur Flucht aus der Heimat zwingen.
Brutale Unterdrückung und bittere Armut in Eritrea, Chaos, Terror und immer wieder Hungersnöte in Somalia, politische Unruhen in Burundi, um nur ein paar Beispiel zu nennen. Die weitaus größte Mehrheit dieser Menschen flieht allerdings entweder in andere Regionen im eigenen Land oder zu Fuß über die Grenze zu den direkten Nachbarn. So zum Beispiel die hunderttausenden Somalier, die in Kenia auf genommen worden sind.
Diese oft ebenfalls armen Nachbarn tun sehr viel mehr für die Flüchtlinge als die reiche EU. Auch wenn dort gerne der Untergang des Abendlandes propagiert wird, weil vielleicht 100 oder 150.000 Menschen im Jahr die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer schaffen: Dieser Weg kommt nur für eine winzige Minderheit in Frage, die zumindest so viel Geld zusammenkratzen kann, um die irrwitzigen Summen für die Schlepper bezahlen zu können.
Die Länder verlieren gut ausgebildete und besser gestellte Bürger
Für die Heimatländer der Flüchtlinge ist das auf der einen Seite eine Tragödie. Sie verlieren viele junge Leute, die besser Ausgebildeten und besser Gestellten. Auf der anderen Seite unterstützen die erfolgreichen Exilanten ihre zurückgebliebenen Familien, Nachbarn und Freunde, die ihnen die Flucht nach Europa oft erst ermöglicht haben. Geld, auf das die wirtschaftlich schwachen Heimatländer dringend angewiesen sind.
So wird zum Beispiel in Eritrea, wo Flüchtlinge als Verbrecher und Deserteure angesehen werden, die sofort erschossen werden können, wenn sie bei der Flucht über die Grenze erwischt werden, geschätzt ein Drittel der Wirtschaftsleistung genau von diesen Verbrechern erbracht. Kein Wunder also, dass viele afrikanische Regierungen nur wenig Interesse daran haben, die Flucht nach Norden von sich aus zu verhindern.
Ganz davon abgesehen, dass dann so mancher selbstverliebte Diktator zugeben müsste, dass seine Bevölkerung Grund zur Flucht hat. Für die Europäer heißt das, dass der Exodus von hoffnungsvollen und verzweifelten Menschen weitergehen wird. Daran ändern auch noch so grauenhafte Berichte über hunderte im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge nichts.
Den Preis für das politische Gezänk zahlen die Menschen
Wenn die EU grundsätzlich etwas gegen neue Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer tun will, dann muss sie etwas zur Beseitigung der Gründe für die Flucht beitragen. Sei es über eine bessere Sicherheitslage in Ländern wie Somalia. Oder sei es über bessere Lebensbedingungen in Ländern, in denen immer noch ein großer Teil der Bevölkerung von weniger als einem Dollar am Tag existieren muss und aus denen die viel geschmähten Wirtschaftsflüchtlinge kommen. Und da ist es nicht mit noch mehr Entwicklungshilfe getan, sondern mit echter Wirtschaftsförderung, durch die diese Länder eigene Industrien aufbauen und besser bezahlte Arbeitsplätze schaffen können. Zugegeben eine langfristige Aufgabe.
Aber selbst die beste Strategie zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen bleibt ohne sie ein Herumdoktern an Symptomen. Und selbst da hat die EU sich in dieser Woche einmal mehr nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie will zwar mehr Geld für die Seenotrettung ausgeben, das aber nach wie vor nur vor der Küste Italiens. Sie will die Boote der Schlepperbanden versenken, bevor sie mit Hunderten Flüchtlingen vor der libyschen Küste aufbrechen.
Aber das braucht zum einen die Zustimmung der UN und zum anderen weiß niemand, wie das in der Praxis funktionieren soll. Noch schlimmer: Nach wie vor konnten sich die Europäer nicht auf eine Möglichkeit für Flüchtlinge einigen, die EU auf legalem Wege zu erreichen. Den Preis für das politische Gezänk bezahlen die Menschen, die ihr Leben verbrecherischen Schleppern und wackeligen Booten anvertrauen – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa.
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