Afrikanische Lyrik

Worte wie Tautropfen

Der Nakuru Nationalpark in Kenia
Sitawa Namwalie stößt mit Dichtung aus ihrer Heimat Kenia auch in Europa auf Interesse. © picture-alliance/ dpa / Andreas Gebert
Von Irene Binal · 28.04.2014
Ihre Geschichten handeln von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Aufbegehren, von Politik, Identität und von Liebe: Mit ihren Poesie-Shows hat sich die Lyrikerin Sitawa Namwalie schon in Kenia einen Namen gemacht. Jetzt war sie zu Gast in Berlin.
We arrive / Grandmother ululates, a loud long, piercing sound / She holds her hands outstretched her body rigid in a ricktus of astonishment / She leads a crowd, of women, children, men, they embrace us / Running, receiving us /A tangle of humanity.
Worte wie Tautropfen, sanft und kraftvoll zugleich: Sitawa Namwalies Gedichte müssen nicht unbedingt übersetzt werden, sie leben vom Klang, von der Tonart - und sie wirken vor allem auf der Bühne. Mit ihren Shows hat sich Namwalie in Kenia einen Namen gemacht. Shows, in denen Lyrik und Darstellung eine Symbiose eingehen, in denen Dichtung erlebbar wird. Und das, meint die Poetin, hat mit ihrer Kindheit zu tun, mit der Tradition des Geschichtenerzählens in Afrika:
"Als Kind wurden mir sehr viele Geschichten erzählt, nicht nur von meiner Großmutter, all die Frauen rund um mich erzählten mir Hunderte von Geschichten, Kindergeschichten, Märchen und so weiter. Und dabei gab es immer ein Element der Performance. Die besten Geschichtenerzähler waren auch gute Darsteller. Ich habe diese Fähigkeit aufgenommen, diese Art, Geschichten zu erzählen. Meine Gedichte sind in vielerlei Hinsicht wie Geschichten. Manche sind reine Poesie, aber viele sind poetische Geschichten, die die Leute auf eine Reise mitnehmen, ihnen eine emotionale Erfahrung vermitteln."
Sieben Jahre bei den Vereinten Nationen
Sitawa Namwalie beeindruckt mit ihrer Persönlichkeit. Kraftvoll wirkt sie, die kleine Frau mit den raspelkurz geschnittenen Haaren und den samtenen Augen, gekleidet in eine Tunika über weiten Hosen, dazu ein bunter Schal. Zur Poesie kam sie freilich erst spät. Wohl schrieb sie schon als Kind und erntete viel Lob - aber das ist manchmal kontraproduktiv:
"Dann zeigte ich den Text in der Schule dem Lehrer und den Kindern und sie sagten: Niemals hast du das geschrieben! Und ich dachte: Mir glaubt sowieso niemand, warum sich also damit befassen? Können Sie sich das vorstellen?"
Also studierte die Naturliebhaberin Botanik und Zoologie und arbeitete bei einer Menschenrechtsorganisation in Nairobi. Als sie nach einem Studienaufenthalt in den USA nach Nairobi zurückkehrte, umwarben sie plötzlich die Vereinten Nationen:
"Ich ging uneingeladen auf eine Party des UN-Vertreters in Kenia, ich stellte mich vor und jemand sagte: Haben Sie sich für einen Job beworben? Sie sollten das tun! Ich sagte: Wovon reden Sie? Nein! Ich wollte wirklich nicht für die UN arbeiten, damals war ich voreingenommen und dachte, das sei keine gute Organisation. In der darauffolgenden Woche, bekam ich einen Anruf und man bat mich zu einem Gespräch. Das war die schwierigste Entscheidung meines Lebens."
Namwalie akzeptierte das Angebot und arbeitete sieben Jahre lang als Leiterin eines Umweltprojekts für die UN. Der Traum, Dichterin zu werden, schien in weite Ferne gerückt. 2002 jedoch gewann die kenianische Opposition die Parlamentswahlen, die Kunstszene im Land blühte auf - und eine Performance der Dichterin Shailja Patel wurde für Sitawa Namwalie wegweisend:
"Am nächsten Tag setzte ich mich hin und schrieb mein erstes Gedicht 'Land of guiltless natives'. Und ein Jahr später bekam ich die Möglichkeit, in einer Galerie aufzutreten."
In ihren Shows vereint sie Tradition und Moderne
Seither ist die heute 55-Jährige ihrer Berufung treu geblieben. In ihren Shows vereint sie Tradition und Moderne, in den Kostümen, die verschiedene afrikanische Einflüsse kombinieren, und in ihren Gedichten, in denen sie Geschichten erzählt - Geschichten von Ungerechtigkeit, von Einflussnahme, Geschichten von Unterdrückung und Aufbegehren, von Politik und Identität und von Liebe:
"Viele Dinge können nur durch Poesie ausgedrückt werden. Oder besser: Man kann sie auf vielerlei Weise ausdrücken, aber sie berühren die Menschen nur in einer poetischen Form."
Sitawa Namwalie schreibt auf Englisch, und sie tut es überall, in Hotels, in Restaurants, sogar im Verkehrsstau:
"Wenn ein Gedicht auftaucht, muss man es einfangen. Am Anfang sagte ich mir: Ich schreibe, wenn wir anhalten. Nein. Selbst wenn man in Bewegung ist, muss man eine Möglichkeit finden, die ersten paar Zeilen festzuhalten, sonst vergisst man sie. Und dann sind sie weg."
Und was tut sie, wenn sie gerade nicht schreibt? Dann kümmert sie sich um ihren Garten in Nairobi, den sie als "Urwald" bezeichnet, um ihre Sammlung seltener Pflanzen oder um ihren Mann und die drei Kinder. Es ist ein ausgefülltes Leben, ein Leben mit vielen Facetten, in dem jedoch die Poesie den ersten Platz einnimmt. Und das ist Sitawa Namwalie auch ganz recht so.
It rained last night / No, not like that / The meek pissing of a man grown old: drip, drip, drip. This was a tropical storm / Sky leaking elephants / Angry torrents of urgency, From nowhere a dramatic surprising deluge.

Programmtipp: Mehr über künstlerische Brückenschläge zwischen Kenia und Berlin hören Sie am Dienstag, 29. April, in unserer Sendung "Literatur" ab 19.30 Uhr.