Afrikanische Heldinnen
Die Historikerin Sylvia Serbin berichtet in 22 Porträts von Heldinnen Schwarz-Afrikas. Von der Zeit der Pharaonen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stellt sie Frauen vor, die klug, entschlossen und mutig das Geschehen auf dem Kontinent bestimmten.
Anfang des 19. Jahrhunderts hält Hegel seine berühmt gewordene Vorlesung über die "Philosophie der Weltgeschichte"/Universalgeschichte. Afrika bleibt wegen seiner Geschichtslosigkeit und seines Mangels an Schriftsprachen dabei außer Betracht. Hegel wörtlich: "Afrika ist kein geschichtlicher Weltteil, er hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen." Heute können wir sagen: Hegel hatte keine Ahnung!
Die Autorin Sylvia Serbin unterstreicht: "Man kann es nicht oft genug sagen; der schwarze Kontinent war sich lange Zeit selbst genug, denn seine Bevölkerung kannte keinen Hunger." Und so fügen wir hinzu: Schon lange vor Sklavenhandel und Kolonisierung trugen Afrikas Ressourcen zum Wohlergehen ganzer Zivilisationen bei.
Historisches Bewusstsein in Afrika bestand zwar, aber es umfasste im Regelfall nur vier bis fünf Generationen – also circa 120 Jahre! Und schriftliche Berichte gab es zwar schon seit dem siebenten Jahrhundert, aber immer nur aus der Perspektive nicht-afrikanischer Reisender. Es fehlt weitgehend an Quellen (im Verständnis der abendländischen Geschichtsschreibung). Hinzu kam, dass die abendländischen und süd- beziehungsweise fernöstlichen asiatischen Kulturen fast zwei Jahrtausende lang Afrikas Bevölkerungen an der Grenze zum "Untermenschentum" ansiedelten.
Besonderheit der Autorin Serbin: Erstens nimmt sie die Zeugnisse der Zivilisation ernst. Zweitens gibt sie sich nicht mit Quellen zufrieden, die Männer über Männer und nur als Fußnote auch mal von Frauen sprechen lassen. Und drittens steht ihre Arbeit im Dienste einer weithin vernachlässigten feministischen Identitätssuche vor allem jüngerer Frauen in und aus Afrika! Zitat: Achtjährige Tochter fragt ihre Mutter nach der indianischen Pocahontas, der amerikanischen Calamity Jane, der französischen Jeanne d’Arc und der englischen Queen Victoria. "Und wir, Mam, haben wir früher nicht existiert?" Ein Plus für die Sprache des Buches: Ohne Vorkenntnisse aufgrund besonders detailgetreuer Lebensnähe und erzählerischer Buntheit ist es nicht zuletzt auch für Jugendliche gut zu verstehen! Entscheidend für die "Geschichte in Geschichten": Ernstnehmen der mündlichen Überlieferung und ideologisches Abklopfen der frühen Texte unter dem Gesichtspunkt von Interesse schafft Erkenntnis. Zunächst dabei verwunderlich: Wenn und wo von Frauen die Rede ist, dann kaum von ihrer sozialen und / oder politischen Bedeutung!
Drastisches Beispiel: Malan Alkuma, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Königin eines kleinen Akan-Königreiches ghanaischer Einwanderer des frühen 18. Jahrhunderts an die benachbarte Elfenbeinküste. Malan Alkuma, die mit militärischem wie wirtschaftlichem Geschick ein sehr prosperierendes Reich an der Küste schuf, regierte zwar zusammen mit ihrem Onkel, aber als so genannte "Königinmutter" war sie das Alter Ego des Hofes und bündelte alle wichtigen Funktionen in ihrer Person: Außenministerin, Garantin von Ruhe und Ordnung, Hüterin des Kultes, Schlichterin bei Rechtsstreitigkeiten und Gnadenbehörde bei Todesurteilen. Seit 1865 stand sie im öffentlichen Rampenlicht, aber nicht wegen ihrer Ämterhäufung, sondern fast ausschließlich wegen ihrer "sexuellen Gier nach Männern". 1892 schreibt ein französischer Diplomat: "In ihrem Gesicht mit schmalen Lippen und kerzengerader Nase war der vor Übermut sprühende Blick eine einzige Einladung." Leider war solche Einladung gepaart mit Malans offensichtlicher Sterilität und mit krankhafter Eifersucht, so dass jeder Liebhaber auch in ständiger Gefahr leben musste, wegen emotionaler Lappalien seinen Kopf zu verlieren. Je älter die Kinderlose wurde, desto furchtbarer entwickelte sich ihre despotische Grausamkeit. Alle zeitgenössischen Kommunikationsmittel waren voll davon. Über die politischen, landwirtschaftlichen und Handelserfolge der Königin kein Wort. Als sie 1898 starb – für afrikanische Verhältnisse hochbetagt! -, versammelten sich zu ihrer Bestattung nicht nur alle ihre Ehegatten und Liebhaber, sondern auch ihre politischen Gegner … und eine offizielle französische Delegation!
Andere Beispiele: Der kollektive Selbstmord der Frauen des Wolof-Dorfes Nder an der Mündung des Senegal-Flusses. 1819, maurische Raubzüge auf Sklaven und Sklavinnen. Bei Abwesenheit des Königs, seiner Würdenträger und der mitziehenden Kavallerie werden Frauen zu "Amazonen für einen Tag". Männerkleidung, "Männer"-Waffen. Erste Attacke für die Räuber verloren; aber die Sklaven-"Ware" musste hübsch und unverletzt sein. Also Belagerung. Versammlung mit der ranghöchsten Hofdame der Königin. "Lieber sterben als freie Frauen!" Selbstverbrennung im Versammlungssaal des Dorfes, nachdem man die Kinder in Verstecke in den Feldern gebracht hatte. Nur eine Hochschwangere floh im letzten Augenblick und konnte später die Geschichte erzählen.
Weiteres Beispiel: Geschickt vermengt mit den biografischen Aspekten der 22 Frauen wird eine Kultur- und Zivilisationsgeschichte, eine "kleinteilige" Gesellschafts- und Kriegsgeschichte, eine Religions- und Bildungsgeschichte der afrikanischen Reiche und Staaten des Westens des Kontinents erzählt – die Autorin Sylvia Serbin ist francophon und hat auf Gouadeloupe, im Senegal, an der Elfenbeinküste und in der schwarzen Gemeinschaft von Paris gelebt. Nun warten wir auf eine anglophone historische Biographin aus dem östlichen und südlichen Afrika und/oder vielleicht aus London.
Rezensiert von Jochen R. Klicker
Sylvia Serbin: Königinnen Afrikas
Aus dem Französischen von Gudrun Honke
Peter Hammer Verlag, Wuppertal, November 2006
405 Seiten, 25,00 Euro
Die Autorin Sylvia Serbin unterstreicht: "Man kann es nicht oft genug sagen; der schwarze Kontinent war sich lange Zeit selbst genug, denn seine Bevölkerung kannte keinen Hunger." Und so fügen wir hinzu: Schon lange vor Sklavenhandel und Kolonisierung trugen Afrikas Ressourcen zum Wohlergehen ganzer Zivilisationen bei.
Historisches Bewusstsein in Afrika bestand zwar, aber es umfasste im Regelfall nur vier bis fünf Generationen – also circa 120 Jahre! Und schriftliche Berichte gab es zwar schon seit dem siebenten Jahrhundert, aber immer nur aus der Perspektive nicht-afrikanischer Reisender. Es fehlt weitgehend an Quellen (im Verständnis der abendländischen Geschichtsschreibung). Hinzu kam, dass die abendländischen und süd- beziehungsweise fernöstlichen asiatischen Kulturen fast zwei Jahrtausende lang Afrikas Bevölkerungen an der Grenze zum "Untermenschentum" ansiedelten.
Besonderheit der Autorin Serbin: Erstens nimmt sie die Zeugnisse der Zivilisation ernst. Zweitens gibt sie sich nicht mit Quellen zufrieden, die Männer über Männer und nur als Fußnote auch mal von Frauen sprechen lassen. Und drittens steht ihre Arbeit im Dienste einer weithin vernachlässigten feministischen Identitätssuche vor allem jüngerer Frauen in und aus Afrika! Zitat: Achtjährige Tochter fragt ihre Mutter nach der indianischen Pocahontas, der amerikanischen Calamity Jane, der französischen Jeanne d’Arc und der englischen Queen Victoria. "Und wir, Mam, haben wir früher nicht existiert?" Ein Plus für die Sprache des Buches: Ohne Vorkenntnisse aufgrund besonders detailgetreuer Lebensnähe und erzählerischer Buntheit ist es nicht zuletzt auch für Jugendliche gut zu verstehen! Entscheidend für die "Geschichte in Geschichten": Ernstnehmen der mündlichen Überlieferung und ideologisches Abklopfen der frühen Texte unter dem Gesichtspunkt von Interesse schafft Erkenntnis. Zunächst dabei verwunderlich: Wenn und wo von Frauen die Rede ist, dann kaum von ihrer sozialen und / oder politischen Bedeutung!
Drastisches Beispiel: Malan Alkuma, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Königin eines kleinen Akan-Königreiches ghanaischer Einwanderer des frühen 18. Jahrhunderts an die benachbarte Elfenbeinküste. Malan Alkuma, die mit militärischem wie wirtschaftlichem Geschick ein sehr prosperierendes Reich an der Küste schuf, regierte zwar zusammen mit ihrem Onkel, aber als so genannte "Königinmutter" war sie das Alter Ego des Hofes und bündelte alle wichtigen Funktionen in ihrer Person: Außenministerin, Garantin von Ruhe und Ordnung, Hüterin des Kultes, Schlichterin bei Rechtsstreitigkeiten und Gnadenbehörde bei Todesurteilen. Seit 1865 stand sie im öffentlichen Rampenlicht, aber nicht wegen ihrer Ämterhäufung, sondern fast ausschließlich wegen ihrer "sexuellen Gier nach Männern". 1892 schreibt ein französischer Diplomat: "In ihrem Gesicht mit schmalen Lippen und kerzengerader Nase war der vor Übermut sprühende Blick eine einzige Einladung." Leider war solche Einladung gepaart mit Malans offensichtlicher Sterilität und mit krankhafter Eifersucht, so dass jeder Liebhaber auch in ständiger Gefahr leben musste, wegen emotionaler Lappalien seinen Kopf zu verlieren. Je älter die Kinderlose wurde, desto furchtbarer entwickelte sich ihre despotische Grausamkeit. Alle zeitgenössischen Kommunikationsmittel waren voll davon. Über die politischen, landwirtschaftlichen und Handelserfolge der Königin kein Wort. Als sie 1898 starb – für afrikanische Verhältnisse hochbetagt! -, versammelten sich zu ihrer Bestattung nicht nur alle ihre Ehegatten und Liebhaber, sondern auch ihre politischen Gegner … und eine offizielle französische Delegation!
Andere Beispiele: Der kollektive Selbstmord der Frauen des Wolof-Dorfes Nder an der Mündung des Senegal-Flusses. 1819, maurische Raubzüge auf Sklaven und Sklavinnen. Bei Abwesenheit des Königs, seiner Würdenträger und der mitziehenden Kavallerie werden Frauen zu "Amazonen für einen Tag". Männerkleidung, "Männer"-Waffen. Erste Attacke für die Räuber verloren; aber die Sklaven-"Ware" musste hübsch und unverletzt sein. Also Belagerung. Versammlung mit der ranghöchsten Hofdame der Königin. "Lieber sterben als freie Frauen!" Selbstverbrennung im Versammlungssaal des Dorfes, nachdem man die Kinder in Verstecke in den Feldern gebracht hatte. Nur eine Hochschwangere floh im letzten Augenblick und konnte später die Geschichte erzählen.
Weiteres Beispiel: Geschickt vermengt mit den biografischen Aspekten der 22 Frauen wird eine Kultur- und Zivilisationsgeschichte, eine "kleinteilige" Gesellschafts- und Kriegsgeschichte, eine Religions- und Bildungsgeschichte der afrikanischen Reiche und Staaten des Westens des Kontinents erzählt – die Autorin Sylvia Serbin ist francophon und hat auf Gouadeloupe, im Senegal, an der Elfenbeinküste und in der schwarzen Gemeinschaft von Paris gelebt. Nun warten wir auf eine anglophone historische Biographin aus dem östlichen und südlichen Afrika und/oder vielleicht aus London.
Rezensiert von Jochen R. Klicker
Sylvia Serbin: Königinnen Afrikas
Aus dem Französischen von Gudrun Honke
Peter Hammer Verlag, Wuppertal, November 2006
405 Seiten, 25,00 Euro