Afrikanische Geschichten aus Paris

Der Holländer Mulder lebt in Paris. Eines Tages wird er Zeuge eines Hausbrandes, bei dem nur ein Hund überlebt. Von ihm wird Mulder fortan in das Paris der legalen und illegalen Einwanderer geführt. Adriaan van Dis ist mit "Ein feiner Herr und ein armer Hund" ein Roman gänzlich ohne Kitsch gelungen.
Ein holländischer Schriftsteller, der lange in Afrika lebte und darüber hinaus auch mit einer eigenen Fernsehsendung reüssierte, schreibt einen Roman über Paris, genauer: über das afrikanische, das Einwanderer-Universum jenes "Senegal an der Seine". An der Oberfläche gibt es für solch Unterfangen allerlei hurtige Beschreibungen – von "global village" bis "anything goes". Allerdings ist es von da auch nicht mehr allzu weit zur gängigen Jeremiade, nach welcher im heutigen Zeitalter der totalen Vernetzung und informellen Verfügbarkeit ja wohl alles zu einem uniformen Einheitsbrei werde. Dass solch gängige Kulturkritik jedoch ungleich oberflächlicher ist als die von ihr getadelte komplexe Wirklichkeit – eigentlich weiß man es. Und freut sich dennoch über jeden erneuten Beweis, dass sich Verknüpfung eben nicht auf Verflachung reimt. Sprich: Dieser Adriaan van Dis, 1946 in Amsterdam geboren und seit einiger Zeit (wie sein Romanheld Mulder) in Paris lebend, hat eben keinen typisch französischen Gegenwartsroman voll subtiler Anspielungen und preziöser Lakonie geschrieben, sondern erzählt derart erdig-konkret, ja teilweise robust-schnoddrig von der anderen Seite der Hauptstadt, dass hier eine ganze holländische Erzähltradition mitschwingt – vom weltreisenden Schriftsteller-Arzt Jan Jacob Slauerhoff bis zum ebenfalls global neugierigen Cees Nooteboom.

Und auch der 60-jährige Mulder ist Holländer, betreibt trotz seiner abendlichen Spaziergänge durch das schicke sechste Arrondissement keine francophile Mimikry oder Camouflage, sondern bleibt eher Wanderer denn leichtfüßiger Flaneur. Als solcher wird er irgendwann Zeuge eines Hausbrandes, dem zahlreiche afrikanische Asylsuchende zum Opfer fallen und den einzig ein Hund überlebt. Dieser wird ihm nun folgen, alsbald aber selbst führen – mitten hinein in das Paris der legalen und illegalen Einwanderer, Srilanker, Berber, Afrikaner. Daraus hätte nun sehr leicht eine kitschige Erweckungsstory werden können: Vereinsamter Europäer entdeckt die Welt der armen Schlucker, in der gekämpft, gelitten, vor allem aber voller Warmherzigkeit gekocht und getanzt wird … Glücklicherweise jedoch nichts von alledem, nichts von der sich schein-modest gebenden Multi-Kulti-Arroganz, der alles Fremde gleich und gleich liebenswert ist. Mulder jedoch nimmt die Menschen, zu denen ihn der Hund hinlotst, ebenso ernst wie sich selbst: Denn natürlich sind nicht alle von ihnen edle Gestalten, manches Signum der Armut ekelt ihn bis zum Erbrechen, dann aber wird er dennoch tätig, hilft einer Witwe aus Sri Lanka ebenso wie er einem Mann aus dem Tschad einen gefälschten Pass besorgt.

Die Glaubwürdigkeit, die dieser Roman in jeder Zeile ausstrahlt, gründet dabei – wie bei jedem guten Buch – nicht etwa im gesuchten Thema, sondern im Stil. Hier nämlich wird nie auf die Tränendrüse gedrückt, werden Individuen nicht zu austauschbaren Botschaftern "ihrer" Kultur herabgewürdigt, finden Süßlichkeiten keine Heimstatt. Der holländische Originaltitel "De wandelaar" ist deshalb auch aussagekräftiger als der mit deutschen Sozial-Stereotypen spielende "Ein feiner Herr und ein armer Hund". Die unsentimentale Zärtlichkeit, die Adrian van Dis´ Buch auszeichnet, heißt Wachheit und Genauigkeit. Man wünscht dieser Geschichte ohne konventionelles Happy End deshalb gerade in Deutschland zahlreiche Leser – nicht zuletzt die Diversitäts-Schwärmer der Linken und die Homogenitäts-Verfechter der Rechten könnten hier eine Menge lernen. Wenn sie denn empfänglich wären für den nicht zuletzt ästhetischen Reiz von literarischen Fragestellungen, die nicht so einfach aufgehen in politischen Antworten.

Rezensiert von Marko Martin

Adriaan van Dis: Ein feiner Herr und ein armer Hund
Roman
Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
Carl Hanser Verlag, München 2009
239 Seiten, 17, 90 Euro