Afrikanische Fabel

Der Junge, das Mädchen und ein alter Mann sind Teil des prototypischen Figurenensembles in "Big Chiefs". Der kenianische Schriftsteller Meja Mwangi hat mit seinem Roman ein Abbild aller afrikanischer Tyrannen und Despoten geschaffen, die bis heute ihre Bürger verachten, ausbeuten und jegliche Form von Unmut gewaltsam unterdrücken.
Die meisten seiner Romane sind ausgesprochen realistische Abbilder der kenianischen Gesellschaft. Diesmal allerdings hat der 60-jährige kenianische Schriftsteller eine ganz andere Form gewählt, um seine Geschichte zu erzählen. Wie in einem Theaterstück beschränkt er sich auf einige wenige Figuren, die jeweils für eine ganze Gruppe stehen, sie symbolisieren. Sie haben denn auch keine Namen, sondern treten auf als der ‚alte Mann’, der ‚Junge’, das ‚Mädchen’.

Die Geschichte spielt in der schäbigen Bretterbude des alten Mannes inmitten einer Slumsiedlung, die in einer riesigen Müllgrube am Rande einer afrikanischen Großstadt entstanden ist. Die Menschen dort sind vertriebene Bettler, Arbeitslose, Diebe, politisch Missliebige – Ausgestoßene eines Regimes der Big Chiefs, der korrupten, geldgierigen und skrupellosen Machtelite eines namenlosen afrikanischen Landes. Zu ihnen gehörte einst auch ‚der alte Mann’, ein Arzt, der den Aufstieg bis zum Minister geschafft hatte und dann mit den Wölfen heulte, bis die Big Chiefs beschlossen, einen Teil der Nation, die Gruppe der ‚Langen’ auszulöschen. Der alte Mann verweigert sich dem Massenmord und entkommt nur knapp seinen Häschern, indem er sich unter einem Berg Leichen versteckt.

Meja Mwangi spielt hier deutlich erkennbar auf den Völkermord in Ruanda an, als die kleingewachsenen Hutus in einem ungeheuren Blutbad eine Million hochgewachsener Tutus umbrachten. Der Genozid ist Symbol für den zynischen und menschenverachtenden Umgang der schwarzen Elite mit ihren Bürger. Der kenianische Schriftsteller hat mit den "Big Chiefs" ein Abbild aller afrikanischer Tyrannen und Despoten geschaffen, die bis heute ihre Bürger verachten, ausbeuten und jegliche Form von Unmut gewaltsam unterdrücken. Wer ihnen nicht willfährig ist, wird eingesperrt oder erschossen.

Die Geschichten, die der inzwischen erblindete alte Mann‚ dem Jungen und dem Mädchen erzählt, haben denn auch Allgemeingültigkeit. Er spart dabei die eigenen Fehler nicht aus, beklagt den blinden Gehorsam, mit dem er und andere jenen folgten, die einst in den Befreiungskriegen gegen die Kolonialmächte kämpften und kaum an die Macht gelangt, das Land an sie verkauften.

Es wäre ein zutiefst deprimierender Roman, hätte es Meja Mwangi bei dieser generellen politischen Abrechnung belassen. So begleitet er sie mit der zarten Liebesgeschichte zwischen dem Jungen und dem Mädchen und der Fürsorge, die der Junge für den Alten empfindet. Bei allen Differenzen herrscht doch zwischen den Slumbewohnern eine rudimentäre Form der Solidarität und Mitmenschlichkeit.

Und weil der Alte deutlich die unbändige Wut des Jungen über die Verhältnisse spürt, versucht er ihn mit seinen Geschichten zu warnen, zur Vorsicht zu mahnen. Der Junge plant eine große Demonstration aller Jungen gegen die Regierung. Unterstützung findet er bei dem Studenten, während die älteren Slumbewohner sich lieber raushalten. Es kommt schließlich zur Konfrontation. Offen bleibt, wer siegt. Der Student ist tot. Der Junge auch? Keiner weiß Genaues. Gerüchte sagen, dass die Regierung gestürzt ist.

Meja Mwangis Roman ist eine afrikanische Fabel, die an Brechts Lehrstücke erinnert. Er beschwört die Hoffnung inmitten hoffnungsloser Verhältnisse.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Meja Mwangi: Big Chiefs,
Aus dem Englischen Thomas Brückner,
Hammer Verlag Wuppertal 2009, 272 S., 22,00 EUR