Afrikaner zwischen zwei Welten

19.06.2012
Die am häufigsten ins Deutsche übersetzten afrikanischen Autoren stammen aus Nigeria. Zu ihnen gehört Chimamanda Ngozi Adichie, die zeitweise in den USA lebt und dort sehr erfolgreich ist. In zwölf Erzählungen schildert sie bildreich und plastisch Erfahrungen ihrer Landsleute in beiden Ländern.
Adichie lässt sehr plastisch Lebensbilder ihrer, das heißt der jüngeren Generation, entstehen. Da gibt es beispielsweise Nkem, die mit ihren beiden Kindern in den USA lebt, während ihr Ehemann einen hochgestellten Posten in Nigeria erhalten hat, sie immer seltener besucht und offensichtlich betrügt. Oder Chinaza, deren Verwandten für sie einen nigerianischen Ehemann gefunden haben, der als Arzt in den Staaten arbeitet – das große Los! Dort angekommen muss die junge Frau erfahren, dass ihr Mann als Assistenzarzt nur sehr wenig verdient, sie keine Papiere bekommt, weil seine Scheinehe noch nicht geschieden ist und er sie zur völligen Anpassung an die amerikanische Kultur zwingen will – doch wohin soll sie gehen?

Vier Erzählungen spielen ausschließlich in Nigeria mit folgenden Themen: Der Biafra-Krieg und seine Folgen für die damals Beteiligten aus der Sicht eines alten Mathematikprofessors; tödliche Auseinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen im Norden Nigerias, in die zufällig eine junge Studentin aus Laos gerät; die willkürliche Polizeigewalt aus der Perspektive der kleinen Schwester des Misshandelten oder auch die Geschichte der Töpferin Nwamgba aus dem 19ten Jahrhundert, deren Sohn ein fanatischer Anhänger der katholischen Kirche wird, deren Enkelin sich auf ihre kulturellen Wurzeln besinnt und sich als Historikerin mit den verschiedenen Volksgruppen Südnigerias beschäftigt.

Allen Erzählungen gemeinsam ist die intensive Schilderung aus der Sicht der jeweiligen Protagonisten, deren Verwicklungen oft nur wenig Auswege möglich machen. Dabei zeigt die Autorin, wie stark besonders ihre weiblichen Hauptpersonen sind. Sie müssen sich nicht nur gegen Unterdrückung, schlechte Berufsperspektiven und sexuelle Übergriffe wehren, sondern sich immer auch dem Überlebenskampf – häufig zwischen zwei Kulturen – stellen, in der Hoffnung für sich und ihre Kinder neue Perspektiven zu finden.

Chimamanda Ngozi Adichie Geschichten zeigen ungewöhnliche, nicht erwartete Wendungen und erzeugen so eine subtile Spannung. In ihrer bildreichen Sprache und den vielen Dialogen lässt die Schriftstellerin den Leser in die nigerianische Kultur eintauchen. Sehr deutlich legt die Autorin den Finger in die politischen und kulturellen Wunden Nigerias und bleibt dabei doch immer liebevoll parteiisch für ihre Landsleute. Der große Traum "Amerika" wird von ihr sehr scharfsinnig demontiert. Ihr Blick auf die weißen und die schwarzen Amerikaner ist direkt und subtil zugleich, wenn er deutlich macht, wie wenig die eingebildete Überlegenheit gegenüber den Afrikanern Bestand hat. Trotz allem verlieren die Figuren der Erzählungen Adichies nie den Mut und geben einen Einblick in eine entfernte Welt, die im Rahmen der Globalisierung immer dichter an uns heranrückt.

Besprochen von Birgit Koß

Chimamanda Ngozi Adichie: Heimsuchungen
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
S. Fischer Verlag
Frankfurt am Main 2012, 300 Seiten


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