Afrika als der Nabel der Welt

Der afrikanische Schriftsteller Abdourahman A. Waberi stellt in seinem Roman die weltpolitischen Verhältnisse auf den Kopf. Danach ist sein Kontinent reich und in Nordamerika und Europa hungern die Menschen, die darum unbedingt nach Afrika wollen. Die Anspielungen überschlagen sich geradezu, sind amüsant und von erfrischender Bissigkeit.
Verkehrte Welt – die Vereinigten Staaten von Afrika, reich, mächtig, im Überfluss schwimmend, von Immigranten aus den nördlichen Randzonen belagert, Sehnsuchtsort der Menschen aus dem in ethnischen Kriegen zersplitterten, zerstörten, darbenden Europa, dem hungernden Nordamerika.

Der 1965, also noch unter französischer Kolonialherrschaft in Djibuti geborene, französischsprachige Schriftsteller Abdourahman A. Waberi hat sich auf rund 150 Seiten mit seinem Roman "In den Vereinigten Staaten von Afrika" eine Satire auf die derzeitige weltpolitische Situation ausgedacht, die mit allen Klischees und Vorurteilen, die der Westen gegenüber Afrika hegt, bissig und amüsant spielt. Er stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Die Städte Djibouti, Asmara und Addis-Abeba sind zu einem modernen, glitzernden, boomenden Wirtschaftskonglomerat verschmolzen, mit Hightech-Industrie, hypermodernen Kommunikationsmitteln. In düsteren Vorortsiedlungen, in Gastarbeiterheimen träumen entrechtete Illegale davon, ein Stück des Wohl-stands zu erhaschen. Doch in den reichen afrikanischen Nationen wächst der Widerwille gegen die Flüchtlinge, hetzen nazi-ähnli-che Trupps Einwanderer, fordern Professoren die Abschiebung aller Illegalen.

Abdourahman Waberi, Professor für englischsprachige Literatur am Wellesley-College in Boston, also ein bestens ausgebildeter afrikanischer Intellektueller, weiß genau, dass eine solche satirische Verfremdung die Augen öffnen kann. Indem er den reichen Industriestaaten den Spiegel vorhält, die allzu bekannten Argumente gegenüber Afrikas Flüchtlingen vor Bürgerkrieg und Hungerkatastrophen damit ihren Urhebern quasi seitenverkehrt widerspiegelt, erscheinen sie in neuem Licht, enthüllen ihren makaberen und inhumanen Kern.

Der Schriftsteller zwingt seine Leser im Westen dadurch, das eigene Verhalten in Frage zu stellen, aber gleichzeitig kritisiert er auch die Afrikaner, denn in seinem Roman finden sich in Europa genau jene Verhältnisse, die derzeit als typisch für den Kontinent gelten: Stammeskämpfe, Warlords, bittere Armut, beißender Hunger großer Teile der Bevölkerung, katastrophale hygienische Verhältnisse, Seuchen, technisches Mittelalter.

Abdourahman Waberi hat sich einen allwissenden Erzähler gewählt, der zum einen die allgemeine Situation in den Vereinigten Staaten von Afrika schildert und zum andern das Schicksal der jungen Frau Maya verfolgt. Sie stammt zwar aus Frankreich, wurde aber als Kleinkind von afrikanischen Entwicklungshelfern adoptiert, wuchs in Djibouti auf. Frühzeitig wird dem Mädchen von seinen Mitschülern klargemacht, dass es aufgrund seiner weißen Hautfarbe, seines blonden Haars nicht dazugehört. Umso sensibler reagiert Maya auf rassische und ethnische Diskriminierungen, fühlt sich den Immigranten verbunden. Ihr Mitgefühl, ihr Mitleid, ihre Empörung drückt sie in Plastiken und Skulpturen aus, macht sich damit in Afrikas Kunstszene einen Namen als Bildhauerin. Als ihre Adoptivmutter stirbt, beschließt sie, sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu begeben, reist in das im Chaos versunkene Paris und spürt die alte Frau auch tatsächlich auf. Doch die Verhältnisse, unter denen die Menschen dort leben, empfindet sie als unerträglich. Sie flieht erschreckt zurück in ihre Welt, hilft fortan aus der Ferne.

Waberis Parabel liest sich wie ein Gedicht: Die Sprache ist hochpoetisch, die Bilder und Metaphern von verblüffender Farbigkeit, die Ideen von einleuchtender Klarheit. Die Anspielungen überschlagen sich geradezu, sind amüsant und von erfrischender Bissigkeit. Der Schriftsteller liebt Verdrehungen und Wortspiele. Aus McDonalds wird zum Beispiel die Fast-Food-Kette Sarr Mbock. Es tauchen die schlanken Bronzefiguren Djiatto Mehdis, also Giacomettis ebenso auf wie das berühmte Lächeln der Mouna Sylla, aus Hollywood wird Haile Wade. Den großen Namen der afrikanischen Literatur wird ebenfalls Referenz erwiesen. Man muss allerdings in der französischen Dichtung schon sehr beschlagen sein, um die verdrehten Zitate zum Beispiel von Rimbaud zu erkennen. Im Nachwort wird von der Übersetzerin Katja Meintel dankenswerterweise das eine oder andere ‚übersetzt’. Sie hat Phantastisches geleistet. Ihr Glossar klärt zudem über vieles auf, was Lesern, die wenig über die afrikanische Kultur wissen, sonst ein Rätsel bliebe.

Man sollte den Roman genießen wie einen guten Wein, sich die Worte Waberis auf der Zunge zergehen lassen, dann entfalten sie ihre volle Wirkung.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Abdourahman A. Waberi: In den Vereinigten Staaten von Afrika
Aus dem französischen Katja Meintel
Nautilus Verlag Hamburg 2008, 159 Seiten, 16 Euro