Afghanistan Women Film Festival

"Filmemacherinnen werden hier von allen Seiten bedrängt"

05:11 Minuten
Junge afghanische Filmemacherinnen laufen in Kabul über den Campus des Women Film Festival.
Filmemacherinnen beim Women Film Festival im August in Kabul. © Afghanistan Women Film Festival / HIWFF
Von Martin Gerner · 28.09.2019
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Zum Wahltag in Afghanistan eine Zahl: Jede zweite Frau will laut einer Studie weg aus dem Land. Wie leben und arbeiten Frauen hier? Martin Gerner hat das Women Film Festival in Kabul besucht und mit Filmemacherinnen und Aktivistinnen gesprochen.
Roter Teppich. Blitzlichtgewitter. Preisverleihung am Swimmingpool in geschützter Hotel-Lage. Junge Afghaninnen in armfreier Abendrobe, ohne Kopftuch die ein oder andere. Man muss Kabul erleben, um sich frei zu machen vom Einerlei unserer Schlagzeilen.

Zur Eröffnung ein Zitat von Bertolt Brecht: über Freiheit und Lebenskampf des Einzelnen. Zumindest ein Deutscher ist so anwesend bei diesem Filmfest.

Jede zweite Frau will Afghanistan verlassen

Eine von zwei Frauen in Afghanistan will ihr Land verlassen, so eine aktuelle Studie. Viel Krieg, wenig Arbeit. Zum Glück ist das Land so vielfältig, dass unter den Film-Regisseurinnen viele anders denken und träumen.
"Ich habe Glück gehabt", erzählt die Regisseurin Roya Sadat. "Mein Vater hat meine Liebe zum Film von Anfang an unterstützt. Aber mein Onkel hat unser Haus aus demselben Grund fünf Jahre lang nicht betreten. Dann haben sie meine Filme gesehen und langsam verstanden, was ich fühle und denke. Jetzt sagen sie: Wir sind stolz auf dich! Aber dieser Respekt und der Stolz - das kam erst sehr, sehr spät."

Roya Sadat dreht Spielfilme für internationale Festivals und produziert erfolgreiche Fernsehserien für das einheimische Publikum. Da treffen mitunter Welten aufeinander.

Filmemacherin in Afghanistan zu sein ist mehr als ein Job

Roya Sadat erzählt von ihrer Arbeit: "Es ist sehr schwierig in Afghanistan als Filmemacherin. Das ist mehr als ein Job. Für mich ist es mein Leben. Schwer ist es in den Dörfern zu drehen. Überhaupt draußen. Am Set bin ich oft mit 50-60 Leuten, gebe Regie-Anweisungen, renne hin und her. Wie eine Anführerin. Für die Schaulustigen drumherum ist das sehr ungewohnt."

Ungewohnt auch für die spanische Regisseurin Alba Sotorra, Jury-Mitglied, die nach über zehn Jahren das erste Mal wieder im Land ist. Voller Anerkennung:
"Filmemacherinnen werden hier von allen Seiten bedrängt. Finanziell sind sie ohne Absicherung. Gesellschaftlich sind sie immer und überall in Gefahr, alles zu verlieren. Immense Hindernisse also. Trotzdem produzieren sie gute, zum Teil außergewöhnliche Filme. Mit Leidenschaft und Talent. Mit Willen und dem Mut, ihre eigenen Geschichten zu erzählen."


"Filme zu finanzieren ist wirklich schwierig", weiß auch Sadat zu berichten. "Für unseren letzten Film A letter to the President haben wir jahrelang das Budget gesucht. Und am Ende selbst viel draufgezahlt. Junge Filmemacherinnen nehmen oft die Hilfe von Freunden und Kommilitonen an der Uni in Anspruch, um überhaupt zu drehen."
In einem Kino in Kabul sitzen Frauen anlässlich des Filmfestivals.
Der Vorführraum während des Filmfestivals ist gefüllt mit Frauen.© Afghanistan Women Film Festival / HIWFF

Die jungen Frauen sind heute anders als unter den Taliban

Nach den Taliban, die Film und Musik verbannt haben, bekommt Kabul nach 2001 wieder Kino-Säle. Vorübergehend. Die digitale Filmwelt macht aber den Spielsälen auch in Afghanistan den Garaus. Die ersten schließen wieder. Roya Sadat versucht immerhin, die Tradition von Familienbesuche im Kino wiederzubeleben. Und zwar jetzt, wo die Rückkehr der Taliban droht. Eine Machtteilung zumindest.
Roya Sadat: "Ich glaube, wir können so weitermachen wie jetzt. Ich bin fünf Jahre lang groß geworden, als die Taliban an der Macht waren. Die jungen Frauen heute sind nicht dieselben wie damals. Ich denke nicht, dass sich Geschichte wiederholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein oder zwei Monate ohne Arbeit am Film leben kann. Natürlich sind die Menschen müde vom Krieg. Sicher werden wir darum kämpfen, so weiterzuarbeiten wie jetzt."

Filme können Leben verändern

"Filme vermögen das Leben von Menschen hier zu verändern", erzählt sie. "Indem sie Wirklichkeiten an- und aussprechen. Nicht nur einzelne Frauen-Schicksale, sondern auch die Auswirkungen dieser Konflikte auf die Gesellschaft."

Die Wahlen begrüßt sie. Manipulationen scheinen einkalkuliert. Eine Machtteilung mit den Taliban dagegen sieht auch sie skeptisch: "Erstmals in der Geschichte Afghanistans haben wir freie Medien. Fernsehen, Radio, Zeitungen sind immer wieder kritisch, zum Teil investigativ. Das gefällt den Taliban nicht. Sie werden versuchen, diese Freiheiten zu beschneiden. Der Angriff droht jederzeit. Dagegen gilt es sich zu positionieren."
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