Afghanistan-Veteranin zum Großen Zapfenstreich

"Ich warte bis heute auf die Einladung zu diesen Würdigungen"

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Bundeswehrparade bei einem Abschlussappell anlässlich des nach fast 20 Jahren beendeten Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr im Verteidigungsministerium in Berlin
Vor dem Zapfenstreich: Abschlussappell zum nach fast 20 Jahren beendeten Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr im Verteidigungsministerium in Berlin. © AFP / Christof Stache
Corinna Kirchhöfer im Gespräch mit André Hatting · 13.10.2021
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Mit einem Großen Zapfenstreich werden die Soldaten für den Afghanistan-Einsatz gewürdigt. Die Veteranin Corinna Kirchhöfer fühlt sich nicht angesprochen: Sie vermisst Ehrlichkeit und Unterstützung beim Umgang mit den "Narben" aus dem Einsatz.
Offizielle Ehrung der deutschen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren: Dazu findet vor dem Reichstag in Berlin ein Großer Zapfenstreich statt. 20 Jahre hat dieser Einsatz gedauert. 59 Soldaten haben ihn nicht überlebt. Aber nicht nur deswegen ist die Stimmung eher getrübt. Der hektische Abzug und dann der schnelle Sieg der Taliban – das hat Spuren hinterlassen bei den Veteranen. Bereits Ende September hatte die Bundeskanzlerin sie im Bundestag gelobt und gewürdigt.
Sie warte bis heute auf die Einladung zu diesen Würdigungen, sagt Corinna Kirchhöfer. Das enttäusche sie sehr, dass das komplett an den Soldaten, die zu Hause sitzen, vorbeigegangen sei. "Von daher kann ich das so in der Form nicht annehmen, leider." Sie war als Feldwebel im Afghanistan-Einsatz, hat dort der Truppe als Übersetzerin gedient.
Sie werde den Zapfenstreich auch nicht über die Medien verfolgen, erklärt Kirchhöfer. Diese Ausstrahlung bezeichnet sie als "absolute Farce". Für sie stecke darin keine Ehrlichkeit.

Zur Kritik vieler vor allem linker Gruppen und aus der Friedensbewegung an dem Zapfenstreich zum Afghanistan-Einsatz sagt der Ethnologe Wolfgang Kaschuba [AUDIO] : Man müsse mit den Erfahrungen der großen Gruppe von Menschen – also der Soldatinnen und Soldaten – umgehen, "die das Gefühl hatte, sie ist für uns unterwegs". Dafür könne solch eine Würdigung Sinn machen. Der Einsatz selbst sei aber eine ganze andere Sache.

Wolfgang Kaschuba, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin
© picture alliance / dpa / Sophia Kembowski
Dieser Zapfenstreich sei aus ihrer Sicht lediglich der Versuch, die Versäumnisse bei der Landung des letzten Flugzeugs mit Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan wiedergutzumachen, sagt die ehemalige Soldatin. Damals gab es keinen Empfang, kein Politiker war vor Ort.

Betreuung der Soldaten mangelhaft

Nicht nur den Umgang mit der Rückkehr der letzten Soldaten sieht Corinna Kirchhöfer kritisch. Der Afghanistan-Einsatz könne als großes Ganzes als "verbockt" bezeichnet werden. Es habe viele kleine Teilerfolge gegeben, aber das eigentliche Ziel sei es nicht erreicht worden: "Dass das Land mit einer stabilen Regierung und gut ausgebildeten Ortskräften sich selber schützen kann."
Aus ihrer Sicht hätte die Betreuung der Soldaten besser sein müssen. "Die Würdigung, die Anerkennung – aber vielmehr hinter den Kulissen mit den Soldaten zu sprechen, über deren Narben zu sprechen, was sie mit nach Hause gebracht haben, gerade auf emotionalen Ebene. Das hat mir komplett gefehlt."

Hilfsangebote von offizieller Seite

Ihre Narben aus dem Afghanistan-Einsatz, aus dem sie 2011 zurückgekehrt ist, spielten noch immer sehr häufig eine Rolle in ihrem Alltag, sagt Corinna Kirchhöfer, die insgesamt zwölf Jahre lang Soldatin war. "Seien es Geschichten – oder irgendwelche Geräusche oder Gerüche, die in meinem Alltag vorkommen. Aber vor allen Dingen in der Beziehung zu anderen Menschen hat das bei mir sehr, sehr extreme Folgen gehabt."

Kritischer Rückblick auf den Afghanistan-Einsatz [AUDIO]
Mit einem Großen Zapfenstreich wurden die Soldaten für den Afghanistan-Einsatz gewürdigt. Martin Gerner hat als freier Journalist in Afghanistan gearbeitet; er befürchtet, dass Teile der Politik das Narrativ aufbauen wollten, die Afghanen trügen für die aktuelle Situation die alleinige Verantwortung.

© Kay Nietfeld/dpa
"Da geht es darum, Nähe zuzulassen, also Abstand zu Menschen, gewisse Sachen einfach nicht vertragen zu können – aber auch oft nicht erklären zu können, warum man so reagiert."
Hilfe von offizieller Seite habe sie nicht bekommen. "Ich musste mich 2019 selbst darum kümmern, als ich das erste Mal darüber gestolpert bin, dass ich wirklich Probleme habe." Heute habe sie bereits zahlreiche Nachrichten "von offizieller Stelle" bekommen und freue sich, dass da endlich Bewegung reinkomme. Denn: "Ich glaube, dass da ganz, ganz viele – im Dunkeln verborgen – diese Hilfe wirklich sehr gut gebrauchen können."
(abr)
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