Afghanistan-Expertin: Mitbestimmung der Provinzen stärken

Almut Wieland-Karimi im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Die Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, Almut Wieland-Karimi, sieht Chancen für einen Frieden in Afghanistan vor allem durch eine Regionalisierung der politischen Macht in dem Land.
Marietta Schwarz: Bei Weitem nicht alles läuft in Afghanistan so, wie es laufen sollte. Seit acht Jahren kämpfen dort internationale Truppen gegen die radikalislamischen Taliban, doch die Situation gerät eher außer Kontrolle, als dass sie sich stabilisiert. Eigentlich alle Parteien drücken sich um eine Antwort auf die Frage, wie es am Hindukusch weitergeht. Ende Januar allerdings, bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in London, müssen die Karten auf den Tisch gelegt werden – Truppenaufstockung oder Abzugspläne, das sind die großen Themen, um die es dann gehen wird. Doch jenseits dessen stellen sich noch viele andere Fragen. Almut Wieland-Karimi ist Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, und sie hat zwei Jahre lang die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul geleitet. Das Zentrum bildet zivile Experten für den Einsatz unter anderem in Afghanistan aus, und die Direktorin habe ich vor der Sendung gefragt, wie man sich das konkret vorzustellen hat.

Almut Wieland-Karimi: Ja, ganz konkret ist der Auftrag von dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, Zivilisten auszubilden, die dann in Missionen gehen, in Friedensoperationen gehen, für die EU, die OSZE oder auch die UN. Das heißt, die durchlaufen Grundkurse und Trainings und gehen dann in diese Mission, und unter anderem wählen wir auch alle deutschen Wahlbeobachter aus. Ich möchte allerdings zu Anfang auch klarmachen, dass ich hier in meiner Funktion als Afghanistan-Expertin sprechen möchte und nicht als Leiterin des ZIF, des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze.

Schwarz: In der Wahrnehmung, in unserer Wahrnehmung steht ja eigentlich immer die Bundeswehr in Afghanistan. Gibt es da eine Form von Zusammenarbeit oder Berührungspunkte, die macht ja schließlich auch Aufbauarbeit?

Wieland-Karimi: Das ist richtig. Ich würde zunächst mal das Positive herausstreichen, dass die Zusammenarbeit von Militär, Polizei und zivilen Kräften sicherlich sich verbessert hat über die Jahre. Afghanistan ist sicherlich so etwas wie das erste Land, wo das in der Intensität geprobt worden ist. Wichtig ist mir allerdings, dass man auch mal genauer hinguckt – wir sprechen immer darüber, dass das zivile Engagement gestärkt werden soll. Das ist aus meiner Sicht der richtige Ansatz, es ist aber wahrscheinlich nicht genug Differenzierung darüber vorhanden, was eigentlich gemeint ist damit. Es sind ja zu Teilen die Organisationen aus der schon bekannten Entwicklungszusammenarbeit, es sind aber natürlich auch die Zivilisten in den Friedensoperationen, und was ich besonders spannend und wichtig finde, es heißt eben auch eine Konzentration auf die afghanische Zivilgesellschaft. Also besonders wichtig finde ich in dieser Diskussion vor London jetzt, zu gucken, was eigentlich die afghanischen innerpolitischen Prozesse ausmacht. Und da könnte die Zivilgesellschaft eine sehr viel stärkere Rolle spielen.

Schwarz: Was würden Sie sagen, was sind gerade so die großen Punkte?

Wieland-Karimi: Die großen Punkte sind sicherlich, dass es auf der afghanischen Seite zunächst am Anfang dieses Friedensprozesses, also nach 2001, eine riesige Begeisterung, Enthusiasmus gab für die internationale Unterstützung. Diese Energie und Enthusiasmus, die sind immer noch vorhanden, die sind natürlich auch abgeebbt ob vieler Dinge, die nicht so gelaufen sind, wie man sich die ausgemalt hat. Zum anderen sicherlich waren die Erwartungen sehr viel höher als das, was man in so kurzer Zeit hat erreichen können. Aber das, was wichtig ist, in dieser Zivilgesellschaft steckt weiterhin sehr viel Energie und Motivation, diesen Friedensprozess fortzuführen.

Schwarz: Dennoch muss man ja festhalten, acht Jahre währt diese Friedensmission jetzt schon, die der Bundeswehr, aber die Gewalt am Hindukusch nimmt zu. Also was läuft da denn da jetzt schief?

Wieland-Karimi: Sicherlich ist es auch ein klassischer Prozess. Am Anfang hat man es stark schaffen können, die Taliban erst mal zum Rückzug zu bewegen, und erst im Laufe des Prozesses haben sich so die kleinen Übel eingeschlichen. Im Bereich der Korruption ist natürlich sehr viel Geld auf einmal in ein Land gekommen, wo wenig funktionierende Institutionen vorhanden sind, der politische Prozess war sehr viel schwieriger, als man das sich erhofft hätte. Es sitzen wieder Warlords im Parlament, es sind nicht alle Bösewichte, diejenigen, die auch Menschenrechte verletzt haben in der Vergangenheit – die haben ja nicht von heute auf morgen alle das Land verlassen. Insofern ist man da doch auch hart auf den Boden der Realität gefallen, und da ist sicherlich, sind auch Möglichkeiten entstanden, dass eben diese extremistischen Kräfte wieder zurückgekommen sind. Und die haben einfach die Teile der Zivilbevölkerung auch an sich ziehen können, die entweder arbeitslos sind, also einfach keine Alternativen haben und sich über 100 Dollar im Monat auch an die Taliban gebunden haben, und auch Teile der Bevölkerung, die auch einfach frustriert sind, dass dieser Prozess nicht so viel gebracht hat, wie sie sich von ihm versprochen haben.

Schwarz: Was raten Sie denn jetzt der Bundesregierung auch als Kennerin des Landes in der Situation? Aufstockung oder Abzug der Truppen, das ist ja die große Frage, die sich hier jetzt jeder stellt.

Wieland-Karimi: Also, zunächst einmal wäre mein Rat für die London-Konferenz, dass man sich auch sehr stark konzentriert auf die afghanische Seite, auf die Vorschläge von der afghanischen Seite, wie dieser politische Prozess umgesetzt werden kann. Da gibt es viele Dinge, die man nicht ausprobiert hat. Also es gibt jetzt eine Verfassung im Land mit einem Präsidialsystem, da ist sicherlich die Frage, ob es Sinn macht, dass man einer Person so viel Macht in einem sehr dezentralisierten Land gibt. Was die Truppen anbelangt, denke ich mir, es wird nicht möglich sein für die zivilen Helfer und Helferinnen, ihr Engagement in dem Land fortzuführen, ohne dass sie Unterstützung von den Truppen hat. Denn ohne Sicherheit ist es einfach nicht möglich.

Schwarz: Jetzt haben Sie gesagt, man muss noch mal als internationale Seite auch mehr auf diese politische Seite in Afghanistan schauen und dort versuchen einzuwirken. Wo sind denn da die Chancen und die Grenzen einer solchen Einflussnahme?

Wieland-Karimi: Ich glaube, dass man sich vor allen Dingen erst mal genau anhören sollte, was eigentlich die Vorschläge sind auf der afghanischen Seite. Und in Afghanistan, da gibt es ja auch verschiedene politische Flügel und Ideen, und eine Idee, die seit Längerem herumgeistert, auch in verschiedenen Lagern, ist eben diese Idee, noch mal so eine Loya Jirga, so eine große Stammesversammlung stattfinden zu lassen, in der man auch über grundsätzliche Dinge sprechen sollte, zum Beispiel, ob eben das System für Afghanistan richtig ist, ob man nicht überlegen könnte, was es für Systeme gibt, die zum einen vielleicht früher erfolgreich waren, oder vielleicht auch Mischsysteme, die dazu führen können, dass es eine größere Beteiligung vor allen Dingen der verschiedenen Provinzen und der verschiedenen Regionen des Landes gibt. Und ich könnte mir vorstellen, dass es den Friedensprozess tatsächlich stabilisieren würde, wenn man dieses Grundproblem Nord-Süd aus dem Land kriegen würde, also paschtunische gegenüber nicht paschtunischen Gebieten. Wenn man gucken würde, dass einfach jede Region für sich auch ein stärkeres Mitspracherecht hätte, hätte man schon dann erwirkt, wenn die Leute ihre eigenen Gouverneure wählen dürften. Dazu müsste man die Verfassung ändern, denn bis jetzt werden sie vom Präsidenten ernannt. Wäre sicherlich ein guter Schritt in eine Stabilisierung des Landes.

Schwarz: Auch ein realistischer Schritt in Zusammenarbeit mit dem wiedergewählten Präsidenten Hamid Karsai?

Wieland-Karimi: Auch dieser hat diese Idee mit einer Loya Jirga aufgebracht. Wichtig wäre natürlich, wenn man einen Gesprächsfaden darüber aufnimmt und sagt, die internationale Gemeinschaft ist sich dieser Debatte innerhalb des Landes bewusst, dass man da mit einer Stimme spricht. Und daran scheitert es manchmal, dass es da doch unterschiedliche Vorstellungen gibt und zunächst ein Land mit seinen Vorstellungen dort vorstellig wird, ohne das mit den anderen abgesprochen zu haben, und das macht die Situation so schwierig, weil halt der Konsens auch in der internationalen Gemeinschaft fehlt, wie man in Afghanistan und in der Region vorangehen will.

Schwarz: Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, über den Afghanistan-Konflikt und die bundesdeutsche Diskussion darum. Vielen Dank für das Gespräch!

Wieland-Karimi: Ja, sehr gerne!
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