Äußere Härte und äußerste Empfindsamkeit

Rezensiert von Jörg Magenau |
William T. Vollmann ist ein Grenzgänger zwischen Literatur und Journalismus. Er schafft es, den Stoff seiner Recherchen so zu verwandeln und zu verdichten, dass daraus eine hochpoetische Literatur entsteht. Das gelingt ihm allein durch die Sprache. Das ist das Erstaunliche an diesem höchst seltsamen Roman. Denn der Inhalt von "Huren für Gloria" ist wenig erbaulich. Charles Bukowski ist ein braver Waisenknabe gegenüber diesem Text, der zarteren Gemütern sicher nicht zu empfehlen ist.
Auf Bildern sieht er aus wie ein etwas verklemmter, pubertierender Junge, mit Seitenscheitel, Neigung zu fettigem Haar und viel zu großer, tropfenförmiger Brille. Es ist schwer, diese Fotos mit den Texten über Gewalt, Sexualität und Prostitution zusammenzubringen, die zum Markenzeichen von William T. Vollmann geworden sind. Wegen seines Machismo wurde er schon oft mit Ernest Hemingway verglichen. Auch sein abenteuerliches Leben hat keine Spuren in diesem Gesicht hinterlassen.

Nach dem Studium der Komparatistik, einem Job als Computerprogrammierer und dem ersten Roman ging er 1982 nach Afghanistan, um sich dem Kampf der Mudschaheddin gegen die Rote Armee zu anzuschließen. Seine "Afghanistan Picture Show", 1992 in den USA und 2003 auf deutsch erschienen, ist ein seltsames Dokument verquerer Solidarität. Für einen Roman über Alaska begab er sich für zwei Wochen in die Arktis, um zu spüren, wie Kälte und Hunger sich anfühlen. In Bosnien kamen drei seiner Reisebegleiter ums Leben, als das Fahrzeug auf eine Mine fuhr. In Thailand kaufte er ein 14-jährigesMädchen, um sie von der Prostitution zu befreien, und brachte sie bei Verwandten in Bangkok unter. Und um amerikanische Prostituierte zum Reden zu bringen, war er bereit, Crack mit ihnen zu rauchen. Man kann wahrlich nicht behaupten, William T. Vollmann würde sich bei seinen Recherchen schonen oder aus dem Geschehen raushalten.

In "Huren für Gloria", der vierten von insgesamt schon 16 Veröffentlichungen, sind im Anhang sogar kleine Gesprächsprotokolle und eine Preisliste für Sex und andere Dienstleistungen zu finden, gültig in den späten 80er Jahren. Auch für diesen Roman aus dem Jahr 1991 hat Vollmann gründlich recherchiert. Jetzt ist er auf Deutsch erschienen, als erstes literarisches Werk des Grenzgängers zwischen Literatur und Journalismus. Vollmann steht in der Tradition eines Truman Capote, dem Erfinder des nicht-fiktionalen Romans oder eines Norman Mailer. Doch Vollmann schafft es, den Stoff seiner Recherchen so zu verwandeln und zu verdichten, dass daraus eine hochpoetische Literatur entsteht. Das gelingt ihm allein durch die Sprache. Das ist das Erstaunliche an diesem höchst seltsamen Roman. Denn der Inhalt ist wenig erbaulich. Es geht um nichts anderes als ums Saufen, um Drogen und um billigen, trostlosen Sex. Charles Bukowski ist ein braver Waisenknabe gegenüber diesem Text, der zarteren Gemütern sicher nicht zu empfehlen ist.

Im Mittelpunkt steht Jimmy, ein abgehalfterter Vietnam-Veteran, der seine kleine Rente zu den Huren im Tenderloin-District, dem Rotlichtviertel von San Francisco trägt. Er bezahlt sie, damit sie ihm Geschichten erzählen oder ihm eine Haarlocke überlassen. Aus diesen fremden Erinnerungen baut er sich seine eigene Geschichte. Jimmy ist auf der Suche nach Gloria, der Frau seiner Sehnsucht. Ob es sie wirklich einmal gab, bleibt ungewiss. Vielleicht war sie eine Spielgefährtin der Kindheit. Vielleicht handelt es sich um seine tote Frau. Und vielleicht ist sie am Ende diejenige, die ihn auf offener Straße erschießt. Aber das ist nicht wichtig.

Der entscheidende Kniff des Romans besteht darin, dass Jimmy alles, was ihm zugetragen wird, in Beziehung zu Gloria bringt. Das ist eine poetische Leistung, so etwas wie eine Utopie, wenn auch wiederum nur eine Huren-Utopie. Diese Vorstellungswelt kann Jimmy nicht überschreiten, und doch schafft es aus seiner erbärmlichen Wirklichkeit etwas Schöneres, das ihn am Leben hält und das den sinnlosen Kreiseln zwischen Bar und Hotelbetten eine stille Würde gibt.

Vollmann bleibt konstant in der Binnenperspektive. Er erlaubt sich als Autor keine Distanz zu seinen abgewirtschafteten Figuren. An keiner Stelle gibt er moralische Urteile ab. Mitleidlos beschreibt er, wie die Huren sich den nächsten Schuss setzen, wie sie "ihre juckende Fotze" kratzen, wie sie erstochen werden oder von ihren Freiern gequält. Und auch Jimmy geht zielstrebig zugrunde. Doch weil Vollmann jedes Mitleid verweigert, entkommt er der Gefahr, billigen Elendskitsch zu produzieren.

Dass er auf mysteriöse Weise fasziniert ist von diesem Milieu, treibt sein Schreiben an - gerade so, als sei er ausgerechnet hier noch ein Rest von Liebe oder ein wahres Gefühl zu erhoffen. Der Kontrast zwischen äußerer Härte und äußerster Empfindsamkeit macht diesen Roman so verstörend. Vollmann verbindet journalistische Präzision mit einer musikalischen, schönen Sprache, die selbst harten Slang zu etwas Lyrischem rhythmisiert. Thomas Melle hat diesen Effekt ohne Verluste ins Deutsche gebracht. Er war damit durchaus zu Recht in der Sparte Übersetzung für den Leipziger Buchpreis nominiert.


William T. Vollmann: Huren für Gloria
Aus dem Amerikanischen von Thomas Melle.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2006, 200 Seiten