Ärztin und Dschungelkämpferin

Die 25-jährige Ärztin Dang Thuy Tram schloss sich 1966 den Truppen des Vietcong an und arbeitete in einem Dschungellazarett der kommunistischen Kämpfer. In ihrem Tagebuch beschreibt sie detailliert die Gräuel des Vietnamkrieges, aber auch ihre Sehnsüchte, ihr Heimweh und ihre Ängste. Ein bewegendes Dokument Zeitgeschichte.
"Letzte Nacht träumte ich vom Frieden" erschien zuerst auf Vietnamesisch, im Sommer 2005 in Hanoi. Anderthalb Jahre später waren 430.000 Stück verkauft, eine sensationelle Zahl in Vietnam, wo kaum ein Buch mehr als 5000 Käufer findet. Dang Thuy Trams Tagebuch rief in Vietnam ein ähnliches Echo hervor wie "Im Westen nichts Neues" hierzulande.

Hunderte Menschen besuchen Thuys Grab auf einem Friedhof am Stadtrand von Hanoi. Ein Krankenhaus wurde ihr zu Ehren errichtet und in den Bergen Zentralvietnams markiert ein Gedenkstein die Stelle, an der eine US-Patrouille die junge Ärztin 1970 erschoss.

Dang Thuy Tram war 25 Jahre alt und gerade mit dem Medizinstudium fertig, als sie im Dezember 1966 in Hanoi auf einen Lastwagen kletterte. Vom kommunistischen Norden Vietnams aus fuhr sie gemeinsam mit anderen Freiwilligen 400 Kilometer weit in den umkämpften Süden. Die zierliche junge Frau aus privilegierten Verhältnissen marschierte zu Fuß über den so genannten Ho-Chi-Minh-Pfad durch die Berge von Zentralvietnam, bis sie ihren Einsatzort erreichte: eine improvisierte, im Dschungel versteckte Lazarettstation der FNL, der Nationalen Front zur Befreiung Südvietnams, von den US-Soldaten Vietcong genannt.

Dang Thuy Tram stammt aus einer Ärztefamilie: Ihr Vater war Chirurg am St. Pauls' Hospital von Hanoi, die Mutter Dozentin an der Pharmazeutischen Fakultät der Universität und Expertin für Heilpflanzen. Der Vater spielte westliche klassische Musik zur abendlichen Entspannung, Thuy lernte Geige und Gitarre. Sie ging auf die angesehene Chu-Van-An-Oberschule: Generationen vietnamesischer Intellektueller, Künstler und Politiker besuchten die von den Franzosen als Lycee du Protectorat gegründete Schule.

Thuy interessierte sich besonders für Naturwissenschaften und Literatur. Als das älteste von fünf Kindern trat sie in die väterlichen Fußstapfen und studierte Medizin. Nach ihrem Abschluss verzichtete sie auf ein Aufbaustudium der Augenheilkunde, meldete sich stattdessen freiwillig für den medizinischen Einsatz in der FNL, der Guerillaarmee unter kommunistischer Vorherrschaft.

Thuy war eine glühenden Anhängerin Ho Chi Minhs. Sie ging aus Idealismus in die umkämpften Berge Zentralvietnams, in denen die amerikanischen Truppen Dauerangriffe mit Napalmbomben flogen und ganze Dörfer dem Erdboden gleich machten. Aus Idealismus und aus Liebe: In ihrem Tagebuch spricht sie sehr oft von M., ihrer Jugendliebe. M. ging ebenfalls zum Vietcong, Thuy folgte ihm. Die Beziehung scheiterte, aber was genau zwischen den beiden passiert ist, bleibt im Dunklen, denn "Letzte Nacht träumte ich vom Frieden" ist das ältere von zwei Tagebüchern. Das erste ging verloren.

Dang Thuy Tram übernahm die Leitung eines Feldlazaretts und behandelte Dutzende von Verwundeten unter primitiven Bedingungen, in Bambushütten, ohne Narkosemittel, immer auf der Flucht vor den amerikanischen Truppen, die die Berge durchkämmten. "Search and destroy" wurden die Einsätze genannt, bei denen die GIs auf alles feuerten, was sich bewegte. In Thuys Gebiet war die "Tasc Force Oregon" im Einsatz, die im März 1968 das Massaker von My Lai anrichtete.

Der Krieg kostete unzählige Opfer, Thuy verlor einen Kameraden nach dem anderen. "Bergen von Fleisch und Knochen" türmten sich auf, so schreibt sie, aber diese Opfer müssten gebracht werden, um Vietnam nach einem Vierteljahrhundert endlich von der Fremdherrschaft zu befreien.

Wut und Hass auf die "amerikanischen Banditen" vertraut Thuy von April 1968 bis Juni 1970 ihrem Tagebuch an. Sie schildert die Kriegsgräuel schonungslos und realistisch. Aber auch über ihre enttäuschte Liebe zu "M." schreibt sie, ihre Frustration darüber, dass sie als "Bürgerliche" lange nicht in die Kommunistische Partei aufgenommen wird, ihre Selbstzweifel und Ängste. Ihre enge Freundschaft zu jungen Guerillakämpfern, die offensichtlich misstrauisch beäugt wird.

Das Tagebuch der literarisch gebildeten Dang Thuy Tram ist voller Gegensätze: Gefühle ihres "leidenschaftlichen Herzens" drückt sie in blumiger Sprache aus, naiv und schwelgerisch. Unkritisch wiederholt sie Propagandaparolen der Partei, dann wieder regt sie sich über Neid und Missgunst von ungebildeten Kadern auf.

Sie spricht mit sich selbst, ermahnt sich zu Charakterfestigung, Selbstkritik und Tapferkeit. Vor allem wenn sie ihrem Heimweh Ausdruck verleiht, greift sie zu lyrischen Naturbeschreibungen. Aus ihrem Tagebuch spricht eine kluge, selbstbewusste, mutige und romantische junge Frau, die man gerne kennen gelernt hätte.

In den letzten Monaten werden ihre düsteren Vorahnungen immer häufiger, dass sie das Ende dieses Krieges nicht erleben wird. Dang Thuy Tram sollte Recht behalten. Ihr letzter Eintrag stammt vom 20. Juni 1970: US-Soldaten haben mit heftigen Bombardements und Bodentruppen ihre Krankenstation angegriffen. Die Ärztin ist mit ihren Helfern und Patienten in den Dschungel geflohen, wartet verzweifelt auf Hilfe von Kämpfern der Volksbefreiungsarmee.

Zwei Tage später wird Dang Thuy Tram im Alter von 27 Jahren von einer US- Patrouille erschossen. Sie trägt ihr Tagebuch bei sich. Der US-Soldat Fred Whitehurst nimmt es mit in die USA und hebt Thuys Notizen Jahrzehnte lang in einem Aktenschrank auf. Whitehurst spielt nach eigenen Angaben öfter mit dem Gedanken, das Tagebuch Thuys Familie zu schicken, habe aber nicht gewusst, wie er sie ausfindig machen sollte. Schließlich gibt er die Notizen seinem Bruder Rob, ebenfalls Vietnamveteran, der mit einer Vietnamesin verheiratet und ihrer Sprache mächtig ist. Rob Whitehurst übersetzt das Tagebuch ins Englische, 2007 erscheint es in den USA unter dem Titel "Last Night I Dreamed of Peace".

2005 gaben die Brüder Whitehurst eine Kopie des Originals einem Veteranen der Air Force mit, der Vietnam besuchte. Er fand Thuys Familie in Hanoi und übergab ihr die Notizen, 35 Jahre nach dem Tod der jungen Frau.

Als sie das Tagebuch ihrer Tochter in Händen hielt, sei es gewesen, als habe sie Thuy leibhaftig in die Arme schließen können, sagte ihre über 80-jährige Mutter.

Rezensiert von Vanja Budde

Dang Thuy Tram: Letzte Nacht träumte ich vom Frieden. Ein Tagebuch aus dem Vietnamkrieg
Aus dem Amerikanischen von Gabriele Herbst
Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2008
313 Seiten. 17,90 EUR