Ägypten

"Wir brauchen eine Demokratie der kleinen Schritte"

Moderation: Ulrike Timm |
Er glaube, dass sich sein Land weiter in Richtung Rechtsstaat und Demokratie entwickeln werde, sagt Abdul Bar Zahran von der liberalen "Partei Freier Ägypter" im Deutschlandradio Kultur. Die zur Abstimmung stehende Verfassung garantiere die Gleichheit von Mann und Frau und schaffe die Bevormundung durch eine Religion ab.
Ulrike Timm: Verfassungsreferendum heute und morgen in Ägypten – schon wieder. Vor einem Jahr wollte die damalige Regierung Mursi eine fundamentale Rolle rückwärts erzwingen. Der damalige Verfassungsentwurf war einer nach dem Motto: alle Macht dem Präsidenten, der Islam als Staatsreligion.
Der heutige Vorschlag ist anders: Ägypten soll ein demokratischer Staat sein. Das steht schon in der Präambel. Und der Tenor lässt sich sehr kurz so beschreiben: Weniger Religion, aber mehr Militär und mehr Justiz. Und ein Ja zum neuen Entwurf, das muss es wohl geben. „Blamiert mich nicht vor den Augen der Welt“, appellierte Ägyptens starker Mann, Militärchef al-Sisi an seine Landsleute. – Wir sprechen über ein Land, in dem es nach wie vor brodelt, und wir sprechen mit Abduhlbar Zahran. Er ist Mitglied der Partei Freier Ägypter, eine kleine liberale Partei, die sich aus dem Arabischen Frühling heraus gegründet hat. Schönen guten Morgen, Herr Zahran.
Abduhlbar Zahran: Schönen guten Morgen nach Berlin!
Timm: Mit welchen Gedanken und mit welchen Gefühlen gehen Sie in diesen Abstimmungstag?
Zahran: Mit dem Gedanken, dass die Ägypterinnen und Ägypter heute erneut den Versuch machen, erneut Schritte Richtung Rechtsstaat und Demokratie zu machen und das Fundament für eine neue Demokratie auch zu legen, was wir leider innerhalb der letzten drei Jahre nicht erzielt haben.
Timm: Das wünschen Ihnen, glaube ich, alle. Aber wenn man hört, dass 160.000 Soldaten und 130.000 Polizisten 30.000 Wahllokale bewachen, dann hat das schon was von „Ihr müsst jetzt aber dafür sein“. Können Sie verstehen, dass da vielen mulmig wird, dass Zweifel aufkommen?
"Heute wird über die Zukunft des Landes abgestimmt"
Zahran: Wenn die Menschen Angst haben, kann ich das verstehen. Aber wenn Sie hier in Ägypten leben und mitverfolgen, wie Ägypten eine Welle an Bombenanschlägen und auch an Gewalt in den letzten vergangenen Monaten erleben musste, muss der Staat – und der Staat wie überall auf der ganzen Welt hat die Gewalt per Gesetz - … muss der Staat seine Bürger schützen und Schutz anbieten, wenn sie ihre Stimme abgeben. Heute wird nicht nur über eine Verfassung oder über einen Verfassungsentwurf abgestimmt, sondern es wird über die Zukunft des Landes abgestimmt.
Timm: Das Militär bleibt aber nach wie vor die starke Kraft und al-Sisi würde wohl ganz gerne selbst Präsident werden. Eigentlich sollte er ja nur den Übergang moderieren. Was sagt uns das, dass der General der starke Mann bleiben wird?
Zahran: Wir wollen das nicht hundertprozentig personifizieren. General al-Sisi ist momentan Mitglied der Übergangsregierung. Wenn er als Präsident Ägyptens auftreten möchte, soll er seine Militäruniform ausziehen und in Zivilkleidern auftreten. Er hat das Recht wie jeder andere Ägypter auch zu kandidieren. Und dann werden die Menschen ihn wählen oder nicht wählen.
Aber lassen Sie uns ganz kurz, wenn Sie ein paar Sekunden Zeit haben, über diese Verfassung reden, die heute und morgen von dem Volk entweder akzeptiert oder abgelehnt wird. Diese Verfassung ist demokratisch und grundmenschenrechtsorientiert. Denn wenn wir über Gleichheit zwischen Mann und Frau, über die Rechte der Frauen, über Abschaffung von der Bevormundung der Religionen innerhalb eines Zivilstaates reden, dann ist das eine Verfassung, über die die Menschen in Ägypten abstimmen und positiv abstimmen, damit wir in die Zukunft weiter schauen können.
Timm: Damit beschreiben Sie die demokratischen Stärken des Papiers, wo aber auch zum Beispiel drinsteht, dass das Militär acht Jahre lang den Verteidigungsminister bestimmen darf. Sie hat schon Züge, die das Militär sehr stärken. Das irritiert natürlich, ich sage mal, gefestigtere Demokratien, als Ägypten es sein kann. Sie haben uns – daran erinnere ich mich sehr gut – vor ein paar Monaten gesagt "Wir stellen uns nicht hinter das Militär, das Militär stellt sich hinter uns". Der Satz ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Würden Sie das heute noch mal sagen?
"Das Militär ist eine nationale Institution"
Zahran: Ich werde das immer sagen, weil das Militär eine nationale Institution ist und kein fremder Körper in Ägypten. Und wenn Sie die Geschichte Ägyptens durchlesen, von der Vorgeschichte bis in die heutige Zeit, hat das Militär immer eine Rolle gespielt, und wir wollen die Gewichte im Land erkennen, denn das führt nur zur Stabilität. Wir müssen weiter die Erkennung machen, oder die Kenntnis machen, durch die letzten drei vergangenen Jahre und die Entwicklung innerhalb dieser drei Jahre, dass unser Land ein Land ist, was der Dritten Welt angehört, dass es in unserem Land viel Analphabetentum gibt, dass es in unserem Land viel Armut gibt, dass unser Land viele Probleme hat und dass unser Land eine Strategie der Demokratie der kleinen Schritte machen soll und keine Sprünge. Denn wir sind nicht in der Lage, solche großen Sprünge zu machen. Wir werden eine Demokratie aufbauen aufgrund dieser Vorstellung.
Timm: Heute beginnt in Ägypten ein Verfassungsreferendum und wir sprechen über ein Land auf der Suche nach neuen Strukturen mit Abduhlbar Zahran von der Partei Freier Ägypter. – Herr Zahran, das Militär hat immer eine Rolle gespielt, haben Sie gesagt. Das ist natürlich eine sehr vorsichtige Beschreibung dafür, dass das Militär Mubarak lange gestützt hat, eigentlich die Garantie war für seine Macht, und Mubarak wollten gerade die demokratisch gesinnten Ägypter wie Sie gerne los werden. Eigentlich bin ich ein bisschen erstaunt, dass Sie das so positiv werten, wie Sie das werten, denn es sieht natürlich vom Ausland aus – zugegeben da sieht immer alles anders aus – mächtig nach Rolle rückwärts aus, was im Moment passiert.
Zahran: Mubarak wurde durch das Militär gestützt oder auch unterstützt, ja, weil das Militär jeden Staatspräsidenten unterstützen muss als eine Staatsinstitution, was ja auch innerhalb des staatlichen Systems fungiert und auch nach der Verfassung agieren muss.
Timm: Klar! Aber wenn 160.000 Soldaten 30.000 Wahllokale stützen, dann geht man doch als Ägypter schon rein mit dem Gefühl, ich muss jetzt Ja sagen, oder?
Zahran: Nein!
Timm: Sind Sie sicher?
Zahran: Schauen Sie mal, was bei Ihnen in Hamburg passiert ist!
Timm: Da sind nicht 160.000 Soldaten. Bei allen Krawallen in Hamburg sind keine Soldaten beteiligt, überhaupt nicht.
Gewalt durch Muslimbrüder stimmt Ägypter promilitärisch
Zahran: Da hat das Bundesland Hamburg gefährdete Gebiete ernannt. Warum? Weil Polizisten mit Steinen beworfen wurden und, ich weiß nicht, mit Molotow-Cocktails. Ich habe das nicht so genau verfolgt. Aber die Nachricht ist, dass es Gefahrengebiete in Hamburg gibt. Das ist, weil Ausschreitungen gegen die Polizei geschehen sind. Sie verfolgen die Nachrichten, ganz Deutschland bestimmt, weil Ägypten ein wichtiges Land ist, und wir erleben hier Bombenanschläge, Gewalt jeden Tag auf den Straßen und so weiter und so fort. Deshalb ist das und das ist übrigens das, was die Menschen so promilitärisch einstimmt, weil sie sehen, dass die Muslim-Brüder und deren Lager, die Allianz, die die Muslim-Brüder unterstützt, jeden Tag auf den Straßen Gewalt ausübt.
Timm: Nun sind viele Muslim-Brüder unterdessen ins Gefängnis gekommen und die Organisation selber ist zur Terrororganisation erklärt worden, ganz kurz vor den Wahlen. Ich glaube nicht, dass die Muslim-Brüder irgendjemandem wirklich sympathisch sind, aber sie sind eine Kraft in Ägypten und sie haben natürlich an diesem Entwurf genauso wenig mitwirken können, wie die demokratisch gesinnten Ägypter aus dem Arabischen Frühling am Verfassungsentwurf Mursis haben mitwirken können. Ist das wirklich ein so rundum glücklicher Start, wie Sie es uns doch beschrieben haben?
Zahran: Ich hoffe es auf jeden Fall. Aber kein Mensch hat sie vorher ausgeschlossen und sie wurden zur Terrororganisation eingestuft, weil sie Terrorakte unternommen haben. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel aus der ägyptischen Geschichte nennen, und das ist auch ein Beispiel aus der Demokratie vor 1952. Wir waren ein demokratischer Staat mit einem Mehr-Parteien-System. Die Wafd-Partei, das ist eine liberale Partei, hatte damals die Mehrheit und hat die Regierung gebildet.
Die Wafd-Partei hat 1952 die Macht verloren, doch sie hat sich nicht radikalisiert, hat sich nicht Terrorgruppen angeschlossen, hat die Straßen nicht in Brand gesetzt. Sie hat sich zurückgezogen, hat an die Grundrechte der Demokratie geglaubt, und jetzt kehrt diese Partei wieder zurück als eine liberale Partei.
Ich weiß nicht, ob Ihnen und unseren Zuhörerinnen und Hörern das gefällt, dass eine politische Kraft, wenn das Volk auf die Straße geht und sagt "Wir wollen diese politische Kraft absetzen, Militär, helft dabei, unterstützt den Willen des Volkes", dass diese Kraft sich erlaubt, in den Untergrund zu gehen und Terroraktionen gegen Militäreinrichtungen, Staatseinrichtungen, die das Volk durch seine Steuern bezahlt, zu unternehmen. Und wir brauchen dieses Geld, um woanders zu investieren. Das machen die jeden Tag!
Timm: Entschuldigung! Ich höre bei Ihnen eine ganz große Hoffnung heraus auf diese Abstimmung, auf diesen Verfassungsentwurf und auch auf die Unterstützung durch das Militär, und damit sprechen Sie ja auch für eine ganz starke Strömung in Ihrem Land. Trotzdem ist es immer etwas erstaunlich, wenn das Militär auch eine so starke Kraft bleiben soll. Sie gehören zur Partei Freier Ägypter, eine Partei, die nach unserem Verständnis etwa den Sozialdemokraten ziemlich nahesteht, und es ist ein bisschen schwierig, von außen auf ein Land zu schauen, das sich noch selbst sucht. Das sei Ihnen zugestanden. Aber haben Sie keine Sorge, dass die Freiheit wieder unter die Räder kommt, wenn die militärische Macht so gestärkt wird, mit welchem Verfassungsentwurf auch immer? Sind Sie da als Demokrat sorgenfrei?
Zahran: Die Freiheiten sind in der Verfassung garantiert. Deshalb habe ich keine Sorge und ich hoffe, dass die Entscheidung über die neue Verfassung positiv verläuft, so dass endlich in Ägypten Ausgleich und gesetzliche Sicherheit in die ägyptische Gesellschaft kommt.
Timm: Ausgleich und gesetzliche Sicherheit, das wünschen wir, glaube ich, alle den Ägyptern, die heute und morgen abstimmen, und wir wünschen ihnen auch, dass sie wirklich frei abstimmen. – Abduhlbar Zahran, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch und ich wünsche Ihnen alles Gute.
Zahran: Vielen Dank und viele Grüße nach Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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