Eine Stimme der Revolution
Mitten auf Kairos Tahrirplatz singt er einen Protestsong begleitet von seiner Oud, der arabischen Kurzhalslaute. Seither ist er in Ägypten allseits bekannt und auch zu hochkarätigen Konzerten in Europa wird Mustafa Said inzwischen eingeladen.
Ein Workshop für arabische Musik im südbadischen Kurort Badenweiler bei Freiburg. Der Kurs für die Oud, die arabische Langhalslaute, wird von einem jungen Ägypter geleitet: Mustafa Said, dreißig Jahre alt, im weiß-lila gestreiften Wollpullover, sitzt im Schneidersitz auf dem Boden. Dass Said von Geburt an blind ist, fällt zuerst gar nicht auf. Er hebt den Kopf, gibt einer algerischen Sängerin ein Zeichen und stimmt mit ihr das Lied "Lamma Badda" an, ein Klassiker der arabischen Musik, im komplizierten 10/8 Rhythmus.
Sie habe immer gedacht, der Song erzähle von der Liebe zum Propheten Mohammed, meint die Sängerin.
"Nein, nein, da wird wieder alles verfälscht. Und wenn in einem Lied 'Wein' auftaucht, sagen sie, in der Flasche sei etwas anderes. Es ist einfach ein Liebeslied."
Westliche Musiker würden das oft Lied falsch spielen, sagt Said. Denn in Europa benutzt man seit dem 18. Jahrhundert die sogenannte gleichstufige Stimmung, die arabische Musik hingegen basiert auf der pythagoräischen Stimmung, aus der Zeit des antiken Griechenlands.
"Diese Tonleiter wurde in Europa noch bis ins Barock benutzt. Hörst du? Die Abstände sind kleiner! Letztes Jahr habe ich mit dem Orchester des Violonisten Gideon Cremer Vivaldis Mandolinenkonzert auf der Oud aufgeführt, in der alten pythagoräischen Stimmung und mit arabischen Phrasierungen – das Orchester war begeistert!"
Schellack-Platten aus der Nahda-Ära
Im Workshop korrigiert Said auch die Legende, dass es in der arabischen Welt keine weiblichen Musiker gebe.
"Es gibt unzählige Fotos aus dem 19. Jahrhundert, die arabische Orchester zeigen, die nur aus Frauen bestehen! Das war die Zeit der Arabischen Renaissance, in der die arabischen Gesellschaften sehr offen waren. Sie wurden erst ab den 1920er Jahren fanatisch – und seitdem wird es immer schlimmer."
"Nahda" wird die Reformbewegung um das 19.Jahrhundert genannt, als arabische Intellektuelle und Künstler versuchten Islam, Moderne und Demokratie zu verbinden. Eine Zeit der kulturellen Blüte – auch für die Musik.
"Since I was young, I was fan of phonograms and the old 78-schellak-records."
Als Jugendlicher lauschte Said nächtelang alten Schellack-Platten mit Musik der Nahda-Ära. Mit 16 Jahren begann er dann als Oud-Lehrer in Kairo zu arbeiten.
"I found out, that people don´t know nothing about their music."
Ihm fiel damals auf, dass seine Schüler nichts über ihre eigene Musikkultur wussten. Vom Forscherfieber gepackt, begann Said alte Schellackplatten mit klassisch-arabischer Musik zu sammeln. 2003 zog er nach Beirut um dort Musikwissenschaft zu studieren. Dort lernte er den libanesischen Geschäftsmann und Musikliebhaber Kamal Kassar kennen, der ihm half, einen Traum zu erfüllen: Die Gründung eines Musikarchivs für klassisch-arabische Musik, dem AMAR-Institut:
"Wir haben Tausende von alten Platten, die Stempel von der Ägyptischen Nationalbibliothek oder dem ägyptischen und syrischen Rundfunks tragen. Sie wurden auf den Müll geworfen und dort von Trödlern aufgesammelt und verkauft. Das beweist, dass die arabische Diktatoren diese Kultur auslöschen wollten."
Der Musikder Nahda-Ära widmet sich Mustafa Said auch mit seinem Ensemble Asil, das er noch in Kairo gründete.
"'Asil' heißt übersetzt 'authentisch'. Wir wollen die Jugend für das Kulturerbe der arabisch-klassischen Kunstmusik begeistern und daraus eine neue Musik für das 21. Jahrhundert schaffen."
Mit der Oud zur Revolution
Viele der Mitglieder von Asil leben heute im Exil – im Libanon oder in Portugal. Sie verließen Ägypten, weil sie dort keine Perspektive mehr für sich sahen – weder wirtschaftlich noch politisch:
"Ich bin seit 1999 in der Oppositionsbewegung aktiv, seitdem ich 16 bin, war mehr als vier mal im Gefängnis und habe viele schlechte Erfahrungen mit dem Regime gemacht."
Als im Januar 2011 in Ägypten die Revolution begann, setzte sich Mustafa Said trotzdem sofort in den Flieger und schloss sich den Demonstranten an – mit seiner Oud.
Auf dem Tahrir-Platz hörte der blinde Musiker damals ein Gedicht des ägyptischen Poeten Tamim Barghouthi: Eine scharfe Anklage gegen Diktator Mubarak.
"Das Gedicht wurde über Lautsprecher übertragen, ich habe es auswendig gelernt, einen Song dazu geschrieben und ihn auf dem Tahrirplatz gespielt. Der Platz war wahnsinnig voll, über eine Millionen Menschen, aber alle waren ganz still und haben andächtig zugehört. Das war das größte Konzert meines Lebens!"