Adrian Igoni Barrett: "Blackass"

Plötzlich ein Weißer

05:12 Minuten
Das Cover zeigt den Buchtitel "Blackass" in großen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund.
© Interkontinental

Adrian Igoni Barrett

Übersetzt von Venice Trommer

BlackassInterKontinental , Berlin 2022

296 Seiten

22,00 Euro

Von Sonja Hartl · 11.10.2022
Audio herunterladen
Auf einmal müssen sie ihr Leben in einem anderen Körper verbringen: als Weißer oder als Frau. Der nigerianische Autor A. Ignoi Barrett schreibt eine böse Farce über konstruierte Identitäten, über Hautfarbe und Zuschreibungen.
Lagos, Nigeria: Am Morgen eines wichtigen Vorstellungsgesprächs wacht der 33-jährige Furo Wariboko auf und stellt fest, dass er auf einmal weiß*) ist. Nach dem ersten Schock erkennt er, dass er als Weißer in Lagos viel bessere Chancen hat als als Schwarzer.
Also stiehlt er sich aus seinem Elternhaus davon, geht zum Vorstellungsgespräch und bekommt einen viel besseren Job als den, für den er sich beworben hat – mitsamt Firmenwagen und Fahrer. Immerhin ist er weiß, spricht aber „Pidgin wie ein waschechter Nigerianer“.

Neue Erfahrungen als Weißer

Zunächst konzentriert sich A. Igoni Barretts gnadenlose Satire auf Furos Wandlung zum weißen Mann: Auf der Straße wird er angestarrt, Fahrer veranschlagen einen weitaus teureren Preis für Fahrten, einstmals unerreichbare Frauen finden ihn begehrenswert. Barretts scharfer, nuancierter Schreibstil korrespondiert mit den wechselnden Reaktionen auf Furos Verwandlung, die voller bitterer Seitenhiebe auf die nigerianische Gesellschaft sind: vom albtraumhaften Verkehr über die unsinnige Bürokratie bis zur allgegenwärtigen Vorteilsnahme.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Dann erweitert Barrett das Spiel um Identitäten: In einem Café begegnet Furo einem Schriftsteller namens Igoni, der hinter sein Geheimnis kommt und im Verlauf des Romans zu einer Frau wird. Diese Transformationen sind aber nicht vollständig. Igoni, nun Morpheus, hat weiterhin einen Penis. Und trotz Furos weißer Haut, seinen grünen Augen und roten Haaren bleibt sein Hintern Schwarz*).

Fluide Identitäten und Formen

Dazu zieht eine metafiktionale Ebene ein und Igoni sinniert: „Bereits lange bevor Furos Geschichte meine eigene wurde, versuchte ich in Worte zu fassen, was ich jetzt ganz klar begreife: Wir alle sind konstruierte Narrative.“
Diese Fluidität der Identitäten spiegelt die narrative Form wider: Es gibt keine Kapitel, lediglich Abschnitte, in denen Perspektiven und Ebenen wechseln – Barrett/Morpheus schaltet sich gelegentlich ein, auch Twitter- und Chat-Unterhaltungen werden wiedergegeben.

Erzählerische Verve und Ideenreichtum

Gelegentlich überzieht „Blackass“ das Spiel mit den Formen und bleibt bei den Erkundungen der Identitäten oberflächlich, aber die erzählerische Verve und der Ideenreichtum faszinieren, zumal in diesem Roman wichtige Fragen gestellt werden: Wie bestimmen Gender, Aussehen und Hautfarbe unsere Identität – oder sind es gar Identitäten? Welche Folgen haben körperliche Veränderungen auf die Psyche – und welche Rolle spielen äußere Eigenschaften in der Gesellschaft?
Barrett liefert keine Antworten, sondern lediglich am leicht enttäuschenden Ende des rasanten und witzigen Romans einen Hinweis darauf, dass Veränderungen gar nicht so einfach sind. Offensiv geht er mit den Parallelen zu Kafkas „Die Verwandlung“ um, dem ersten Abschnitt ist ein Zitat daraus vorangestellt.

Hautfarbe und Zuschreibungen

Auf dem deutschsprachigen Buchmarkt ergibt sich eine weitere interessante Verbindung: In diesem Herbst ist im Dumont Verlag Mohsin Hamids „Der letzte weiße Mann“ erschienen, in denen der bisher weiße Anders aufwacht und auf einmal Schwarz ist. Die Wahrnehmung der Verwandlung, das Anerkennen der neuen Situation verlaufen ähnlich, aber in einer weißen Mehrheitsgesellschaft bedeutet für Anders die Verwandlung keinen gesellschaftlichen Aufstieg.
Trotz aller auch stilistischen Unterschiede verweisen beide Titel darauf, welche Rolle Hautfarben und die damit verbundenen Zuschreibungen in der Gesellschaft haben – und wie sehr die Reaktionen von außen auf das Innere zurückwirken.

Wir folgen in der Kursivierung von "weiß" und der Großschreibung von "Schwarz" dem Glossar für diskriminierungssensible Sprache.
Mehr zum Thema