Adolph Diesterweg

Reformer der preußischen Volksschule

Denkmal des Pädagogen Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg in Berlin
Denkmal des Pädagogen Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg in Berlin © imago/Steinach
Von Andrea Westhoff · 29.10.2015
Die "Schule der Untertanen" wollte Adolph Diesterweg durch ein Konzept der "naturgemäßen" Erziehung ersetzen. Seine Erziehungslehren sind eine der Wurzeln der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts − vor 225 Jahren wurde er geboren.
Es geht hoch her an diesem 3. Juli 1845 im Berliner "Tivoli" beim Festbankett zum 25-jährigen Amtsjubiläum des Lehrerseminar-Direktors Adolph Diesterweg.
"So feiert das Volk seine Lieblinge"
...schreibt die "Vossische Zeitung" am nächsten Tag. Neben viel Gesang und Tanz hätte es immer wieder Lobreden gegeben auf diesen "großen Reformer des preußischen Volksschulwesens", bis schließlich einer der Anwesenden "etwas mehr Demut" anmahnte. Darauf habe Diesterweg selbst empört gerufen:
"Demut? – Mut ist vor allem, was der Mensch braucht!"
Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg wird am 29. Oktober 1790 im Siegen geboren. Das siebte Kind einer bildungsbürgerlichen Familie, in der ein aufgeklärter Geist, aber auch preußische Disziplin herrschen. Trotz seines Studiums der Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie arbeitet er zunächst nur als einfacher Volksschullehrer, macht aber schnell Karriere.
1820 gründet Diesterweg im Auftrag des preußischen Staates ein Lehrerseminar in Moers und wird dessen erster Direktor. Hier beginnt sein Weg als Bildungsreformer im Geiste von Rousseau und Pestalozzi. Zunächst fordert er mehr Unabhängigkeit für die schulische Erziehung:
"Die alte Schule war Kirchschule – die neue Schule lehrt selbst sehen, selbst denken, beten und arbeiten."
Ziel und Aufgabe einer guten Pädagogik müsse sein:
"... den Menschen rein in sich und um seiner selbst willen, gemäß der Natur der Anlagen (...) allseitig zu erziehen und zu bilden."
Diesterweg geht es dabei weniger um ein theoretisches Konzept. Stattdessen schreibt er praktisch-pädagogische Handreichungen für Lehrer und vor allem Schulbücher für Sprachunterricht, Geometrie und sogar Astronomie.
Bessere Lehrer, Abschaffung der Kinderarbeit
Eine zentrale Rolle in seiner Pädagogik hat Diesterweg den Lehrer zugedacht – aber zumindest um die Elementar- oder Volksschullehrer steht es Anfang des 19. Jahrhunderts schlecht: Man duzt und verachtet sie, weil die meisten von ihrem kärglichen Gehalt nicht mal eine Familie ernähren können. Viele sind selbst schlecht oder gar nicht ausgebildet.
Ein wichtiger Baustein der Diesterwegschen Bildungsreform-Pläne ist es daher, die soziale Stellung des Lehrerstandes zu heben – durch "Professionalisierung", also bessere Ausbildung – und eine höhere Bezahlung. Spätestens mit seiner Berufung zum Direktor des Lehrerseminars in Berlin 1832 ist aus dem Pädagogen Adolph Diesterweg ein Sozialreformer geworden. In seiner Schrift "Die Lebensfragen der Zivilisation" nennt er als ein "dringendes Zeitbedürfnis"
"...die geregelte, gesetzliche Sorge für die unteren Klassen, in physisch-ökonomischer, wie in moralisch-intellektueller Hinsicht."
Diesterweg fordert vor allem ein Ende der Kinderarbeit und eine mindestens achtjährige Schulausbildung für alle. Zusammen mit anderen Lehrern gründet er 1844 den "Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen", der zum Beispiel allgemeine Bildungsvorträge organisiert und bei der Gründung von Kranken- und Rentenkassen helfen soll.
Volks-Bildung wird im deutschen "Vormärz" mehr und mehr zum Akt der Volks-Befreiung. Auf Flugblättern der 1848er-Revolution erscheint Diesterwegs Name als zukünftiger "Minister des Unterrichts". Er selber hatte schon früh formuliert:
"Kann das Gute nicht ohne Kampf durchgeführt werden, so scheue man den Kampf nicht."
Abgeordneter der Fortschrittspartei
Die Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten: Bereits 1847 wird Adolph Diesterweg als Seminardirektor suspendiert, und 1850, nach dem Scheitern der Revolution, folgt dann seine Zwangspensionierung.
Aber er macht weiter, legt unbeirrt seine pädagogischen Ideen dar, 1858 wird er sogar zum Landtagsabgeordneten der Fortschrittspartei in Berlin gewählt. Von da an streitet er in vielen Parlamentsreden gegen den Staatsrat für das preußische Volksschulwesen, Ferdinand Stiehl. Doch er kann nicht verhindern, dass dieser mit drei Erlässen wieder eine "Schule der Untertanen" etabliert.
Langfristig aber haben viele Ideen des liberalen Reformers Adolph Diesterweg doch Früchte getragen: Sein Konzept der "naturgemäßen" Erziehung ist eine der Wurzeln der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts. Und es ist letztlich Diesterweg zu verdanken, dass die einst wenig geachtete, unorganisierte Gruppe der Lehrer heute ein selbstbewusster Berufsstand geworden ist und mehr gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat.
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