Adel im Untergang?
Die Aristokraten haben sich trotz Revolutionen und sozialer Umbrüche gut behauptet. Als Kollektiv sind sie Überlebenskünstler. Das Bürgertum hingegen als soziale Erscheinung mit eigenen Lebensformen ist längst in der Schicht der Besserverdienenden aufgegangen, die sich durch gehobenen Konsum auszeichnen, aber nicht durch verbindliche Vorstellungen über das, was man tut oder besser zu tun unterlässt.
Die beliebigen Modelle und Moden, auf die jeder nach Laune zurückgreifen kann, um sich selbst zu verwirklichen, führten zu manchen Enttäuschungen. Viele fühlen sich einfach überfordert und haben ein Heimweh nach Stil, nach Regeln, nach neuer Bürgerlichkeit, wie sie es nennen.
Insgeheim beneiden und bewundern diese den alten Adel. Die Streber nach Authentizität und Originalität sind beeindruckt von der fast unpersönlichen Gleichförmigkeit vornehmer Lebensart. Ein Aristokrat, der durch sehr eigenwillige Arabesken "interessant" wird, ist keiner mehr. Die formalen Gebote, die Höflichkeit, Anmut und liebenswürdige Distanz ermöglichen, gleichen diejenigen einander an, die sich ihnen fügen. Sie zielten immer auf einen Typos, den Ritter oder Edelmann. Das ist unter Aristokraten bis heute nicht ganz in Vergessenheit geraten.
Dieser Typos, mit einer feierlichen Grazie gewöhnliche Dinge zu behandeln, und eine Art leichtsinnige Zierlichkeit bei ernsten und wichtigen zu wahren, widerspricht all den Empfehlungen, die Leistungsträger beachten müssen, um sich brauchbar und unentbehrlich zu machen im unerbittlichen Wettbewerb, den Nächsten zu übervorteilen. Die Virtuosen des Schädlichen unter den Besserverdienenden, die dennoch etwas Besseres sein wollen, haben ein gewisses Heimweh nach der "guten Gesellschaft" und deren Operetten-Gewissheit: "Mein Gott, wie sind wir vornehm, wir sind so schrecklich vornehm, wir bleiben unter uns".
Die neuen Reichen, die von neuer Bürgerlichkeit raunen, wollen sich schmücken und putzen. Dafür brauchen sie den Rat von Prinzessinnen, um nicht als kolossal bürgerlich aufzufallen. Sie vermuten, nicht einmal zu Unrecht, dass selbst verarmte Aristokraten von der Lebenskunst immer noch mehr verstehen als die Tüchtigen, die nie rasten, um nicht zu rosten. Das unerschütterliche Prestige des Adels beruht auf dieser Erwartung.
Aristokraten sind allerdings längst berufstätig. Sie haben Erfolg und schämen sich dessen nicht, obschon der Erfolg nach alter aristokratischer Vorstellung der Ruhm des kleinen Mannes ist, der nur seinen Vorteil sucht zum Nachteil des anderen. Darauf beruht die Marktwirtschaft und das gesamte öffentliche Leben.
Die Aristokraten spielen mit auf dem Markt der Möglichkeiten. Schließlich müssen sie ihr Schloss erhalten, sofern sie noch eines besitzen, und dafür sorgen, ihre Familie vor unliebsamen Plötzlichkeiten zu schützen, mit denen der unberechenbare Markt immer überraschen kann. Aristokraten denken bei aller Anpassung an die allerneuste Neuzeit an ihr Haus, an die Familie, an das Herkommen und durch Alter heilig gewordene Gebräuche, sogar an Gott. Denn nichts ist so unaristokratisch wie der Unglaube.
Aristokraten haben im Laufe der Geschichte nie vergessen, dass Sittlichkeit und Geschmack zusammengehören. Der Bürger entschied sich für den schönen Schein, die Kulissen, für das Kostüm, die Äußerlichkeiten, die große historische Oper. Nach der sehnen sich die neuen Bürger immer noch. Für sie ist gesellschaftlicher Stil Inszenierung, Dekoration, Design, also machbar, auch käuflich. Sie ahnen nicht, dass sich in allen äußeren Zeichen der Höflichkeit und des Geschmacks ein sittlicher Grund verbirgt. Es ist ein kapitalistisches Missverständnis, dass sich das Leben nur noch ästhetisch rechtfertigen lässt. Das widerlegt der immer noch lebendige Adel.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".
Insgeheim beneiden und bewundern diese den alten Adel. Die Streber nach Authentizität und Originalität sind beeindruckt von der fast unpersönlichen Gleichförmigkeit vornehmer Lebensart. Ein Aristokrat, der durch sehr eigenwillige Arabesken "interessant" wird, ist keiner mehr. Die formalen Gebote, die Höflichkeit, Anmut und liebenswürdige Distanz ermöglichen, gleichen diejenigen einander an, die sich ihnen fügen. Sie zielten immer auf einen Typos, den Ritter oder Edelmann. Das ist unter Aristokraten bis heute nicht ganz in Vergessenheit geraten.
Dieser Typos, mit einer feierlichen Grazie gewöhnliche Dinge zu behandeln, und eine Art leichtsinnige Zierlichkeit bei ernsten und wichtigen zu wahren, widerspricht all den Empfehlungen, die Leistungsträger beachten müssen, um sich brauchbar und unentbehrlich zu machen im unerbittlichen Wettbewerb, den Nächsten zu übervorteilen. Die Virtuosen des Schädlichen unter den Besserverdienenden, die dennoch etwas Besseres sein wollen, haben ein gewisses Heimweh nach der "guten Gesellschaft" und deren Operetten-Gewissheit: "Mein Gott, wie sind wir vornehm, wir sind so schrecklich vornehm, wir bleiben unter uns".
Die neuen Reichen, die von neuer Bürgerlichkeit raunen, wollen sich schmücken und putzen. Dafür brauchen sie den Rat von Prinzessinnen, um nicht als kolossal bürgerlich aufzufallen. Sie vermuten, nicht einmal zu Unrecht, dass selbst verarmte Aristokraten von der Lebenskunst immer noch mehr verstehen als die Tüchtigen, die nie rasten, um nicht zu rosten. Das unerschütterliche Prestige des Adels beruht auf dieser Erwartung.
Aristokraten sind allerdings längst berufstätig. Sie haben Erfolg und schämen sich dessen nicht, obschon der Erfolg nach alter aristokratischer Vorstellung der Ruhm des kleinen Mannes ist, der nur seinen Vorteil sucht zum Nachteil des anderen. Darauf beruht die Marktwirtschaft und das gesamte öffentliche Leben.
Die Aristokraten spielen mit auf dem Markt der Möglichkeiten. Schließlich müssen sie ihr Schloss erhalten, sofern sie noch eines besitzen, und dafür sorgen, ihre Familie vor unliebsamen Plötzlichkeiten zu schützen, mit denen der unberechenbare Markt immer überraschen kann. Aristokraten denken bei aller Anpassung an die allerneuste Neuzeit an ihr Haus, an die Familie, an das Herkommen und durch Alter heilig gewordene Gebräuche, sogar an Gott. Denn nichts ist so unaristokratisch wie der Unglaube.
Aristokraten haben im Laufe der Geschichte nie vergessen, dass Sittlichkeit und Geschmack zusammengehören. Der Bürger entschied sich für den schönen Schein, die Kulissen, für das Kostüm, die Äußerlichkeiten, die große historische Oper. Nach der sehnen sich die neuen Bürger immer noch. Für sie ist gesellschaftlicher Stil Inszenierung, Dekoration, Design, also machbar, auch käuflich. Sie ahnen nicht, dass sich in allen äußeren Zeichen der Höflichkeit und des Geschmacks ein sittlicher Grund verbirgt. Es ist ein kapitalistisches Missverständnis, dass sich das Leben nur noch ästhetisch rechtfertigen lässt. Das widerlegt der immer noch lebendige Adel.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".