Achtung: Jetzt kommen die Alten!
Seit Jahren ist es ein Gemeinplatz erster Güte: Der Jugendwahn hat die Gesellschaft fest im Griff. Ob im oder in der Werbung, in Wirtschaft, Medien und Kultur, fast überall heißt die Parole: Nur die Jugend zählt! Alles muss schön aprilfrisch und seidenglatt sein.
Die Gesichter, die Körper, die Sprache. Keine Spuren, keine Falten. Perfekt. Porentief rein, atmungsaktiv und suprasauber. Bis an die Zähne mit juveniler Attraktivität bewaffnet.
Es kann gar nicht baby-jung genug sein, und von den Riesenpostern und Mega-Bildschirmen strahlen sie uns braungebrannt und supergeil entgegen, die leibhaftigen Botschafter des Traums von der ewigen Jugend.
Ab vierzig, so die allgemeine Überzeugung, beginnt der Sinkflug in den Abgrund. Jedenfalls bei Pro Sieben, RTL und Sat.1, in Werbe- und Modelagenturen. Ab fünfzig dann ist man praktisch nicht mehr vorhanden. Jedenfalls nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt. Als 1-Euro-Parkwächter und Hartz-IV-Empfänger darf man die statistisch ermittelten restlichen dreißig Lebensjahre absitzen.
Doch es gibt da einen "performativen Widerspruch", wie unser alter Freund Jürgen Habermas vom Starnberger See sagen würde.
Die Leute werden trotzdem immer älter. Der Schein trügt. Und man sieht es.
Der tapfere Versuch von Fünfzigjährigen, durch tägliches Inline-Skaten, Joggen, Powerwalken, Extreme-Climben, Speed-Swimming oder just-around-the-house-running das gefühlte Alter auf 28 zu drücken, ist nur wenigen vergönnt, die mit Pferdeschwanz und Schweißband etwa den Berliner Tiergarten unsicher machen.
Kurz: Die einen werden immer jünger, und die anderen immer älter.
Dazwischen klafft ein Abgrund. Demographisch, ästhetisch, sozial und kulturell.
Die Älteren haben sich nun, so scheint es, entschlossen, daraus ihre Konsequenzen zu ziehen. Wenn die Jungen immer jünger werden und gar nicht daran denken, sich den biologischen Gesetzen zu beugen, machen sie, die Älteren, eben weiter, bis das Essen auf Rädern kommt.
Auch immer mehr Spitzensportler entdecken ihren vierten oder fünften Frühling. Henry Maske zum Beispiel. Mit zweiundvierzig Jahren steigt er Anfang kommenden Jahres noch einmal in den Profi-Ring. Alle Warnungen von Freunden und Experten verhallen ungehört im diskursiv unzugänglichen Hohlraum des Boxerschädels.
Auch WDR-Intendant Fritz Pleitgen, jetzt 68 Jahre alt, würde den Senderkarren weiterziehen. Entgegen seiner ursprünglichen Lebensplanung stünde er für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung, an deren Ende er im gesegneten Luis-Trenker-Alter wäre.
Typisches Merkmal dieser Lebensphase: Wenn der Berg ruft, hört man es kaum noch.
Jedenfalls nicht ohne technische Hilfe.
Spontan fällt uns in diesem Zusammenhang auch Jopi Heesters ein, derzeit 103, der den Trend zum Weiterknödeln bis ans Grab schon vor Jahrzehnten entdeckt hat. Aber auch Hans-Christian Ströbele, ein im präzisen Wortsinn alter 68er, setzt seinen unermüdlichen Kampf gegen Neoliberalismus und flächendeckende Videoüberwachung bis tief ins siebente Lebensjahrzehnt fort.
Die Grünen, einst eine aufstrebende Jugendbewegung, verwandeln sich so in ein Senioren-Krampfgeschwader. Apropos Krampf. Die "Generation Grass", noch ein ganzes Jahrzehnt älter, hat die Herausforderung des Jugendwahns schon gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angenommen und den langen Marsch ins Nirwana des ewigen Lebens angetreten.
Ob Martin Walser, Walter Jens oder der Literaturnobelpreisträger höchst persönlich – bis heute kommt kein wichtiges Thema in der öffentlichen Debatte ohne die wegweisende Wortmeldung der alten Recken aus. Selbst die Erinnerung an unschöne Erlebnisse der Jugendzeit braucht da schon mal mehr als sechzig Jahre, um im "größeren Zusammenhang" erzählt zu werden.
Zeit hat man ja, alle Zeit der Welt.
Auch im Journalismus zeigt sich das neue Selbstbewusstsein der Alten. Anders als etwa bei BMW, wo Führungskräfte mit sechzig gehen müssen, klammern sich bei großen Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazinen noch Siebzigjährige an ihren Schreibtisch, von dem aus sie teils mehr als vier Jahrzehnte lang ex cathedra die "Zeitläufte" kommentiert und interpretiert haben.
Die "Generation Golf" der alterslosen Mittdreißiger verzieht sich derweil immer weiter in die Nischen einer imaginären Nutella- und Gummibärchenrepublik und widmet sich biedermeierlich der Heimat in der Provinz zwischen Schlitz und Lüneburger Heide.
Ein einziges "Ortsgespräch".
Iran-Krise, Afghanistan und Libanonkrieg überlässt man gerne den alten Haudegen der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren wettergegerbte und kriegszerfurchte Korrespondentengesichter beim Zuschauer schon mal echtes Mitleid erregen können.
"Muss der sich das eigentlich noch antun?" fragt da manch einer, wenn er wieder mal Patrick Lecqlerc zwischen rauchenden Trümmern in Beirut zitternd sein Mikrophon halten sieht.
Nein, sagen wir. Muss er nicht. Er könnte es auch mal gut sein lassen.
Vielleicht wäre das 40-jährige Dienstjubiläum der Revolte von 1968, das schon im nächsten Jahr beginnt, ein schöner Anlass für einen historischen Kompromiss:
Lasst die Jungen jung sein und die Alten älter werden – aber liebe Lebenszeit-Arbeitsplatzinhaber, macht auch mal Platz für andere!
Vorschlag zur Güte: Patrick Leclerq zieht ins schöne Schlitz und Florian Illies geht nach Beirut. Ein Jahr später erschiene dann sein neuer Bestseller: "Ferngespräch".
Ein wirklicher Fortschritt für alle Beteiligten.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für Spiegel Online. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des "SPIEGEL". Weiter journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Deutschlandgefühl" und "Generation Z". Mohr lebt in Berlin-Mitte.
Es kann gar nicht baby-jung genug sein, und von den Riesenpostern und Mega-Bildschirmen strahlen sie uns braungebrannt und supergeil entgegen, die leibhaftigen Botschafter des Traums von der ewigen Jugend.
Ab vierzig, so die allgemeine Überzeugung, beginnt der Sinkflug in den Abgrund. Jedenfalls bei Pro Sieben, RTL und Sat.1, in Werbe- und Modelagenturen. Ab fünfzig dann ist man praktisch nicht mehr vorhanden. Jedenfalls nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt. Als 1-Euro-Parkwächter und Hartz-IV-Empfänger darf man die statistisch ermittelten restlichen dreißig Lebensjahre absitzen.
Doch es gibt da einen "performativen Widerspruch", wie unser alter Freund Jürgen Habermas vom Starnberger See sagen würde.
Die Leute werden trotzdem immer älter. Der Schein trügt. Und man sieht es.
Der tapfere Versuch von Fünfzigjährigen, durch tägliches Inline-Skaten, Joggen, Powerwalken, Extreme-Climben, Speed-Swimming oder just-around-the-house-running das gefühlte Alter auf 28 zu drücken, ist nur wenigen vergönnt, die mit Pferdeschwanz und Schweißband etwa den Berliner Tiergarten unsicher machen.
Kurz: Die einen werden immer jünger, und die anderen immer älter.
Dazwischen klafft ein Abgrund. Demographisch, ästhetisch, sozial und kulturell.
Die Älteren haben sich nun, so scheint es, entschlossen, daraus ihre Konsequenzen zu ziehen. Wenn die Jungen immer jünger werden und gar nicht daran denken, sich den biologischen Gesetzen zu beugen, machen sie, die Älteren, eben weiter, bis das Essen auf Rädern kommt.
Auch immer mehr Spitzensportler entdecken ihren vierten oder fünften Frühling. Henry Maske zum Beispiel. Mit zweiundvierzig Jahren steigt er Anfang kommenden Jahres noch einmal in den Profi-Ring. Alle Warnungen von Freunden und Experten verhallen ungehört im diskursiv unzugänglichen Hohlraum des Boxerschädels.
Auch WDR-Intendant Fritz Pleitgen, jetzt 68 Jahre alt, würde den Senderkarren weiterziehen. Entgegen seiner ursprünglichen Lebensplanung stünde er für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung, an deren Ende er im gesegneten Luis-Trenker-Alter wäre.
Typisches Merkmal dieser Lebensphase: Wenn der Berg ruft, hört man es kaum noch.
Jedenfalls nicht ohne technische Hilfe.
Spontan fällt uns in diesem Zusammenhang auch Jopi Heesters ein, derzeit 103, der den Trend zum Weiterknödeln bis ans Grab schon vor Jahrzehnten entdeckt hat. Aber auch Hans-Christian Ströbele, ein im präzisen Wortsinn alter 68er, setzt seinen unermüdlichen Kampf gegen Neoliberalismus und flächendeckende Videoüberwachung bis tief ins siebente Lebensjahrzehnt fort.
Die Grünen, einst eine aufstrebende Jugendbewegung, verwandeln sich so in ein Senioren-Krampfgeschwader. Apropos Krampf. Die "Generation Grass", noch ein ganzes Jahrzehnt älter, hat die Herausforderung des Jugendwahns schon gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angenommen und den langen Marsch ins Nirwana des ewigen Lebens angetreten.
Ob Martin Walser, Walter Jens oder der Literaturnobelpreisträger höchst persönlich – bis heute kommt kein wichtiges Thema in der öffentlichen Debatte ohne die wegweisende Wortmeldung der alten Recken aus. Selbst die Erinnerung an unschöne Erlebnisse der Jugendzeit braucht da schon mal mehr als sechzig Jahre, um im "größeren Zusammenhang" erzählt zu werden.
Zeit hat man ja, alle Zeit der Welt.
Auch im Journalismus zeigt sich das neue Selbstbewusstsein der Alten. Anders als etwa bei BMW, wo Führungskräfte mit sechzig gehen müssen, klammern sich bei großen Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazinen noch Siebzigjährige an ihren Schreibtisch, von dem aus sie teils mehr als vier Jahrzehnte lang ex cathedra die "Zeitläufte" kommentiert und interpretiert haben.
Die "Generation Golf" der alterslosen Mittdreißiger verzieht sich derweil immer weiter in die Nischen einer imaginären Nutella- und Gummibärchenrepublik und widmet sich biedermeierlich der Heimat in der Provinz zwischen Schlitz und Lüneburger Heide.
Ein einziges "Ortsgespräch".
Iran-Krise, Afghanistan und Libanonkrieg überlässt man gerne den alten Haudegen der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren wettergegerbte und kriegszerfurchte Korrespondentengesichter beim Zuschauer schon mal echtes Mitleid erregen können.
"Muss der sich das eigentlich noch antun?" fragt da manch einer, wenn er wieder mal Patrick Lecqlerc zwischen rauchenden Trümmern in Beirut zitternd sein Mikrophon halten sieht.
Nein, sagen wir. Muss er nicht. Er könnte es auch mal gut sein lassen.
Vielleicht wäre das 40-jährige Dienstjubiläum der Revolte von 1968, das schon im nächsten Jahr beginnt, ein schöner Anlass für einen historischen Kompromiss:
Lasst die Jungen jung sein und die Alten älter werden – aber liebe Lebenszeit-Arbeitsplatzinhaber, macht auch mal Platz für andere!
Vorschlag zur Güte: Patrick Leclerq zieht ins schöne Schlitz und Florian Illies geht nach Beirut. Ein Jahr später erschiene dann sein neuer Bestseller: "Ferngespräch".
Ein wirklicher Fortschritt für alle Beteiligten.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für Spiegel Online. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des "SPIEGEL". Weiter journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Deutschlandgefühl" und "Generation Z". Mohr lebt in Berlin-Mitte.