Achtsamkeit in Krisenzeiten

Mit Meditation gegen Coronaängste

07:39 Minuten
Eine Frau mit Mundschutz sitzt auf einer Wiese und meditiert.
Meditieren und Mundschutz schließen sich nicht aus. Mehr Achtsamkeit hilft in der Coronakrise. © imago images / Panthermedia
Von Christian Röther · 12.04.2020
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Wer achtsam ist, kann besser durch die Krise kommen. Kleine geistige und körperliche Übungen helfen gegen Stress und fördern die Gesundheit. Zum Beispiel auf den eigenen Atem achten und negative Gedanken loslassen.
"Achtsamkeit ist das Gewahrsein des gegenwärtigen Momentes. Und zwar all dessen, was im gegenwärtigen Moment wahrnehmbar ist", sagt der Achtsamkeitslehrer Günter Hudasch. "Das heißt: mein Körper, meine Gedanken, meine Stimmungen und Gefühle. Mit einem freundlichen Zugewandt-Sein. So dass wir das, was da ist, nicht innerlich abwehren, sondern sagen: Aha, so ist es."
Hudasch und andere haben dafür gesorgt, dass das Konzept der Achtsamkeit in den vergangenen Jahren immer bekannter geworden ist in Deutschland. Es soll gegen Stress helfen und gut sein für die Gesundheit, für die körperliche und die mentale. Auch in der jetzigen Coronakrise könnten Achtsamkeitsübungen helfen. "Man wird einfach widerstandsfähiger, man wird kräftiger, man wird stabiler", sagt Hudasch. "Man geht weniger in diese Sorgen. Also ich würde das tatsächlich allen Leuten empfehlen, das jetzt zu tun."
Als Einstiegsübung emphiehlt er: "Setzen Sie sich hin, schließen vielleicht die Augen und beobachten Ihre Atmung, spüren die Atmung. Da geht es wirklich darum: Wie spüre ich die Einatmung, wie spüre ich die Ausatmung, und sich damit zu beruhigen: auszusteigen aus Gedanken. Was nicht so einfach ist, was aber immer besser wird, wenn wir das jeden Tag 10, 20 Minuten üben."

Buddhismus ohne Nirwana

Achtsamkeit gegen Corona-Ängste – das wird auch im Internet empfohlen von verschieden Menschen, die schon lange Achtsamkeit praktizieren und lehren. "Das ist ja aus buddhistischer Sicht – zwar hat alles seine Berechtigung, aber ist ja doch auch ein bisschen oberflächlich", sagt Carola Roloff, buddhistische Nonne und Gastprofessorin für Buddhismus an der Universität Hamburg. Sie schaut ein wenig skeptisch auf den Achtsamkeits-Boom. Viele aktuelle Achtsamkeitsübungen haben ihre Wurzeln im Buddhismus.
Roloff sagt: "Bei Buddhisten ist normalerweise die Übung der Achtsamkeit immer auch mit dem Heilsziel des Buddhismus verbunden, also Nirwana zu erreichen. Und wenn man das weglässt und dann eben einfach nur auf das Diesseits gerichtet ist, dann kann man das natürlich auch machen. Aber was eben immer sehr betont wird, ist, dass eben eine ethische Grundhaltung dabei auf jeden Fall sehr wichtig ist: Liebe und Mitgefühl als grundlegende Einstellung. Das hat sich jetzt auch in säkularen Kontexten immer mehr herausgestellt, dass es wichtig ist, dass man das eben berücksichtigt."

Achtsamkeit ist Rücksichtnahme

Nicht nur auf sich selber achten, sondern auch auf andere. Das betonen auch säkulare, nicht-buddhistische Achtsamkeitslehrer. Im Buddhismus wird diese ethische Haltung auf den Buddha selbst zurückgeführt, sagt Roloff: "Es gibt eine Lehrrede des Buddha, wo er eben selber erklärt, was Achtsamkeit ist. Dass er eben sagt: Auf sich selber achtend, achtet man auf die anderen. Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber. Dann wird man sich eben in diesem Prozess gewahr, dass das Wohl der anderen und das eigene Wohl sich gegenseitig bedingen und unabdingbar miteinander verbunden sind."
Auf die Coronakrise übertragen, bedeute das: Hamsterkäufe etwa sind unachtsam, weil man dabei nur an sich selber denkt und eben nicht an andere. Achtsam ist es hingegen, Abstand zu anderen zu halten zu anderen, zum Beispiel beim Spaziergang im Park.

Chance für Innerlichkeit

Der Psychologe Ulrich Ott sieht Achtsamkeits- und Meditationsübungen in der Krise auch als Chance, aus verborgenen Potenzialen zu schöpfen. Er sagt: "Da kann Achtsamkeitsmeditation sehr gut helfen, den Stress zu reduzieren, ein bisschen zur Ruhe zu kommen und vielleicht sogar die Situation zu nutzen, um so ein bisschen mehr sich nach innen zu wenden. Weil wir normalerweise ja sehr stark außenorientiert sind. Und wenn man nicht so raus kann, ist das eigentlich auch eine Möglichkeit, so die Innenwelt, die eigene Innenwelt zu erkunden, die mindestens genau so reichhaltig ist und interessant wie die äußere Welt, die jetzt momentan uns nur beschränkt zur Verfügung steht."
Der Meditationsforscher an der Universität Gießen hat herausgefunden, dass Achtsamkeit und Meditation sich positiv auf die Gesundheit auswirken können. Allerdings sei es von Vorteil, mit den Übungen zu beginnen, bevor es zu einer Krankheit oder Krise kommt. Er sagt: "Wenn man in einer akuten Bedrohung ist, oder wenn jemand zum Beispiel eine Panik akut hat, und dann in der Situation sich denkt, jetzt lerne ich Meditation, dann kann das manchmal nicht so gut funktionieren, weil ich durch die Achtsamkeit eigentlich noch deutlicher spüre, was alles bei mir außer Rand und Band ist in der Situation. Das heißt, günstiger ist eigentlich, das im Vorfeld zu erlernen, sodass ich dann, wenn der Stress eintritt, es anwenden kann."
Auch Roloff meint, dass es eine gewisse Zeit brauche, um sich in so eine Praxis und die Übung einzufinden. Aber auch sie ist sich sicher, dass Achtsamkeitsübungen den Menschen durch Krisenzeiten helfen können: "Das höre ich auch immer wieder so in meinem Bekanntenkreis, dass viele doch eben feststellen, dass sie nicht so aufgeregt sind über die ganze Situation. Die ganzen buddhistischen Kontemplationen über Leid und Vergänglichkeit - und dass das potentiell eben immer da ist – das fruchtet dann tatsächlich, wenn man in so eine Situation kommt."

Ängste bewusst machen

Ist es jetzt also schon zu spät, sich in Achtsamkeit zu üben? Nein, sagen viele Lehrende. Denn die Übungen könnten auch dabei helfen, die eigene Krise unter Kontrolle zu bekommen. "Dadurch kann man wieder ein bisschen Ruhe und Struktur in die eigenen Gedanken bringen, was wiederum die Ängste abschwächen kann. Allein schon, weil man sie dadurch nicht mehr unbemerkt im Kopf rumspringen lässt", empfiehlt Jan Lenarz, der sich selbst "Aktivist für mentale Gesundheit" nennt.Man sollte sich die eigenen Ängste durch Achtsamkeit bewusstmachen. Lenarz hat im Internet elf Tipps veröffentlicht, mit denen man entspannt durch die Coronakrise kommen soll.
In einem Tipp geht es um den Medienkonsum. Dort heißt es: "Informiere dich nur so viel, wie unbedingt nötig". Denn die Nachrichten mit ihren emotionalen Bildern könnten die Ängste noch verstärken, meint Lenarz: "Deswegen würde ich raten, sich mehr auf nüchternen Portalen zu informieren. Und ganz wichtig: mit einer konkreten Aufgabenstellung. Nämlich sich zu informieren, ob man gerade selbst irgendwie betroffen ist, oder ob es neue Auflagen oder Maßnahmen gibt. Wenn man dieser Informationspflicht nachgekommen ist, sollte man sich auch erlauben, sich mal wieder mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen. Das ist auch keine Ignoranz, sondern ganz einfach Selbstschutz."
Auch der Psychologe Ott rär: "Das ist vielleicht auch ein ganz wichtiger Tipp, dass man jetzt nicht wirklich im Zehn-Minuten-Takt guckt, was gibt es Neues an Nachrichten, an neuen Zahlen, sondern das vielleicht ein Mal am Tag macht, das begrenzt."
Achtsam durch die Coronakrise – dabei können auch schon kleine Übungen helfen, meint der Achtsamkeitslehrer Hudasch: "Wenn Sie eine Tasse Kaffee trinken, dann können Sie die so trinken, dass Sie nebenher tausend andere Sachen machen, oder Sie trinken sie so, dass Sie wirklich präsent sind mit dieser Tasse Kaffee."
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