Acht Monologe einer verlassenen Braut
Der erste Alarm übertönt die Tanzmusik, die Trauzeugen liegen plötzlich am Boden zerrissen. Die junge Ehefrau erlebt in "Rio-Bar", das in einer kroatischen Küstenstadt spielt, wie ihr Brautkleid zu Verbandzeug verschnitten wird. Die quälenden Erinnerungen an den Krieg der inzwischen Alkohol abhängigen Frau werden zum Minenfeld im Kopf.
Schauplatz des Debütromans von Ivana Sajko ist die Kneipe "Rio-Bar" in einer unbenannten kroatischen Küstenstadt– hier gibt es viele ausländische Touristen, einige mafiöse Strukturen und es gibt die Vergangenheit des Kriegs. An ihn erinnert sich die namenlose Protagonistin des Romans "Rio-Bar", die sich trotz - oder dank ihres enormen Alkoholkonsums einen schmerzvollen Text abringt: die "Acht Monologe über den Krieg für acht Schauspielerinnen in Brautkleidern" legt sie einer Frau in den Mund, die den Beginn der kroatischen Rückeroberungsoffensive "Sturm" im August 1995 als feiernde Braut erlebt.
Der erste Alarm übertönt die Tanzmusik, die Trauzeugen liegen plötzlich am Boden zerrissen. Die junge Ehefrau erlebt, wie ihr weißes Kleid zu Verbandzeug und Binden verschnitten wird. Sie beschreibt die Not in den Schutzkellern, schildert die Suche nach dem verschollenen Gatten, erzählt von den Lagern und Flüchtlingsströmen. Parallel zu diesem Leid erfährt der Leser auch einiges vom Elend der alkoholkranken Frau aus der "Rio-Bar". Auf der Flucht vor ihrer Einsamkeit hat sie wechselnde Männerbekanntschaften, wird in einen Mordfall verstrickt, am Ufer zusammengeschlagen. Als der Wirt der "Rio-Bar" umgebracht wird, verliert sie quasi ihren Schutzraum.
Ivana Sajkos Roman ist keine einfache Lektüre. Er wechselt permanent die Perspektive und die Zeitebenen. Die acht Monologe der Braut in der Ich-Perspektive sind über einen Text mit insgesamt 23 nicht aufeinander bezogenen Kapiteln verstreut, unterbrochen vom Erzählstrang rund um die Frau aus der "Rio-Bar". Im letzten Kapitel mündet deren personale Erzählerperspektive in den Schlussmonolog der Ich-Erzählerin. Beide Frauen werden somit eins: "Sie setzt sich in den Zug und fährt fort. Bis zur Endstation? fragt sie der Schaffner. Bis zum Ende, bestätige ich und lache, obwohl ich keinen Grund dazu habe."
Der radikal weibliche Blick in diesem Roman ist durch eine besondere Sprache gekennzeichnet: gesprochener, auch zum Teil jargonhafter Ton, daneben aber auch bildreiche, expressiv-plastische Formulierungen, die den Krieg geradezu körperlich erfahrbar machen. "Ich summe mit den Granatsplittern und stoße Benzin auf" heißt es da in einem der Monologe der Braut. Ihre fiktive Verfasserin, durch die Folgen des Alkohols ohnehin in ständiger Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, nennt die quälenden Erinnerungen an den Krieg ein "Minenfeld im Kopf".
Sajkos beklemmend ausdrucksstarke Sprache und der unkonventionelle, szenenhafte Bauplan des Romans zeigen deutlich die Handschrift einer Autorin, die bislang als experimentierfreudige Dramatikerin und Regisseurin gearbeitet hat und damit in ihrem Heimatland sehr erfolgreich ist.
Thematisch bleibt sich Ivana Sajko (Jahrgang 1975) trotz der Hinwendung zur Romangattung treu: Ihre dramatischen Werke widmen sich u.a. dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien oder dem gespaltenen Europa. Ihr jüngstes Theaterstück "Die Bombenfrau", das derzeit auch auf deutschen Bühnen zu sehen ist, schildert die letzten Minuten einer Selbstmordattentäterin.
Rezensiert von Olga Hochweis
Ivana Sajko: "Rio-Bar",
Roman aus dem Kroatischen von Alida Bremer
175 Seiten, 17,80 Euro , Matthes & Seitz 2008
Service:
Während der Leipziger Buchmesse liest Ivana Sajko am 14.3. um 13 und um 15 Uhr (Kroatischer Stand). Am 16.3. um 15.30 (Blaues Sofa) Außerdem ist sie auf Lesereise in Deutschland: 16.3. Kasematten Dresden 20 Uhr, 17.3. in Berlin Südostzentrum, 2.4. Literarisches Colloquium Berlin
Der erste Alarm übertönt die Tanzmusik, die Trauzeugen liegen plötzlich am Boden zerrissen. Die junge Ehefrau erlebt, wie ihr weißes Kleid zu Verbandzeug und Binden verschnitten wird. Sie beschreibt die Not in den Schutzkellern, schildert die Suche nach dem verschollenen Gatten, erzählt von den Lagern und Flüchtlingsströmen. Parallel zu diesem Leid erfährt der Leser auch einiges vom Elend der alkoholkranken Frau aus der "Rio-Bar". Auf der Flucht vor ihrer Einsamkeit hat sie wechselnde Männerbekanntschaften, wird in einen Mordfall verstrickt, am Ufer zusammengeschlagen. Als der Wirt der "Rio-Bar" umgebracht wird, verliert sie quasi ihren Schutzraum.
Ivana Sajkos Roman ist keine einfache Lektüre. Er wechselt permanent die Perspektive und die Zeitebenen. Die acht Monologe der Braut in der Ich-Perspektive sind über einen Text mit insgesamt 23 nicht aufeinander bezogenen Kapiteln verstreut, unterbrochen vom Erzählstrang rund um die Frau aus der "Rio-Bar". Im letzten Kapitel mündet deren personale Erzählerperspektive in den Schlussmonolog der Ich-Erzählerin. Beide Frauen werden somit eins: "Sie setzt sich in den Zug und fährt fort. Bis zur Endstation? fragt sie der Schaffner. Bis zum Ende, bestätige ich und lache, obwohl ich keinen Grund dazu habe."
Der radikal weibliche Blick in diesem Roman ist durch eine besondere Sprache gekennzeichnet: gesprochener, auch zum Teil jargonhafter Ton, daneben aber auch bildreiche, expressiv-plastische Formulierungen, die den Krieg geradezu körperlich erfahrbar machen. "Ich summe mit den Granatsplittern und stoße Benzin auf" heißt es da in einem der Monologe der Braut. Ihre fiktive Verfasserin, durch die Folgen des Alkohols ohnehin in ständiger Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, nennt die quälenden Erinnerungen an den Krieg ein "Minenfeld im Kopf".
Sajkos beklemmend ausdrucksstarke Sprache und der unkonventionelle, szenenhafte Bauplan des Romans zeigen deutlich die Handschrift einer Autorin, die bislang als experimentierfreudige Dramatikerin und Regisseurin gearbeitet hat und damit in ihrem Heimatland sehr erfolgreich ist.
Thematisch bleibt sich Ivana Sajko (Jahrgang 1975) trotz der Hinwendung zur Romangattung treu: Ihre dramatischen Werke widmen sich u.a. dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien oder dem gespaltenen Europa. Ihr jüngstes Theaterstück "Die Bombenfrau", das derzeit auch auf deutschen Bühnen zu sehen ist, schildert die letzten Minuten einer Selbstmordattentäterin.
Rezensiert von Olga Hochweis
Ivana Sajko: "Rio-Bar",
Roman aus dem Kroatischen von Alida Bremer
175 Seiten, 17,80 Euro , Matthes & Seitz 2008
Service:
Während der Leipziger Buchmesse liest Ivana Sajko am 14.3. um 13 und um 15 Uhr (Kroatischer Stand). Am 16.3. um 15.30 (Blaues Sofa) Außerdem ist sie auf Lesereise in Deutschland: 16.3. Kasematten Dresden 20 Uhr, 17.3. in Berlin Südostzentrum, 2.4. Literarisches Colloquium Berlin