Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan

Die Taliban werden das Land wieder übernehmen

05:33 Minuten
In Afghanistan salutieren Bundeswehrsoldaten in einer Reihe.
Die Aufbauarbeit der Bundeswehr in Afghanistan könnte durch die Taliban zunichte gemacht werden, befürchtet Jana Puglierin. © imago / Florian Gaertner/ photothek
Jana Puglierin im Gespräch mit Anke Schaefer · 30.04.2021
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Mit den Amerikanern und anderen Nato-Truppen verlässt auch die Bundeswehr Afghanistan. Die Politologin Jana Puglierin erwartet eine Rückkehr der Taliban - mit Folgen für die Terrorgefahr und die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland.
Der Beschluss der US-Regierung, in den kommenden Wochen die eigenen Truppen aus Afghanistan abzuziehen, hat die Nato-Alliierten unter Handlungsdruck gesetzt: Auch die derzeit gut 1.000 Bundeswehrsoldaten werden ab dem 1. Mai nach Deutschland zurückkehren, spätestens bis zum 11. September. Dann endet ein knapp zwei Jahrzehnte langer Auslandseinsatz, bei dem fast 60 deutsche Soldaten getötet wurden.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) äußerte bei einem Besuch in Kabul am Donnerstag diese Hoffnung: dass die Taliban verstanden hätten, dass die Konflikte im Land "politisch gelöst werden" müssten.
Jana Puglierin im Porträt
Jana Puglierin leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations© picture alliance /dpa /Soeren Stache
Dieser Erwartung widerspricht die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin entschieden:
"Ich möchte nicht zynisch sein, aber ich glaube, die Taliban haben sehr wohl verstanden, dass sie einfach nur abwarten müssen, bis die Amerikaner und die westlichen Kräfte abgezogen sind und sie stückweise wieder das Land übernehmen können."
Sie sei in dieser Frage "extrem pessimistisch", so die Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR). "Dieser Auslandseinsatz geht so lange und hat im Prinzip so wenig positive Ergebnisse hervorgebracht." Nun müsse "ehrlich" Bilanz gezogen werden. "Je mehr die Taliban auch wieder Gebiete einnehmen, desto mehr wird alles, was man aufgebaut hat, im Prinzip wieder zunichte gemacht", prognostiziert Puglierin. Es gehe dabei um Bildung, insbesondere für Frauen, aber auch Klimaschutzprojekte.

Mehr Menschen werden Afghanistan verlassen wollen

Nach Einschätzung der Politologin wird die Sicherheitslage immer instabiler:
"Da ist die Frage: Was bedeutet das für uns mit Blick auf wiederaufkommende Terrorgefahr – das war ja mal der ursprüngliche Grund des Einsatzes – aber auch, was heißt es mit Blick auf Flüchtlinge zum Beispiel? Die Afghanen waren die zweitgrößte Gruppe von Antragstellern in diesem Jahr zum Beispiel. Ich glaube nicht, dass das aufhören wird, sondern ich glaube eher, dass mehr Leute noch das Land verlassen werden wollen als vorher."
Der Afghanistan-Einsatz war aus Sicht Puglierins "sehr prägend" für die deutsche Sicherheitspolitik. Er habe in Deutschland eine Debatte über vernetzte Sicherheit angestoßen: "dass man nicht nur die Bundeswehr irgendwo hinschickt, sondern dass man das verzahnt auch mit Entwicklungshilfe und mit politischen Reformen". Nun müsse der Einsatz unabhängig evaluiert werden, fordert Puglierin: "Was war ein Erfolg, was war ein Misserfolg und was müssen wir für zukünftige Einsätze im Kopf behalten?"
(bth)
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