Abtreibungsgegnerinnen in Texas

Im Namen Gottes

23:28 Minuten
Demonstrierende der "Pro Life" Bewegung in Austin Texas.
Demonstrierende der “Pro Life” Bewegung in Austin/Texas. © imago images / ZUMA Wire
Von Doris Simon |
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In Texas verzeichneten Pro-Life-Aktivisten ihren jüngsten juristischen Erfolg: Weist ein Fötus einen Herzschlag auf, darf kein Arzt oder Ärztin mehr eine Abtreibung vornehmen. Kliniken wie die von Planned Parenthood haben einen schweren Stand.
Mittwoch, Donnerstag, Freitag: An diesen Tagen werden in der Klinik von Planned Parenthood in Waco Texas Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. An diesem Freitag ist es noch nicht Mittag und schon weit über 30 Grad heiß und schwül. Auf dem Parkplatz von Planned Parenthood, einen Steinwurf von Highway 6 entfernt, herrscht gähnende Leere. Ein guter Tag, sagt Ellen Staniszewski zufrieden: keine Autos, keine Abtreibungen. Das Geschäft von Planned Parenthood sei durch die Bemühungen von Pro Life Waco ernsthaft beeinträchtigt worden.


Die frühere Lehrerin leitet die sogenannte Bürgersteigberatung: Jede Woche steht die große blonde Frau mit Strohhut und riesiger rosa Sonnenbrille mit anderen Abtreibungsgegnern vor der Einfahrt von Planned Parenthood und wartet auf schwangere Frauen. Es gibt spezielle Schulungen, wie sie die Frauen am besten ansprechen, die zur Beratung oder zum Abbruch kommen. Schwangere seien in einer Stresssituation, sagt Ellen, sie bräuchten Liebe, Hilfe, Ermutigung.

Spießrutenlauf für Schwangere

In Texas muss zwischen dem verpflichtenden Beratungsgespräch und der Abtreibung eine Frist von mindestens 24 Stunden vergehen. Das bedeutet, dass jede Schwangere zweimal in die Klinik von Planned Parenthood kommen muss – zwei Mal Gelegenheit für die Abtreibungsgegner, ihre Angebote zu machen. Ellen ist auf die Idee mit den rosa Tüten gekommen, die die Abtreibungsgegner ins Auto reinreichen: Oben schaut ein Plüschtier heraus, darunter sind Gutscheine für sofortige kostenfreie medizinische Behandlung: Schwangerschaftstest, Ultraschall oder eine Hormonbehandlung, um eine Abtreibung mit der Pille danach wieder rückgängig zu machen – alles in der Carenet-Klinik der Lebensschützer genau gegenüber von Planned Parenthood.
Auch in der rosa Tüte: Angebote von Pro Life Waco: Ein Jahr Unterbringung für bis zu 20 Frauen und ihre Kinder, medizinische Versorgung, Lebenshaltungskosten, Unterstützung bei Wohnungssuche, Jobtraining, Adoption. Weiter unten in der rosa Tüte ist ein Gesprächsangebot für Frauen, die abgetrieben haben, Kleenex, ein handgeschriebener Zettel mit Bibelzitat und ein kleines rotes Herz aus Glas. Die jungen Frauen sollen wissen, wir lieben sie, sagte Ellen Staniszewski, egal welche Entscheidung sie treffen.

Das Ziel: Planned Parenthood finanziell schaden

Seit die Lebensschützer ihre spendenfinanzierte Klinik im Februar geöffnet haben, hätten sich über 100 Frauen umentschieden und nicht abgetrieben, sagt Ellen Staniszewski stolz. Gegenüber, bei Planned Parenthood, kostet der für eine Abtreibung gesetzlich vorgeschriebene Ultraschall 350 Dollar. Viel Geld für Frauen ohne Krankenversicherung. Das kostenfreie Angebot von Carenet bietet nicht nur Schwangeren sofort eine Alternative, auch andere nehmen die sonstigen gynäkologischen Angebote der Lebensschützer in Anspruch. Zusammen gefährdet dies zunehmend die wirtschaftliche Basis von Planned Parenthood, der einzigen Klinik weit und breit, die noch Schwangerschaftsabbrüche anbietet.
Das ist das Ziel: Mit billigeren und besseren Dienstleistungen für Kunden sorge man dafür, dass andere dichtmachen müsst, sagt Ellen Staniszewski. 2013 musste die Klinik von Planned Parenthood schon einmal schließen, nach verschärften Anforderungen für medizinische Einrichtungen in Texas. Die Wiedereröffnung 2017 sei ein Schock gewesen, erzählt Lebensschützer Nonie: Die Gewalt gegen ungeborene Kinder sei zurückgekehrt nach Waco.

Ein Mann steht mit einem Schild vor einer Klinik.
Ein Abtreibungsgegner mit einem Schild, auf dem „Pray To End Abortion“ ("Bete für das Ende von Abtreibungen“) steht, vor einer Klinik von Planned Parenthood in St. Louis.© imago images / ZUMA Wire / Jill Toyoshiba
Entlang der Einfallstraßen in das Regionalzentrum stehen Plakate mit dem Bild einer traurigen Frau und dem Text "Abtreibung schmerzt", oder "Baby stirbt, Mutter weint", in vielen Vorgärten zeigen Aufsteller Babybilder.
Jede Woche halten Aktivisten an einer Hauptstraße neben der Klinik von Planned Parenthood Schilder gegen Abtreibungen hoch. Dahinter steckt John Pisciotta, Katholik und seit vielen Jahren ehrenamtlicher Direktor von Pro Life Waco. Der untersetzte Mann mit rotem Lebensschützer-T-Shirt, Jeans und Hosenträgern, organisiert den Kampf gegen Abtreibungen und gegen die Klinik von Planned Parenthood in Waco. Der frühere Wirtschaftsprofessor an der örtlichen Baptistenhochschule lehnt aggressive Ansprache oder drastische Fotos abgetriebener Föten ab: Er wolle Familien, Kinder und Kirchen einbeziehen.
Da sei es strategisch nicht gut, Bilder von Abtreibungsopfern zu verwenden. Aber wenn er ansonsten jeden Erwachsenen diese Bilder sehen lassen könnte, dann wäre das schon eine tolle Sache, findet Pisciotta.

Das Thema ist noch lange nicht erledigt

Das Ziel von Wacos oberstem Pro-Life-Aktivisten: Klarmachen, dass auch 48 Jahre nach der höchstgerichtlichen Zulassung von Abtreibungen das Thema nicht erledigt ist. Es gebe keine Mehrheiten, sagt John, nicht für und nicht gegen Abtreibungen. Die meisten Menschen seien irgendwo dazwischen, und um zu gewinnen, müsse man die auf die eigene Seite ziehen.
Der langjährige Aktivist sieht mit Wohlwollen, dass es inzwischen am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten eine konservative Mehrheit gibt, und er freut sich über die Gesetzesverschärfungen in vielen republikanischen Bundesstaaten. Doch Pisciotta ist überzeugt: Am erfolgreichsten werde der Kampf gegen Abtreibung über den Glauben geführt.

Abtreibungsgesetz in Texas: Was bedeutet das für Schwangere? [AUDIO] Mit dem neuen Gesetz, das im September in Texas in Kraft treten soll, wird die körperliche Selbstbestimmung von Frauen weiter eingeschränkt. Über die Folgen haben wir mit Drucilla Tigner gesprochen. Sie ist Genderbeauftragte der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union in Texas. Jeder Bürger überall auf der Welt kann zukünftig texanische Ärzte oder Kliniken verklagen, die Abbrüche vornehmen. Das bedeute für die Kliniken ein großes wirtschaftliches Risiko. Zudem treibe das Gesetz Menschen aus dem Bundesstaat, um jenseits der Grenzen die Versorgung zu bekommen, die sie dringend bräuchten, so Tigner. Das komplette Interview hören Sie im Audio.

Eine Frau hält ein Protestschild hoch.
© picture alliance / dpa / ZUMA Wire / Bob Daemmrich
Waco, 125.000 Einwohner, hat mehr Kirchen als Unternehmen oder Restaurants. Gläubig sein ist für viele hier gleichbedeutend mit: Gegen Abtreibung sein. Unter den Pro-Life-Aktivisten, die aus allen Alters- und sozialen Schichten kommen, sind viele Born again Christians, Menschen, die nach einem Erweckungserlebnis im Kampf gegen Abtreibung ihre Lebensaufgabe sehen.
Nancy gehört mit ihrem Mann Tom zu den wichtigsten Geldgebern von Pro Life Waco. Alle ihre Freunde würden so denken wie sie, sagt die gepflegte schlanke Frau. Dabei ist Nancy Abtreibung nicht fremd: Eine ihrer Schwestern hat vor vielen Jahren zweimal heimlich abgetrieben. Heute arbeitet Nancys Schwester ehrenamtlich in einer Klinik der Abtreibungsgegner in Santa Fe. Gott habe es so gewendet, ist Nancy überzeugt, dass ihre Schwester nun mit ihrer eigenen Geschichte verlorene Seelen erlöse.

Wenn Abtreibung das Leben bestimmt

Megan Roos hat am örtlichen College eine Studentengruppe gegründet: Ihr Langzeit-Ziel ist das Ende aller Abtreibungen. Die 21-Jährige, lange Haare, Shorts und Turnschuhe, will nach ihrem Kommunikationsstudium beruflich den Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche fortsetzen. Auch privat bestimmt das Thema ihr Leben.
"Ich kann nicht darüber nicht sprechen, wenn ich in einem Gespräch bin, kommt das irgendwann zur Sprache. Zum Beispiel war ich letztes Wochenende auf der Abschlussfeier meines Cousins, und ich konnte nicht anders, als dieses schreckliche Thema anzusprechen. Glücklicherweise war ich mit Leuten zusammen, die in etwa meiner Meinung waren. Es war also nicht feindselig. Aber ich fühle mich herausgefordert, das zu tun. Es ist so sehr ein Teil von mir geworden."
Für Steven, 25, ist das wöchentliche Ansprechen von Schwangeren vor der Klinik von Planned Parenthood ein Dienst an den Frauen: Sie müssten davor bewahrt werden, ihr Leben zu zerstören, eine Abtreibung würden sie später bereuen. Abtreibung ist für den jungen Mann eine Tragödie und Mord.
Steven ist überzeugt: Als Mann könne er einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper machen dürfe. Als Christ, als Amerikaner habe er das Recht dazu. Die Frau müsse wissen, dass sie ein anderes Leben in ihrem Bauch trage und nicht das Recht habe, dieses Leben zu beenden.

Den Aktivisten von Pro Life Waco gilt alles nach der Zeugung als Kind, dessen Rechte stärker wiegen als die Selbstbestimmung der Frau. Ja, unbedingt, antwortet Tom, ein freundlicher früherer Professor für Buchhaltung, auf Nachfrage: Für ihn sind es Babys, ebenso Menschen wie die Mutter und die Gott gehörten.

Abtreibungsverbot auch bei Inzest und Vergewaltigung

Das neue texanische Gesetz verbietet Abtreibung, sobald der Fötus einen Herzschlag aufweist. Dann wissen viele Frauen noch nicht, dass sie schwanger sind, doch auch nach einem Inzest oder einer Vergewaltigung darf dann kein Arzt mehr einen Abbruch vornehmen.
Das sei richtig so, findet Ellen Staniszewski. Sie ist davon überzeugt, für die betroffene Frau sei es besser, in jedem Fall die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Egal wie sie zustande gekommen sei, es sei immer noch ihr Baby, sagt die frühere Lehrerin. Für sie ist die Entscheidung für eine Abtreibung ein erneuter Angriff auf den Körper der Frau.
Außerdem könne die Frau das Kind nach der Geburt zur Adoption frei geben, sagt Ellen. Pro Life Waco helfe auch da. Die frühere Lehrerin hat zwei nicht-weiße Kinder adoptiert und gehört damit eher zur Ausnahme: Weiße Kinder finden überall im Land leichter Adoptiveltern als nicht-weiße. Diese müssen oft unter schwierigen Verhältnissen jahrelang in Heimen bleiben. Relativ gesehen treiben nicht-weiße Frauen deutlich häufiger ab als weiße Frauen. Was oft mit wirtschaftlichen Problemen erklärt wird, ist für Abtreibungsgegnerinnen wie Ellen systematischer Rassismus: Nicht-weiße Frauen würden bewusst nicht über Alternativen zur Abtreibung aufgeklärt, um hohe Geburtenraten in diesen Ethnien zu vermeiden.
An diesem Morgen kommen etwa gleich viele weiße und nicht-weiße Frauen in die spendenfinanzierte Carenet-Klinik der Abtreibungsgegner- für Schwangerschaftstests, Ultraschall, weitere Untersuchungen. Alle sind dankbar für die kostenfreien Angebote der spendenfinanzierten Klinik. Ich hätte nicht gewusst, wie ich mich sonst entschieden hätte, sagt eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren. Das Interview mit der jungen Frau muss gelöscht werden, nachdem eine Vertreterin der Carenet-Klinik sie aufgefordert hatte, von der Reporterin die Löschung zu verlangen. Auch ein Rundgang durch die Einrichtung und ein Interview mit der Klinikleitung kommen nicht zustande, das Misstrauen gegenüber unbekannten Journalistinnen ist offensichtlich.

Nächster Gegner: Bank of America

John Pisciotta ist nicht glücklich über diese Reaktion der Carenet-Klinik. Da gebe es doch nur Positives zu berichten, sagt der Gründer von Pro Life Waco und legt die Stirn in Falten. Pisciotta kämpft am liebsten mit offenem Visier, notfalls mit harten Bandagen, ihm geht es darum, der Klinik von Planned Parenthood mit dem Abtreibungsangebot den Boden zu entziehen.
So organisierte er eine Anzeigenboykottdrohung der örtlichen Geschäftsleute, nachdem das Lokalmagazin eine Anzeige von Planned Parenthood veröffentlicht hatte und dies auch weiterhin tun wollte. Es dauerte nicht lang, erzählt Pisciotta, da rief ihn der Anwalt des Magazins an: Sie gäben auf, das Lokalmagazin werde keine Inserate von Planned Parenthood mehr akzeptieren.
Dieses Jahr hat sich Pro Life Waco einen größeren Gegner ausgesucht: Die Bank of America. Deren Filiale liegt wie das Lokalmagazin an der mehrspurigen Hauptgeschäftsstraße durch Waco. Die Bank of America hat wie viele US-Arbeitgeber ein Programm zur Spendenförderung: Sie legt auf Spenden ihrer Mitarbeiter noch etwas drauf. Damit müsse Schluss sein bei Spenden für Planned Parenthood, fordern die Lebensschützer. Bislang hat die Bank auf die ersten Demos vor der Filiale nicht reagiert. Aber John Pisciotta ist zuversichtlich: Beim Lokalmagazin sei es ja anfangs nicht anders gewesen.
Wir verlieren die Schlacht in Waco nicht, sagt John Pisciotta. Wir gewinnen. Langsam. Wir machen einfach weiter wie bisher.
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