Abtauchen aus der Realität
In "Massenphänomen Computerspiele" schreibt Wissenschaftler Jeffrey Wimmer über Computerspiele und ihre Rolle im Leben der Menschen. Außerdem diskutiert er den Forschungsstand zum Thema Abhängigkeit und Gewalt.
Über Computerspiele wissen nur die Bescheid, die sie lieben oder die an ihnen verdienen. Das will der Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer ändern. Er plädiert in seiner Studie für eine differenziertere Sicht auf die aus seiner Sicht zu Unrecht als "Killerspiele" verschriene Branche. Mit der Analyse von Computerspielen beschäftigen sich - vor allem in den USA - bereits die "Game Studies". Wimmer möchte dieses Wissen für die gesellschaftliche Debatte über Sinn und Zweck der Computerspiele fruchtbar machen.
Zunächst stellt der Junior-Professor der TU Illmenau die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Computerspiels genauer dar. Kampfspiele stehen neben Geschicklichkeitsspielen, Spielgeschichten mit Fantasytouch neben Simulationen wie Second Life. Sie können Offline oder Online gespielt werden, allein oder mit anderen. Sie können abendfüllend sein oder als Pausenfüller dienen. Neben der reinen Unterhaltungsbranche hat sich ein E-Learning-Zweig gebildet, der zum Beispiel Schulstoff aufarbeitet oder in der Weiterbildung eingesetzt wird.
Dem oft gehörten Vorwurf, dass Computerspiele süchtig machen würden, begegnet Wimmer mit der neutralen Frage, wie denn Computerspiele überhaupt wirken. Natürlich, gibt er zu, würden sie dem Akteur zum Abtauchen aus der Realität verhelfen. Doch sieht er darin einen legitimen Erholungseffekt. Zudem würden die Spieler Rollen ausleben und Aufgaben bestehen, die ihnen im realen Leben verwehrt seien. Manch einer allerdings könne dann nicht mehr zwischen Sein und Schein unterscheiden.
Dass es einen Zusammenhang zwischen einer höheren Gewaltbereitschaft und dem Konsum von Ego-Shooter-Spielen bei männlichen Jugendlichen geben kann, leugnet Wimmer nicht. Der Autor verweist jedoch auf Untersuchungen, die zeigen, dass die Ursachen solcher Entgleisungen meist in gesellschaftlichen oder familiären Defiziten liegen. An mehreren Stellen des Buches hebt der Kommunikationswissenschaftler das gemeinschaftsbildende Potenzial von Online-Spielen positiv hervor. Sein Beispiel stimmt allerdings eher skeptisch. Erfolgreiches Spielen solcher Multiplayer-Rollenspiele wie "World of Warcraft" gilt beispielsweise bei Jungmanagern oft sogar als Qualifikation.
Die Statistik legitimiert Wimmers Vorstoß zu mehr Offenheit gegenüber Computerspielen: Nach einer "GameStat-Studie" der Universität Hohenheim von 2011 nutzen ein Viertel der Deutschen ab 14 Jahren gelegentlich Computerspiele. So ist es auch sinnvoll, dass der Autor ein Kapitel der prosperierenden globalen Computerspielindustrie widmet, bei der Sony, Nintendo und Microsoft die Marktführer sind.
Das Buch ist übersichtlich gegliedert, enthält eine Liste von Links, eine Literaturliste und ein umfangreiches Glossar. Wer weiß schon, dass "Modding", das Modifizieren der Spiel-Software meint, oder "Gamification" den Einzug spielerischer Momente in den Alltag. Die Lektüre strapaziert trotz vieler Aha-Effekte an einigen Stellen die Geduld des Laien durch komplexe Argumentationen, die an jene Wissenschaftler adressiert sind, die sich bereits mit dem Computerspiel befassen: an Psychologen, Soziologen, Pädagogen und Kommunikationswissenschaftler.
Besprochen von Carmela Thiele
Zunächst stellt der Junior-Professor der TU Illmenau die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Computerspiels genauer dar. Kampfspiele stehen neben Geschicklichkeitsspielen, Spielgeschichten mit Fantasytouch neben Simulationen wie Second Life. Sie können Offline oder Online gespielt werden, allein oder mit anderen. Sie können abendfüllend sein oder als Pausenfüller dienen. Neben der reinen Unterhaltungsbranche hat sich ein E-Learning-Zweig gebildet, der zum Beispiel Schulstoff aufarbeitet oder in der Weiterbildung eingesetzt wird.
Dem oft gehörten Vorwurf, dass Computerspiele süchtig machen würden, begegnet Wimmer mit der neutralen Frage, wie denn Computerspiele überhaupt wirken. Natürlich, gibt er zu, würden sie dem Akteur zum Abtauchen aus der Realität verhelfen. Doch sieht er darin einen legitimen Erholungseffekt. Zudem würden die Spieler Rollen ausleben und Aufgaben bestehen, die ihnen im realen Leben verwehrt seien. Manch einer allerdings könne dann nicht mehr zwischen Sein und Schein unterscheiden.
Dass es einen Zusammenhang zwischen einer höheren Gewaltbereitschaft und dem Konsum von Ego-Shooter-Spielen bei männlichen Jugendlichen geben kann, leugnet Wimmer nicht. Der Autor verweist jedoch auf Untersuchungen, die zeigen, dass die Ursachen solcher Entgleisungen meist in gesellschaftlichen oder familiären Defiziten liegen. An mehreren Stellen des Buches hebt der Kommunikationswissenschaftler das gemeinschaftsbildende Potenzial von Online-Spielen positiv hervor. Sein Beispiel stimmt allerdings eher skeptisch. Erfolgreiches Spielen solcher Multiplayer-Rollenspiele wie "World of Warcraft" gilt beispielsweise bei Jungmanagern oft sogar als Qualifikation.
Die Statistik legitimiert Wimmers Vorstoß zu mehr Offenheit gegenüber Computerspielen: Nach einer "GameStat-Studie" der Universität Hohenheim von 2011 nutzen ein Viertel der Deutschen ab 14 Jahren gelegentlich Computerspiele. So ist es auch sinnvoll, dass der Autor ein Kapitel der prosperierenden globalen Computerspielindustrie widmet, bei der Sony, Nintendo und Microsoft die Marktführer sind.
Das Buch ist übersichtlich gegliedert, enthält eine Liste von Links, eine Literaturliste und ein umfangreiches Glossar. Wer weiß schon, dass "Modding", das Modifizieren der Spiel-Software meint, oder "Gamification" den Einzug spielerischer Momente in den Alltag. Die Lektüre strapaziert trotz vieler Aha-Effekte an einigen Stellen die Geduld des Laien durch komplexe Argumentationen, die an jene Wissenschaftler adressiert sind, die sich bereits mit dem Computerspiel befassen: an Psychologen, Soziologen, Pädagogen und Kommunikationswissenschaftler.
Besprochen von Carmela Thiele
Jeffrey Wimmer: Massenphänomen Computerspiele
UVK Verlagsanstalt, Konstanz und München 2013
214 Seiten, 29,90 Euro
UVK Verlagsanstalt, Konstanz und München 2013
214 Seiten, 29,90 Euro