Absurdes aus St. Pauli
Rocko Schamoni lässt seinen ironischen Helden Michael Sonntag wieder auferstehen. Und der hat erneut mit seinen drei großen Themen zu kämpfen: die Frauen, die Stadt Hamburg und die deutsche Literatur.
Michael Sonntag ist wieder da. Er hat drei Jahre seit dem letzten Buch überwintert, aber jetzt ist er wieder da. Michael Sonntag ist nicht nur ein abgebrochener Kunststudent und überzeugter Single, er ist vor allem wortkarg und schicksalsergeben – und der Protagonist im neuen Roman von Rocko Schamoni.
Wobei Protagonist schon fast zu viel nach Aktivität klingt, denn Herr Sonntag hat sogar Probleme, einen Platz zu überqueren – ohne gleich wieder Opfer seiner Orientierungs- und Antriebslosigkeit zu werden. Ganz so, also ob ihm jemand eine Aufgabe übertragen hätte: "Überquere einen großen Platz in deiner Stadt und scheitere daran!"
In der Tat: eine weitestgehend gescheiterte Existenz, dieser Michael Sonntag, aber die herkömmlichen biografischen Maßstäbe von Erfolg und Misserfolg können bei ihm sowieso nicht angelegt werden. Er lebt vor sich hin und ist gar nicht mal unglücklich damit. Er fühlt sich angesichts der Gentrifizierung seines Viertels Hamburg St. Pauli etwas an den Rand gedrängt, aber ansonsten hält sich sein Sozialstress in Grenzen.
Er pflegt lieber seine Krankheiten, verliebt sich unglücklich in eine Handy-Verkäuferin, der er ungelenke Dankesmitteilungen macht ("Ich habe Ihre Beratung genossen"), schickt ohne Erfolg skurrile Romanangebote an große deutsche Verlage, assistiert seinem alten Kumpel Novak bei dessen hanebüchenen Geschäftsideen, baut aus Mitleid für seine Stubenfliege ein Totenbett aus einer Streichholzschachtel - und verbrät sein weniges Geld bei zugedröhnten Ausflügen ins Casino nach Travemünde. Und sonst? Wartet er auf ein "intellektuelles Befruchtungserlebnis".
Den vierten Roman des Hamburger Musikers, Clubbetreibers und Schriftstellers Rocko Schamoni durchzieht wieder allerfeinster trockener Witz, der an den Ton von Christian Ulmen und Sven Regener erinnert. Schamoni ist dabei ein Prachtexemplar modernen literarischen Hanseatentums – gestelzt und selbstironisch zu gleich.
Der Hamburger Autor schreibt in einem wunderbar weichen, altmodischen, dandyhaften Ton, der ohne jede Anstrengung daher kommt. Schamoni beschenkt uns auch diesmal wieder mit den absurdesten und komischsten Momenten deutscher Großstadtliteratur. Etwa wenn er seinen Helden Michael Sonntag sich einen alten Traum erfüllen lässt – einmal Museumswärter sein. Und zwar ein richtig fieser, der keine Skrupel hat, Kunstbanausen des Saales zu verweisen.
Für diese Aufgabe lässt er sich natürlich nicht umständlich anstellen, sondern besorgt sich eine Wärter-Uniform bei "Humana", stickt einen fiktiven Namen auf die Brusttasche, marschiert zu den Alten Meistern und guckt wichtig. Erst als ihn die Direktion rausschmeißen lässt, fliegt der Schwindel auf. Allein für diese Guerilla-Aktionen seines Helden kann man das Buch nur lieben.
Besprochen von Vladimir Balzer
Rocko Schamoni: Tag der geschlossenen Tür
Piper Verlag, München 2011
256 Seiten, 16,95 Euro
Wobei Protagonist schon fast zu viel nach Aktivität klingt, denn Herr Sonntag hat sogar Probleme, einen Platz zu überqueren – ohne gleich wieder Opfer seiner Orientierungs- und Antriebslosigkeit zu werden. Ganz so, also ob ihm jemand eine Aufgabe übertragen hätte: "Überquere einen großen Platz in deiner Stadt und scheitere daran!"
In der Tat: eine weitestgehend gescheiterte Existenz, dieser Michael Sonntag, aber die herkömmlichen biografischen Maßstäbe von Erfolg und Misserfolg können bei ihm sowieso nicht angelegt werden. Er lebt vor sich hin und ist gar nicht mal unglücklich damit. Er fühlt sich angesichts der Gentrifizierung seines Viertels Hamburg St. Pauli etwas an den Rand gedrängt, aber ansonsten hält sich sein Sozialstress in Grenzen.
Er pflegt lieber seine Krankheiten, verliebt sich unglücklich in eine Handy-Verkäuferin, der er ungelenke Dankesmitteilungen macht ("Ich habe Ihre Beratung genossen"), schickt ohne Erfolg skurrile Romanangebote an große deutsche Verlage, assistiert seinem alten Kumpel Novak bei dessen hanebüchenen Geschäftsideen, baut aus Mitleid für seine Stubenfliege ein Totenbett aus einer Streichholzschachtel - und verbrät sein weniges Geld bei zugedröhnten Ausflügen ins Casino nach Travemünde. Und sonst? Wartet er auf ein "intellektuelles Befruchtungserlebnis".
Den vierten Roman des Hamburger Musikers, Clubbetreibers und Schriftstellers Rocko Schamoni durchzieht wieder allerfeinster trockener Witz, der an den Ton von Christian Ulmen und Sven Regener erinnert. Schamoni ist dabei ein Prachtexemplar modernen literarischen Hanseatentums – gestelzt und selbstironisch zu gleich.
Der Hamburger Autor schreibt in einem wunderbar weichen, altmodischen, dandyhaften Ton, der ohne jede Anstrengung daher kommt. Schamoni beschenkt uns auch diesmal wieder mit den absurdesten und komischsten Momenten deutscher Großstadtliteratur. Etwa wenn er seinen Helden Michael Sonntag sich einen alten Traum erfüllen lässt – einmal Museumswärter sein. Und zwar ein richtig fieser, der keine Skrupel hat, Kunstbanausen des Saales zu verweisen.
Für diese Aufgabe lässt er sich natürlich nicht umständlich anstellen, sondern besorgt sich eine Wärter-Uniform bei "Humana", stickt einen fiktiven Namen auf die Brusttasche, marschiert zu den Alten Meistern und guckt wichtig. Erst als ihn die Direktion rausschmeißen lässt, fliegt der Schwindel auf. Allein für diese Guerilla-Aktionen seines Helden kann man das Buch nur lieben.
Besprochen von Vladimir Balzer
Rocko Schamoni: Tag der geschlossenen Tür
Piper Verlag, München 2011
256 Seiten, 16,95 Euro