Abstraktion als Tauchgang in die eigene Geschichte

Kunstmuseum in Bonn
Kunstmuseum in Bonn © picture alliance / dpa / Wolfgang Moucha
Von Michael Köhler · 09.07.2013
Das Kunstmuseum Bonn zeigt in der Ausstellung "Blinky, Mary, Yay" Werke der kalifornischen Konzeptkünstlerin Mary Heilmann. Sie führen Zwiesprache mit Bildern des verstorbenen deutschen Künstlers Blinky Palermo, der zu den "jungen Abstrakten" der 70er-Jahre gehörte. Die ist manchmal wie ein Bilderrätsel.
Mary Heilmann: "Als der Wunsch aufkam, im Bonner Kunstmuseum eine Ausstellung zu machen, traf ich meine Kuratoren und sagte, warum bringen wir nicht Mary Heilmann und Blinky Palermo zusammen? Sie sagten, gute Idee. Ich sagte, prima!"

Sie sind sich nie begegnet, haben sich nie getroffen. Hier finden sie nun zusammen. Und es ist manchmal wie bei einem Bilderrätsel. Der Betrachter fragt sich, was ist richtig, was falsch, was ist von Mary, was von Blinky?

Blinky Palermo, Meisterschüler von Beuys, entwickelte sich vom Bild zur Bildhauerei und Mary Heilmann von der Bildhauerei zum Bild. Das war in den 60er-Jahren ungewöhnlich. Zur Hoch–Zeit von Minimal Art und Konzeptkunst schaute man auf Design herab. Kurator Stefan Gronert:

"Mary Heilmann ist viel stärker noch Malerin und Palermo hat viel stärker noch den objekthaften Charakter des Bildes, was bei ihm auch viel weniger an das Rechteck gebunden ist, gefunden. Es ergeben sich dann aber doch Vergleichbarkeiten. Die Betonung der Linie, die Betonung des Kolorits. Aber es sind sehr reduzierte Formen und Farben."

Blinky macht gelbe Rechtecke mit roten Streifen, oben und unten. Mary macht gelbe Quadrate mit einem roten Rahmen drum herum. Sie spielen beide auf das Color Field Painting an. Namen wie Piet Mondrian und Barnett Newman, Elsworth Kelly sind Bezugsgrößen für sie.

Mary Heilmann: "Blinky Palermo und ich sind in etwa derselbe Jahrgang. Ich sah mal eine Ausstellung in der Dia Foundation in New York. Da lernte ich Blinkys Arbeiten erstmals kennen. Ich ging da durch und dachte, hey, da macht ja einer so was wie ich!"

Oft gibt es verblüffende Ähnlichkeiten bei den blauen Stoffbildern oder Dreiecken. Ein farbig zweigeteiltes Bild, wenige Elemente reichen. Rechtecke, ein bis zwei vollflächige Farben, Schluss. Kein expressiver Ausbruch, kein wilden Gesten.
Manche Bilder haben einen tief monochromen Grund, sind nachtblau, darauf zwei zitronengelbe Streifen, die in der Bildflucht aufeinander zulaufen. Es könnten parallele Fahrbahnlinien sein. Verkehrszeichen in einer Welt ohne Verkehr.

Mary Heilmann: "Ja, das sehen Sie richtig. Das Werk heißt 'Keine Durchfahrt, kein Durchkommen'. Und das sind die Fahrbahnlinien auf der Autobahn. Gemalt in perspektivischer Flucht. Ich hab einige Werke gemacht, die vom Vorüberziehen, vom Unüberwindlichen handeln."

Wer es pathetisch will, kann sagen, es gibt keine Schnellstraße zum gelingenden Leben: Überholverbot! Anders gesagt, die abstrakten, nicht-figürlichen Bilder sind keineswegs rational, kühl, abweisend, theoretisch. Im Gegenteil. Sie sind erfahrungsgesättigt. Sie handeln von Lebenswegen und -umwegen.

Mary Heilmann: "Genau, kein Durchkommen, nur manchmal kannst du diese Sperre überschreiten."

Es ist erst die zweite eigene Ausstellung, die Mary Heilmann in Deutschland gewidmet ist, und es ist ein Glück, die kalifornische Künstlerin des Jahrgangs 1940 in dieser kleinen, ruhigen Schau kennenzulernen.

Mary Heilmann: "Es gefällt mir, am Rand zu stehen und Dinge zu tun, die man von einem Mädchen nicht erwartet."

Auf meine Frage, warum es in ihren Bildern keine zeittypischen Slogans, Propaganda, Schrift, Zeichen, Literatur oder Zitate gibt, antwortet sie mit dem Hinweis auf die Bildlegenden:

"Die Titel sind oft inhaltlicher Natur, rufen Gedanken hervor. Du würdest nicht drauf kommen, ohne den Titel. Sie sind ein Hinweis, bieten einen Blick an."

Ein jung verstorbener Künstler aus der Beuys-Schule und eine kalifornische Keramikerin und Bildhauerin finden in Bonn glücklich zusammen. Das Kunstmuseum zeigt Schätze aus seinem Depot deutscher Nachkriegskunst und stiftet eine künstlerische Begegnung mit einer weiblichen Position amerikanischer Kunst. Abstraktion, das beweist diese Schau, ist ein mentaler Vorgang. Da werden Räume abgeschritten, Geschichten erzählt. Es handelt sich um "Straßen der Erinnerung", wie Museumschef Stephan Berg es nennt. Kurator Christoph Schreier sieht den Betrachter als eine Art Schwimmer in den Bildern von Mary Heilmann. Von der Oberfläche in die Tiefe und zurück. In der Tat: Mary Heilmann war eine Sportschwimmerin. Abstraktion als Tauchgang in die eigene Geschichte.

Christoph Schreier: "Man kann immer wieder auch in die Tiefen von persönlichen Erfahrungen abtauchen. Und wenn man beispielsweise jetzt "My Best Friends" sieht, das Schwarz, das sich in dieses Pink reinschiebt, in diese Körperfarbe und die Körperfarbe verdrängt, aus dem Bild rausdrückt, das hat viel auch mit ´ner Bewältigung des eigenen Lebens über `ne künstlerische Arbeit zu tun."

Weitere Informationen zur Ausstellung des Kunstmuseums Bonn.