Abstrakte Malerei
Eine Ausstellung im Hamburger Bucerius-Kunstforum zeigt ab Mittwoch rund 80 Gemälde und 30 Zeichnungen des Künstlers Willi Baumeister. Der Stuttgarter, der am 31. August 1955 starb, malte während der zwölf Jahre des Nationalsozialismus weiter, obwohl er seine Bilder niemandem zeigen durfte.
"Die Situation ist zunächst für uns ohne Aussicht, aber ich bin felsenfest überzeugt, dass man uns einst braucht und nicht die seichten Leinwandschinder, die sich vor der maßgeblichen Ansicht des ganzen Pöbels beugen."
So schreibt Willi Baumeister 1934 an einen Freund. Die Nationalsozialisten haben seine Kunst als "entartet" gebrandmarkt, ihm Berufsverbot erteilt. Aber er bleibt in Deutschland, vielleicht auch, weil seine jüngere Tochter Felicitas gerade erst ein Jahr alt ist. Heute verwaltet sie seinen Nachlass, das Willi-Baumeister-Archiv im Kunstmuseum Stuttgart, aus dem die meisten Ausstellungsstücke stammen. Baumeister zieht sich vor den Nazis zurück in seine privaten Studien: 1933 erforscht er die spanische Höhlenmalerei, bewundert, wie die Maler natürliche Felsvorsprünge für ihre Umrisszeichnungen ausgenutzt und beispielsweise zum Bauch eines Stieres umgearbeitet haben. So überzieht er nun seine Leinwand mit einer unregelmäßigen Schicht aus Sand und Mörtel und presst in diese künstliche Erdschicht die zeichenhaft verkürzten Gestalten von Läufern und Tänzerinnen. 1935 nimmt er an Ausgrabungen auf der schwäbischen Alb teil, die Formen der dort gefundenen Steinbeile tauchen als schwarze Keile in seinen Bildern auf und bilden schließlich einen japanischen Tempelturm. Und diese Bezüge erschließen sich dem Betrachter, weil Kurator Heinz Spielmann die konkreten Gegenstände in unmittelbare Nähe der Bilder gerückt hat.
Spielmann: "Wir zeigen zum ersten Mal seine eigene Sammlung früher und fremder und sogenannter primitiver Kunst, weil diese Kunst ihn sehr inspirierte, wenngleich die Resultate keineswegs eine einfache Wiederholung dessen sind, was ihn anregte."
Willi Baumeister war seit den zwanziger Jahren mit Le Corbusier und Fernand Léger befreundet. Französische Kunstkritiker hielten ihn für einen der wichtigsten Vertreter der deutschen Malerei. Noch 1939 ehrt ihn eine Einzelausstellung in Paris. Und an diese Reputation kann er nach dem Krieg nahtlos anknüpfen: 1947 setzt ihn der "SPIEGEL" auf die Titelseite, mit seinem Bühnenbild für ein Ballett an der Stuttgarter Oper. Eine französische Zeitschrift nennt ihn gar den "deutschen Picasso". Doch die Retrospektive im Bucerius-Kunstforum über diesen einst international berühmten Künstler, über Deutschlands Kulturbotschafter in der Nachkriegszeit - sie ist intim wie ein Besuch im Atelier. Was wohl daran liegt, dass Heinz Spielmann, Leiter des Bucerius-Kunstforums, Willi Baumeister noch persönlich kennen gelernt hat.
"Das war in Stuttgart. Als Studenten durfte man, wenn man ihn kannte, im kleinen Kreis, so drei oder vier Mann, ihn sonntags morgens besuchen, dann holte er die Bilder, die er in der vergangenen Woche gemalt hatte, zeigte sie, man sprach darüber, holte andere dazu, dazu gab es Campari und Gloria-Zigaretten. "
Baumeister: "Dieses Aztekenpaar, das ist folgendermaßen: Sehen Sie, das ist später, das ist zwei Jahre später eingefügt. Ich habe das Rot da reingesetzt, das Ding ist ja sonst ganz beige und grau, und da entsteht ein, wie wenn der ausspucken würde. Können Sie das sehen?"
Sehen kann der Besucher hier, wie Baumeister das reale Aztekenpaar, eine weibliche und männliche Statuette aus seiner Sammlung, in abstrakte Kringel, Dreiecke und wie Schriftzeichen anmutende Striche übersetzte, die er mit Spachtel, Pinselstiel oder einem Kamm in den Untergrund ritzte. Die dreieckige Kopfbedeckung der Frau übersteigert er zum Spitzdach, von der männlichen Figur übernimmt er die weit gespreizten Beine. Und die roten, wie hingetupften Flecken geben dem Bild eine rätselhafte Dynamik.
Die Figuren können ja auch fast statuarisch sein. Und jetzt erst – wumms – geht der nach links!
Ein Film von 1954 in der Ausstellung zeigt Baumeister: rundgesichtig, stämmig, mit Schiebermütze und dicken Brillengläsern.
Spielmann: "Er war ruhig, sehr ruhig, sehr ausgeglichen, außerordentlich freundlich, sehr humorvoll und witzig, war seinem Weltbild völlig gewachsen, aber er intellektualisierte nicht. Sondern war jemand, der aus der Anschauung lebte."
Das Erste und das Letzte ist in dieser Ausstellung dicht beieinander. Die frohen, von hellem Blau und Rot dominierten Eidos-Bilder von 1939 thematisieren die Entstehung des Lebens. Lappige Formen wie Amöben oder Geisseltierchen wachsen dem Licht entgegen. Und an der gegenüberliegenden Wand hängt als Bild und steht als Holzskulptur das Aru, jene große schwarze Form, die an ein chinesisches Schriftzeichen erinnert, aber zugleich wie eine Figur mit dicken Armen und Beinen wirkt. Vielleicht fälschlich als Todeszeichen gedeutet, weil es auf Baumeisters letzten Bildern auftaucht. Er starb ganz unerwartet mit 66 Jahren vor der Staffelei. Bewusst hat Baumeister nicht nach Endpunkten gesucht, sondern stets nach den Anfängen. Des Lebens und der Abstraktion.
Baumeister: "Das beginnt schon bei Cezanne. Cezanne hat eine Skizze zum Bild erhoben. Und hat das nicht mehr so ausgepimpelt. Sondern hat also den Strich stehen lassen. Und die Erregung erfolgt deshalb, weil das ein Wald sein könnte. Man sieht aber, es sind Pinselstriche."
Die Ausstellung "Willi Baumeister - Figuren und Zeichen" ist vom 31.August bis zum 30.Oktober im Bucerius-Kunstforum zu sehen, der Katalog kostet 24,80 Euro.
So schreibt Willi Baumeister 1934 an einen Freund. Die Nationalsozialisten haben seine Kunst als "entartet" gebrandmarkt, ihm Berufsverbot erteilt. Aber er bleibt in Deutschland, vielleicht auch, weil seine jüngere Tochter Felicitas gerade erst ein Jahr alt ist. Heute verwaltet sie seinen Nachlass, das Willi-Baumeister-Archiv im Kunstmuseum Stuttgart, aus dem die meisten Ausstellungsstücke stammen. Baumeister zieht sich vor den Nazis zurück in seine privaten Studien: 1933 erforscht er die spanische Höhlenmalerei, bewundert, wie die Maler natürliche Felsvorsprünge für ihre Umrisszeichnungen ausgenutzt und beispielsweise zum Bauch eines Stieres umgearbeitet haben. So überzieht er nun seine Leinwand mit einer unregelmäßigen Schicht aus Sand und Mörtel und presst in diese künstliche Erdschicht die zeichenhaft verkürzten Gestalten von Läufern und Tänzerinnen. 1935 nimmt er an Ausgrabungen auf der schwäbischen Alb teil, die Formen der dort gefundenen Steinbeile tauchen als schwarze Keile in seinen Bildern auf und bilden schließlich einen japanischen Tempelturm. Und diese Bezüge erschließen sich dem Betrachter, weil Kurator Heinz Spielmann die konkreten Gegenstände in unmittelbare Nähe der Bilder gerückt hat.
Spielmann: "Wir zeigen zum ersten Mal seine eigene Sammlung früher und fremder und sogenannter primitiver Kunst, weil diese Kunst ihn sehr inspirierte, wenngleich die Resultate keineswegs eine einfache Wiederholung dessen sind, was ihn anregte."
Willi Baumeister war seit den zwanziger Jahren mit Le Corbusier und Fernand Léger befreundet. Französische Kunstkritiker hielten ihn für einen der wichtigsten Vertreter der deutschen Malerei. Noch 1939 ehrt ihn eine Einzelausstellung in Paris. Und an diese Reputation kann er nach dem Krieg nahtlos anknüpfen: 1947 setzt ihn der "SPIEGEL" auf die Titelseite, mit seinem Bühnenbild für ein Ballett an der Stuttgarter Oper. Eine französische Zeitschrift nennt ihn gar den "deutschen Picasso". Doch die Retrospektive im Bucerius-Kunstforum über diesen einst international berühmten Künstler, über Deutschlands Kulturbotschafter in der Nachkriegszeit - sie ist intim wie ein Besuch im Atelier. Was wohl daran liegt, dass Heinz Spielmann, Leiter des Bucerius-Kunstforums, Willi Baumeister noch persönlich kennen gelernt hat.
"Das war in Stuttgart. Als Studenten durfte man, wenn man ihn kannte, im kleinen Kreis, so drei oder vier Mann, ihn sonntags morgens besuchen, dann holte er die Bilder, die er in der vergangenen Woche gemalt hatte, zeigte sie, man sprach darüber, holte andere dazu, dazu gab es Campari und Gloria-Zigaretten. "
Baumeister: "Dieses Aztekenpaar, das ist folgendermaßen: Sehen Sie, das ist später, das ist zwei Jahre später eingefügt. Ich habe das Rot da reingesetzt, das Ding ist ja sonst ganz beige und grau, und da entsteht ein, wie wenn der ausspucken würde. Können Sie das sehen?"
Sehen kann der Besucher hier, wie Baumeister das reale Aztekenpaar, eine weibliche und männliche Statuette aus seiner Sammlung, in abstrakte Kringel, Dreiecke und wie Schriftzeichen anmutende Striche übersetzte, die er mit Spachtel, Pinselstiel oder einem Kamm in den Untergrund ritzte. Die dreieckige Kopfbedeckung der Frau übersteigert er zum Spitzdach, von der männlichen Figur übernimmt er die weit gespreizten Beine. Und die roten, wie hingetupften Flecken geben dem Bild eine rätselhafte Dynamik.
Die Figuren können ja auch fast statuarisch sein. Und jetzt erst – wumms – geht der nach links!
Ein Film von 1954 in der Ausstellung zeigt Baumeister: rundgesichtig, stämmig, mit Schiebermütze und dicken Brillengläsern.
Spielmann: "Er war ruhig, sehr ruhig, sehr ausgeglichen, außerordentlich freundlich, sehr humorvoll und witzig, war seinem Weltbild völlig gewachsen, aber er intellektualisierte nicht. Sondern war jemand, der aus der Anschauung lebte."
Das Erste und das Letzte ist in dieser Ausstellung dicht beieinander. Die frohen, von hellem Blau und Rot dominierten Eidos-Bilder von 1939 thematisieren die Entstehung des Lebens. Lappige Formen wie Amöben oder Geisseltierchen wachsen dem Licht entgegen. Und an der gegenüberliegenden Wand hängt als Bild und steht als Holzskulptur das Aru, jene große schwarze Form, die an ein chinesisches Schriftzeichen erinnert, aber zugleich wie eine Figur mit dicken Armen und Beinen wirkt. Vielleicht fälschlich als Todeszeichen gedeutet, weil es auf Baumeisters letzten Bildern auftaucht. Er starb ganz unerwartet mit 66 Jahren vor der Staffelei. Bewusst hat Baumeister nicht nach Endpunkten gesucht, sondern stets nach den Anfängen. Des Lebens und der Abstraktion.
Baumeister: "Das beginnt schon bei Cezanne. Cezanne hat eine Skizze zum Bild erhoben. Und hat das nicht mehr so ausgepimpelt. Sondern hat also den Strich stehen lassen. Und die Erregung erfolgt deshalb, weil das ein Wald sein könnte. Man sieht aber, es sind Pinselstriche."
Die Ausstellung "Willi Baumeister - Figuren und Zeichen" ist vom 31.August bis zum 30.Oktober im Bucerius-Kunstforum zu sehen, der Katalog kostet 24,80 Euro.