Abstimmung über Enthornungen bei Kühen in der Schweiz

Die Tiere anpassen oder die Haltungsbedingungen?

Eine enthornte Kuh: "Das ist eigentlich eine Amputation eines Körperglieds", sagt Tierschutz-Professor Hanno Würbel.
Eine enthornte Kuh: "Das ist eigentlich eine Amputation eines Körperglieds", sagt Tierschutz-Professor Hanno Würbel. © picture alliance/KEYSTONE
Hanno Würbel im Gespräch mit Shanli Anwar · 24.11.2018
Nur noch jede vierte Kuh in der Schweiz hat Hörner. Wissenschaftler Hanno Würbel sagt, Hörner seien wichtig - aber in engen Ställen auch gefährlich. Es brauche nicht nur andere Haltungsbedingungen.*
Shanli Anwar: Unsere Nachbarn in der Schweiz stimmen morgen ab über die sogenannte Hornkuh-Initiative. Mittlerweile hat nur noch jede vierte Kuh in der Schweiz Hörner. Manche sind schon hornlos gezüchtet, viele wurden enthornt. Und die Frage ist jetzt, sollen Schweizer Bauern Sonderzahlungen bekommen, Anreize, wenn sie ihren Kühen die Hörner lassen. Darum geht es in der Hornkuh-Initiative, die von Bundesrat und Parlament abgelehnt wird. Aber die Initiatoren sind überzeugt, mit der Vorlage punkten zu können.
Über ihre Argumente, warum Kühe ihre Hörner brauchen, habe ich mit dem Mann gesprochen, der seit sieben Jahren die erste Professur für Tierschutz in der Schweiz innehat. Hanno Würbel von der Vetsuisse-Fakultät in Bern. Hallo!
Hanno Würbel: Hallo!
Anwar: Was spricht denn für die Hörner bei Kühen? Welche Funktion haben sie?
Würbel: Hörner sind natürlich Teil der Kuh. Das heißt, die gehören zu dem Tier dazu. Es ist auch nicht so, dass das wie Haare oder Fingernägel unbelebt ist, sondern Hörner sind durchblutet. Das heißt, wenn Hörner weggemacht werden, dann ist das eigentlich eine Amputation eines Körperglieds. Und diese Hörner dienen natürlich verschiedenen Funktionen. Zum einen sind sie wichtig für die Kommunikation zwischen den Tieren. Wenn eine Kuh droht, dann gehören diese Hörner mit dazu. Sie benutzen sie auch, um sich selbst zu kratzen. Und insofern fehlt etwas, was elementar zum Verhalten dieser Tiere mit dazugehört.

"Der Eingriff ist schmerzhaft"

Anwar: Rund 200.000 Kälber, so lauten die Schätzungen, verlieren in der Schweiz pro Jahr ihre zarten Hörner. Die werden weggebrannt, weggeschnitten. Der Initiator dieser Abstimmung, der Bergbauer Armin Capaul, spricht davon, dass trotz Betäubung das Ganze ein schmerzhafter Prozess sei. Kann man das so pauschal sagen?
Würbel: Das kommt natürlich schon auf das Verfahren drauf an. Grundsätzlich ist es so, dass das schmerzhaft ist. Da kann man allerdings bei der Enthornung selbst natürlich mit Anästhesie und auch mit Schmerzbehandlung dagegen einwirken. Das heißt, es ist grundsätzlich möglich. Die Frage ist dann, inwieweit die Wunde beziehungsweise auch das fehlende Horn im Sinne eines Phantomschmerzes zum Beispiel weiterhin bestehen bleibt, das heißt, ob den Tieren anhaltende Schmerzen verursacht werden, oder ob nur der Eingriff selbst schmerzhaft ist. Dass der Eingriff selbst schmerzhaft ist, ist unbestritten. Aber wie gesagt, weil man das durch Anästhesie und Schmerzbehandlung beeinflussen kann, ist natürlich die entscheidende Frage dann auch, inwieweit das weiterhin schmerzhaft bleibt. Und da ist die Datenlage nicht so eindeutig.
Anwar: Jetzt sprechen wir immer über das Wohlergehen der Tiere. Ist das denn auch der Kern der Initiative?
Würbel: Eben nicht nur. Und das ist ganz entscheidend, weil in der Schweiz nach Tierschutzgesetz nicht nur das Wohlergehen von Tieren geschützt wird, sondern ebenso ihre Würde. Und diese Würde beinhaltet natürlich Schmerzen, Leiden, Schäden. Das heißt, das sind Belastungen, die auch die Würde der Tiere tangieren. Aber eben nicht nur, sondern unter anderem eben auch, wenn tiefgreifend in das Erscheinungsbild oder die Fähigkeiten von Tieren eingegriffen wird. Und jetzt ist ja durchaus eben das Enthornen von Rindern oder auch das hornlose Züchten von Rindern, das greift natürlich nicht nur ins Erscheinungsbild, sondern auch in die Fähigkeiten, das heißt in biologische Funktionen dieser Tiere ein. Und ich denke, bei dieser Initiative geht es sehr stark auch um den Aspekt, wie wollen wir die Tiere haben, und wie weit sind wir bereit, die Tiere an die Haltungsbedingungen oder an ökonomische Gegebenheiten anzupassen, statt umgekehrt Haltungsbedingungen zu schaffen, die den Tieren gerecht werden.

Gefährliche Unfälle durch Hörner

Anwar: Schauen wir uns die Argumente der Gegenseite an. Was spricht denn für die hornlose Kuh?
Würbel: Für die hornlose Kuh spricht einzig und allein, dass sie leichter zu halten und leichter zu managen ist. Das heißt, die Tiere können auf weniger Raum gehalten werden, weil obwohl es zwar zu Auseinandersetzungen kommt, zu Kopfstößen, Kopfschlagen, sind diese Auseinandersetzungen natürlich weniger gefährlich für die Tiere. Das heißt, es kommt zu weniger Verletzungen, und nicht nur zwischen den Tieren, sondern auch gegenüber den Tierhaltenden, dem Landwirt, der Tiermedizinerin. Das heißt, es kann zu Unfällen kommen, wenn die Tiere Hörner tragen, und die können dann auch durchaus eben gefährlich oder halt verletzungsträchtig sein.
Anwar: Und um das dann im Grunde zu verhindern, müsste man die Haltung auf größeren Flächen managen, und das wäre teurer?
Würbel: Genau. Und das ist ein bisschen das Problem, dass das unklar ist. Weil diese Initiative verlangt ja einfach Zuschüsse für Landwirte, die eben die Hörner dran lassen, also behornte Tiere halten. Die Frage ist ein bisschen, wie sich das dann auf das Tierwohl auswirkt. Weil wenn diese Tiere dann unter den genau gleichen Haltungsbedingungen gehalten werden, die eigentlich auf hornlose Tiere ausgerichtet sind, dann kann das durchaus auch zum Nachteil der Tiere gereichen, weil eben dann das Verletzungsrisiko möglicherweise ansteigt.
Anwar: Also kann man gar nicht so deutlich sagen, dass da so ein alter Konflikt sich auftut zwischen Tierwohl und profitorientierter Landwirtschaft?
Würbel: Es ist nicht ganz einfach. Man muss es differenzieren. Es ist ja schon so, dass grundsätzlich das Tierwohl der Tiere besser wäre, wenn sie die Hörner hätten, aber nur eben, wenn man dann auch entsprechend die Tierhaltung anpasst und den Tieren die Möglichkeit gibt, eben mit diesen Hörnern auch tiergerecht sich zu verhalten und dort zu leben. Wenn das aber nicht geschieht, dann kann es durchaus sein, dass es kontraproduktiv sich auswirkt auf die Tiere.

In der Werbung gibt es keine hornlosen Kühe

Anwar: Welche Rolle spielen denn bei dem ganzen die Verbraucher und das Konsumverhalten?
Würbel: Das ist natürlich ein hochemotionales Thema. Und was ja interessant ist, ist, dass die Erzeuger, die haben ja noch nie in irgendeiner Werbung eine hornlose Kuh gezeigt. Das heißt, wenn Produkte angepriesen werden, sei das Fleisch oder Milch, die Kühe, die dort abgebildet sind, die tragen selbstverständlich Hörner, obwohl der allergrößte Teil aller Kühe in der Realität eben entweder enthornt oder hornlos ist. Und insofern ist das natürlich aus Verbrauchersicht schon ein emotionales Thema, das eigentlich hier die Initiative etwas aufgreift, was ja auch in der Vorstellung der Verbraucher natürlich mit diesen Tieren verbunden ist. Allerdings ist da zu sagen, dass die Verbraucherentscheidungen ja durchaus schizophren sind, in dem auf der einen Seite eben einem hohen Tierschutzstandard das Wort geredet wird, aber die Kaufentscheidungen in den Läden zeigen ein anderes Bild, weil dort wird dann oft auf eben möglichst billige Produkte zurückgegriffen. Und dieser ökonomische Druck führt natürlich dazu, dass das Tierwohl als erstes leidet.
Anwar: Und mit dem Ganzen im Blick, was glauben Sie, wie wird es morgen dann ausfallen, die Abstimmung?
Würbel: Es wird sicherlich eng werden. Anfangs war die Zustimmungsrate sehr hoch. Die geht dann aber im Lauf der Diskussionen zurück, weil da natürlich auch andere Argumente mit ins Spiel kommen, eben dass die ganze Geschichte nicht so einfach, nicht so eindeutig ist. Und dann kommt es oft zu pragmatischen Entscheiden. Im Moment sieht es nach einer sehr knappen Entscheidung aus, und ich bin mal gespannt, wie es rauskommt.
Anwar: Die Schweiz stimmt morgen über die Hornkuh-Initiative ab. Sollen Schweizer Bauern als Anreiz Geld bekommen, wenn sie ihren Kühen die Hörner lassen? Dazu war das der Tierschutzprofessor Hanno Würbel. Ich danke Ihnen!
Würbel: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

* Wir haben einen faktischen Fehler im Teaser korrigiert.
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