Abstieg ins soziale Elend
Bekanntlich besteht die sogenannte bürgerliche Existenz nicht selten aus einer reinen Fassade. Erfüllung findet darin nicht jeder, und genau so ergeht es Emma, der Ich-Erzählerin von Maria Barbals neuem Roman.
In gesichertem Wohlstand in Barcelona lebend, mit einem Ehemann, der erfolgreich eine politische Karriere betreibt, einer Tochter, die sie zärtlich liebt, und einer helfenden, verständnisvollen Schwiegermutter, befindet sich Emma gleichsam in einem Wunschbild des bürgerlichen Daseins.
Aber sie ist eine zutiefst unbefriedigte Frau, und die sexuelle Komponente dieses Unbefriedigtseins ist nur einer der Aspekte ihres Gemütszustandes. Das Empfinden, nur eine notwendige Staffage, ein Kulissenelement im Lebens- und Arbeitsbauplan ihres Mannes zu sein, wiegt nicht weniger schwer.
Als ihr ein verführerischer junger Franzose Avancen macht, verfällt sie diesem Mann sofort. Es entspinnt sich deutlich mehr als eine Affäre, Emma vollführt eine radikale Geste. Sie zertrümmert ihre Fassaden-Existenz, verlässt ihre Familie und folgt dem Geliebten nach Marseille. Aber bald darauf zeigt sich, dass die große Liebe nur einseitig bestand, der Geliebte verschwindet nach kurzer Zeit.
Zurück in Barcelona, durchlebt sie einen gründlichen sozialen Abstieg, bis hin zur Obdachlosigkeit und einem Leben auf der Straße, weil ihre Familie den einmal vollzogenen radikalen Bruch nicht verzeihen will. Was dabei aus Sicht Emmas das einzig Schwerwiegende ist, ist das Kontaktverbot für ihre Tochter. Sie leidet darunter und schreibt einen tagebuchartigen Brief an ihre Tochter, aus dem dieser Roman besteht. Mit viel Sensibilität legt Maria Barbal in diesem Text neben den äußeren Hergängen das Innenleben ihrer Heldin nach und nach frei. Es ist natürlich ein Rechtfertigungstext, der aber vom Anerkennen der Grundschuld durch die Ich-Erzählerin immer unterlegt ist: Emma weiß, dass sie die unschuldige Liebe eines Kindes zu seiner Mutter verraten hat.
Nachdem Emma bei einem Anschlag auf ihren Schlafplatz an einem Geldautomaten nur knapp dem Tod entgangen ist, ordnen sich ihre Verhältnisse ein wenig, nicht zuletzt mit Hilfe ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter. Deren Motive sind freilich nicht ganz uneigennützig. Ein Journalist liegt bereits auf der Lauer, und Emmas Mann, inzwischen Spitzenkandidat seiner Partei für die bevorstehenden Wahlen, will verhindern, dass die Geschichte seiner Ehefrau an die Öffentlichkeit gelangt.
Sie zieht sich zurück in ein halbverfallenes Landhaus in der Nähe der Stadt, das ihr gehört, und beginnt, es herzurichten. Stück für Stück scheint sich ihr Leben zu normalisieren, als ein rätselhafter Brand ihr Haus vernichtet und ihrem Leben ein Ende setzt.
Maria Barbal verhandelt ihr geradezu klassisches Thema – trotz einiger Schwachstellen in der Erzählkonstruktion – mit großer Souveränität. Die psychologische Durchdringung ihrer Hauptfigur und die gewohnt klare und eindringliche Sprache verbinden sich zu einem großartigen Roman.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Maria Barbal: Emma
Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
Transit Buchverlag, Berlin 2009
156 Seiten, 16,80 Euro
Aber sie ist eine zutiefst unbefriedigte Frau, und die sexuelle Komponente dieses Unbefriedigtseins ist nur einer der Aspekte ihres Gemütszustandes. Das Empfinden, nur eine notwendige Staffage, ein Kulissenelement im Lebens- und Arbeitsbauplan ihres Mannes zu sein, wiegt nicht weniger schwer.
Als ihr ein verführerischer junger Franzose Avancen macht, verfällt sie diesem Mann sofort. Es entspinnt sich deutlich mehr als eine Affäre, Emma vollführt eine radikale Geste. Sie zertrümmert ihre Fassaden-Existenz, verlässt ihre Familie und folgt dem Geliebten nach Marseille. Aber bald darauf zeigt sich, dass die große Liebe nur einseitig bestand, der Geliebte verschwindet nach kurzer Zeit.
Zurück in Barcelona, durchlebt sie einen gründlichen sozialen Abstieg, bis hin zur Obdachlosigkeit und einem Leben auf der Straße, weil ihre Familie den einmal vollzogenen radikalen Bruch nicht verzeihen will. Was dabei aus Sicht Emmas das einzig Schwerwiegende ist, ist das Kontaktverbot für ihre Tochter. Sie leidet darunter und schreibt einen tagebuchartigen Brief an ihre Tochter, aus dem dieser Roman besteht. Mit viel Sensibilität legt Maria Barbal in diesem Text neben den äußeren Hergängen das Innenleben ihrer Heldin nach und nach frei. Es ist natürlich ein Rechtfertigungstext, der aber vom Anerkennen der Grundschuld durch die Ich-Erzählerin immer unterlegt ist: Emma weiß, dass sie die unschuldige Liebe eines Kindes zu seiner Mutter verraten hat.
Nachdem Emma bei einem Anschlag auf ihren Schlafplatz an einem Geldautomaten nur knapp dem Tod entgangen ist, ordnen sich ihre Verhältnisse ein wenig, nicht zuletzt mit Hilfe ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter. Deren Motive sind freilich nicht ganz uneigennützig. Ein Journalist liegt bereits auf der Lauer, und Emmas Mann, inzwischen Spitzenkandidat seiner Partei für die bevorstehenden Wahlen, will verhindern, dass die Geschichte seiner Ehefrau an die Öffentlichkeit gelangt.
Sie zieht sich zurück in ein halbverfallenes Landhaus in der Nähe der Stadt, das ihr gehört, und beginnt, es herzurichten. Stück für Stück scheint sich ihr Leben zu normalisieren, als ein rätselhafter Brand ihr Haus vernichtet und ihrem Leben ein Ende setzt.
Maria Barbal verhandelt ihr geradezu klassisches Thema – trotz einiger Schwachstellen in der Erzählkonstruktion – mit großer Souveränität. Die psychologische Durchdringung ihrer Hauptfigur und die gewohnt klare und eindringliche Sprache verbinden sich zu einem großartigen Roman.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Maria Barbal: Emma
Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
Transit Buchverlag, Berlin 2009
156 Seiten, 16,80 Euro