Abschied vom Zelluloid

Von Oliver Buschek · 16.10.2008
Bei Musik und Fotografie hat die Digitaltechnik ihren Siegeszug nahezu abgeschlossen. Aus der Welt des Kinos dagegen war die Analogtechnik bisher nicht wegzudenken. Doch so langsam scheinen die Tage von Filmspulen und Zelluloid gezählt.
Das "Kirschblüten-Hanami" ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Produktionen des Jahres 2008. Doch auch in anderer Hinsicht stellt der Film eine Ausnahmeerscheinung dar: Regisseurin Doris Dörrie hat ihn nämlich nicht auf Zelluloid gedreht, sondern mit digitalen Kameras - quasi mit der professionellen Ausgabe des Camcorders. Die Technik taugt mittlerweile auch für die Kinoleinwand und ist einem 35-Millimeter-Film mindestens ebenbürtig, sagt der Münchner Digitalfilm-Spezialist Gerhard Baier.

Baier: "Das können Sie fast nicht mehr unterscheiden. Wir haben schon Versuche gemacht in Kinos. Wir haben Leuten, die durchaus vom Fach sind, Filmstreifen gezeigt und nicht gesagt, was was ist vorher. Und es war relativ schwer, selbst für Fachpublikum, zu identifizieren: Was ist digital und was ist analog gedreht worden?"

Gerhard Baier zählt mit seiner Firma Band-Pro zu den Pionieren der sogenannten "digitalen Cinematografie". Er vertreibt Kameras und Objektive, veranstaltet Seminare und Ausstellungen und versucht Produktionsfirmen und Regisseure von den Vorzügen der Digitaltechnik zu überzeugen. Denn die gibt es in seinen Augen reichlich.

Baier: "Digital bin ich, wenn ich's richtig mache, schneller. Ich kann schneller mein Bild sehen, das ich habe. Ich muss nicht auf das Kopierwerk warten, bis ich es entwickelt habe, bis ich mir Muster ansehen kann. Die Systeme sind heute so gut, dass ich noch am Set quasi mein finales Endprodukt sehen kann. Und dort entscheiden kann, wenn alles heiß ist, wenn die Schauspieler da sind, ob ich's getroffen habe oder nicht, also ob ich noch mal drehe oder ob ich's habe. Das kann ich mit der klassischen Filmtechnik nicht machen."

Beim Fernsehen hat die Digitaltechnik schon längst das Zelluloid ins Abseits gedrängt. Inzwischen werden auch immer mehr Sendungen, vor allem Dokumentationen, in High-Definition produziert - also mit Kameras mit besonders hoher Auflösung. Nur beim Kino halten sich viele Produzenten und Regisseure lieber ans Altbewährte. Das hat auch mit Gewohnheit zu tun, erklärt der High-Definition-Fachmann Martin Kreitl.

Kreitl: "Beim Film lege ich ne Rolle ein, der Film hat eine Empfindlichkeit, stelle ich die ASA-Zahl ein, und dann kann sich der Kameramann auf die Belichtung und auf die Schärfe konzentrieren. Kann praktisch seinen Bildinhalt wählen, kreativ. Bei Digitaltechniken ist es meistens so, dass ich mich natürlich mit technischen Dingen auseinandersetzen muss, dass ich plötzlich irgendeine Gammakurve programmieren oder mich mit der Farbmatrix der Kamera auseinandersetzen muss und viele Kameraleute haben einfach Angst, dass sie dadurch den Blick aufs Bild verlieren."

Nicht nur bei den Kameras am Set - auch in den Kinos hält zaghaft Digitaltechnik Einzug. In manchem Vorführraum weicht das vertraute Surren des Projektors dem Brausen eines Computer-Lüfters. In den Münchner Forum-Kinos zum Beispiel, gleich neben dem Deutschen Museum, wurden die klassischen Projektoren bereits ausrangiert. Stattdessen stehen hier kühlschrankgroße Geräte: Kombinationen aus Computer und großformatigem Video-Beamer. Der Filmvorführer legt hier keine Spulen mehr ein, sondern ruft an einem Bildschirm Daten ab, die vom Filmverleih geliefert wurden, erklärt Kinoleiter Michael Kühnle.

Kühnle: "Wir bekommen externe Festplatten geschickt. Auf diesen Festplatten sind Datenmengen bis zu 200 Gigabyte im komprimierten Bereich drauf. Diese Daten überspielen wir dann auf unseren Server hier für den Projektor selber. Danach wird ein zweiter Freischaltcode per E-Mail verschickt und erst mit diesem Freischaltcode kann der Film abgespielt werden."
Der Freischaltcode dient natürlich der Sicherheit. Schließlich soll nicht jeder, der zufällig oder mit krimineller Energie an die Daten kommt, den Film mir nichts dir nichts kopieren und womöglich ins Internet stellen können. Fast alle großen Verleihfirmen bieten ihre Produktionen statt auf Filmrolle inzwischen auch auf Festplatte an - allein schon weil das deutlich billiger ist. Für die Kinos dagegen bedeutet die Umstellung zunächst einmal hohe Investionskosten - weswegen die meisten Betriebe derzeit noch lieber beim Analogen bleiben. Doch Michael Kühnle vom Münchner Forum-Kino schwört auf die Vorteile.

Kühnle: "In erster Linie ist das natürlich ein ganz klarer Qualitätsunterschied. Die Kopie selbst ist am ersten Tag genauso gut wie am letzten Tag. Auch wenn ich einen Film ein halbes Jahr spiele, sieht er nach einem halben Jahr in der Vorstellung immer noch genauso aus wie am ersten Tag. Der nächste Punkt ist, dass wir auch innerhalb der Säle in Absprache mit den Verleihern und den Freischaltcodes wesentlich flexibler springen können, auch mit einer Kopie. Wenn ich jetzt einen Film habe wie "Chroniken von Narnia", der zweieinhalb Stunden läuft, kann ich den in diesem Saal hier um 15 Uhr beispielsweise starten, in einem anderen Saal um 16 Uhr 30, das alles mit einer Kopie."

Auch wenn in der Filmwelt die Digitalisierung langsamer voranschreitet als in anderen Medienbranchen: Über kurz oder lang wird der Tag kommen, an dem Zelluloid und Filmspulen nur noch in Nischen zu finden sind. Ob durch Computertechnik auch die Filme besser werden ist eine andere Frage. Digital-Pionier Gerhard Baier sieht zumindest neue Chancen.

Baier: "Ich freu mich darauf, dass wir wesentlich mehr Vielfalt hoffentlich in den Kinos haben werden. Weil Filmemachen für mehr Leute einfach möglich ist. Das geht ja runter bis zum Regionalprogramm. Also so wie es Bürgerfernsehen gibt, ist es ja durchaus vorstellbar, dass es auch Bürgerkino gibt. Stadtteilkino. Man kann es zuschneiden auf die Region und muss nicht immer nur vom großen Blockbuster sprechen."