Abschied vom Steinkohlebergbau

Damals – als unter den Kumpeln Koreaner waren

Ehemalige Zeche Sterkrade, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Ruhrgebiet, Oberhausen
Die alte Zeche Sterkrade in Oberhausen. Sie wie auch der Steinkohlebergbau sind in wenigen Tagen Geschichte. © pictures alliance/dpa/blickwinkel
Von Martin Hyun · 17.12.2018
Mit der symbolischen Übergabe der letzten geförderten Kohle an den Bundespräsidenten endet in wenigen Tagen der Steinkohlebergbau in Deutschland. Für Publizist Martin Hyun geht damit auch ein persönliches Kapitel zu Ende: Sein Vater war einer der Kumpel.
Die "beruflichen Kenntnisse der koreanischen Bergarbeiter zu erweitern und zu vervollkommnen", das war dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Korea zufolge Ziel des Programms zur Beschäftigung koreanischer Bergarbeiter im westdeutschen Steinkohlenbergbau.
Vor 55 Jahren in der Weihnachtswoche 1963 kamen 243 koreanische Bergarbeiter in Deutschland an. Wie vor ihnen die Polen, Italiener, Türken hämmerten nun auch die Koreaner 800 Meter unter der Erde nach dem Stoff, der das deutsche Wirtschaftswunder befeuerte.
Mein Vater betrat mit weiteren 141 Landsmännern im Dezember 1970 deutschen Boden und fuhr danach in der Zeche Osterfeld in Oberhausen ein – Markennummer 3591. Er hatte sich sein Leben anders vorgestellt, wollte studieren und bei einer Bank arbeiten. Jahrgang 1939, hatte er die japanische Besatzung des Landes miterlebt. Im hier so genannten Korea-Krieg verlor er seinen Vater und die Mutter allein konnte kein Studium finanzieren.
Desillusioniert wie viele andere seiner Generation folgte mein Vater dem Ruf aus Deutschland. Fortan war sein Leben von Knochenarbeit in dunklen Kohleschächten geprägt.

Anfängliche politische und kulturelle Ablehnung

Die Koreaner waren vom Anwerbestopp 1973 nicht betroffen, weil ihre Anwerbung als technische Entwicklungshilfe definiert und weil die mächtige Ruhrkohle AG großes Interesse an weiteren koreanische Bergarbeitern hatte.
Sie erklärte erfrischend direkt, "dass sie ausschließlich für den Kohlenabbau in steilgelagerten Flözen eingesetzt werden. Wegen der dort noch überwiegend vorherrschenden Handarbeit und der geringen Flözmächtigkeiten sind besonders handwerkliche Befähigungen und eine erhöhte körperliche Wendigkeit unabdingbare Eignungsvoraussetzungen. Diese Arbeitskräfte sind leider vom heimischen Arbeitsmarkt nicht zu bekommen."
Der Vater von Publizist Martin Hyun liegt mit Anzug und Krawatte auf einem schmalen Bett.
Angekommen in Deutschland: der Vater von Publizist Martin Hyun.© Hyun
Die Anwerbung koreanischer Bergarbeiter war auf Grund der kulturellen Ferne keine gewollte Migration seitens der Bundesrepublik. Und doch wandelte sich die anfängliche politische und kulturelle Ablehnung in wirtschaftliche Akzeptanz. Zwischen 1963 bis 1977 kamen rund 8000 koreanische Bergarbeiter nach Deutschland.
Von den 3920 zurückgekehrten koreanischen Arbeitern arbeiteten nur noch 260 Personen weiter im Bergbau. Die restlichen 3660 hatten sich mit den DM-Ersparnissen in Korea selbstständig gemacht zum Beispiel als Taxifahrer oder als Inhaber eines Geschäftes.
Das Ziel, "technische Entwicklungshilfe" und "berufliche Kenntnisse der koreanischen Bergarbeiter zu erweitern und zu vervollkommnen", wurde damit gänzlich verfehlt.

Wechsel vom Arbeiter zum Akademiker

In Korea verehrt man die einstigen koreanischen Gastarbeiter als Helden, in Deutschland wird diese Migrationsgeschichte kaum wahrgenommen, obwohl sie auch eine Erfolgsgeschichte ist. Die Koreaner haben sich "lautlos" in die Gesellschaft integriert. Kaum eine andere Migrantengruppe hat es geschafft binnen einer Generation den Wechsel vom Arbeiter zum Akademiker zu vollziehen.
Mit der Schließung der letzten Zeche im Ruhrgebiet endet auch für sie eine Ära. Eine gewaltige Integrationsmaschine stellt ihren Dienst ein. Sie war Fluch und Segen zugleich und hat viele Menschen verschlissen.
Der Beitrag der Koreaner hat es verdient in der Öffentlichkeit, prominenter behandelt und wahrgenommen zu werden. Auch als "Mustermigrantenkind", das immer wieder auf undurchdringbare Mauern stößt, fühle ich mich verpflichtet, diese Geschichte am Leben zu erhalten. Glück auf!

Martin Hyun wurde 1979 Krefeld geboren. Er ist Sohn koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie International Relations in den USA und Belgien. Er war der erste koreanisch-stämmige Bundesliga-Profi in der Deutschen Eishockey-Liga sowie Junioren-Nationalspieler Deutschlands. Seit 1993 ist er glücklicher deutscher Staatsbürger. Er bereitete zuletzt als technischer Direktor die Eishockey-Spiele der Olympischen Winterspiele 2018 vor. Soeben erschein sein Buch "Gebrauchsanweisung für Südkorea".

© Martin Hyun
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