Abschiebung statt Ausbildung

Wie Bayern die eigene Integrationspolitik unterläuft

"Ausbildung statt Abschiebung" steht am 01.06.2017 in München (Bayern) während einer Demonstration auf einem Schild. Die Demo der SPD Bayern und Bellevue di Monaco trägt das Motto «Keine Abschiebung nach Afghanistan». Anlass waren die Tumulte um die geplante Abschiebung eines jungen Afghanen an einer Berufsschule in Nürnberg.
"Ausbildung statt Abschiebung" steht in München während einer Demonstration auf einem Schild. © picture alliance / dpa / Alexander Heinl
Von Tobias Krone · 03.07.2017
Die bayerische Asylpolitik ist voller Widersprüche: Zwar hat das Bundesland Bayern flächendeckend Integrationsklassen eingeführt, um junge Geflüchtete für eine Ausbildung und den Arbeitsmarkt fitzumachen. Allerdings schützt der Schulbesuch nicht vor Abschiebung.
"In Deutschland habe ich viel Stress. Vor meiner Abschiebung."
Omid lächelt gequält, er weiß, wie sich eine Abschiebung anfühlt. Der Afghane sitzt in einem Raum, irgendwo in Bayern. Wäre Ende Mai nicht eine Bombe vor der deutschen Botschaft in Kabul explodiert – er wäre längst in Afghanistan. Omid sitzt bereits im Abschiebeknast, als sein bester Freund Aftab in der Unterkunft einen Anruf erhält:
"Plötzlich hat meine Anwältin angerufen – und sie hat mir erzählt, dass der Flug abgesagt ist. Ich war ein bisschen glücklich, dass er wieder zu uns gekommen ist."

Angst vor dem nächsten Polizeieinsatz

Aftabs Arme sind mit einem gleichmäßigen Muster an Ritz-Narben übersäht, man sieht ihm die Sorge um den Freund an. Beide haben Angst davor, dass vor Omids Zimmertür bald wieder Polizisten stehen. So wie sie es ihm angedroht hatten, als sie ihn zurückbrachten, wir kommen wieder:
"Ich habe kein Schlafen in meinem Zimmer. Ich gehe in mein Zimmer und jetzt habe ich Angst, dass jetzt Polizei kommt und macht, dass ich zurück nach Afghanistan muss."
Omid und Aftab heißen in Wirklichkeit anders, ihre echten Namen sollen die Behörden nicht erfahren. Eigentlich besuchen sie die Berufsintegrationsklasse der örtlichen Berufsschule:
"Meine Klasse ist gut, und viele Leute viele Lehrer sind nette Lehrer und sagen: Du musst in die Schule kommen, warum kommst du nicht?"

Zum erfolgreichen Lernen zu nervös

Doch oft sind sie zu nervös, um erfolgreich zu lernen. Sie können sich einfach nichts mehr merken, sagt Omid.
"Ja, ich weiß, ich muss Deutsch lernen, aber jetzt habe ich viel Stress. Und ich lerne Deutsch – morgen ist alles weg."
Für Omid ist auch die Schule kein sicherer Ort mehr. Bevor die Polizisten ihn zu Hause abholten, um ihn abzuschieben, hatten sie in der Schule angerufen, ob er dort sei. Omid wäre aus dem Unterricht abgeschoben worden – wäre er dort gewesen. Eine Praxis, die die Widersprüche der bayerischen Asylpolitik zeigt: Auf der einen Seite tut Bayern viel, um junge Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auf der anderen Seite erwartet die Absolventen der Berufsintegrationsklassen oft entweder die Abschiebung oder keine Ausbildung, obwohl sie eigentlich eine absolvieren könnten.
Das Ende der großen Pause in der städtischen Schule für Berufsintegration in München-Ramersdorf. Lehrerin Marion Groß beginnt den Deutsch-Unterricht:
"Also, ich wünsche euch einen schönen guten Morgen."
"Guten Morgen, Frau Groß!"
"Könnt ihr euch einmal setzen. Kleine Information für euch. Nächste Woche Donnerstag ist unsere mündliche Schulaufgabe."
Eine Anfänger-Klasse. Zu Beginn der Stunde stellen sich einige vor, wie dieser Iraker.
"Meine Muttersprache ist Kurdisch und Arabisch und ich kann ein bisschen Deutsch und Englisch auch ein bisschen. Und mein Ziel ist eine Ausbildung zu machen und eine Arbeit zu finden."

Abschiebungen von Integrationsschülern

Weil es den meisten jungen Geflüchteten an Deutschkenntnissen fehlt, hat das Bundesland Bayern flächendeckend Integrationsklassen eingeführt, mit Sprachunterricht und Praxiskursen, zwei Jahre lang. Klaus Seiler leitet die Integrationsschule in München-Ramersdorf:
"Wir haben jetzt angefangen vor sechs Jahren mit vier Klassen. Jetzt haben wir inzwischen 43. 760 Schüler so in etwa."
Die Polizei ist noch nicht in die Schule gekommen, um einen Schüler abzuschieben. Doch Abschiebungen von zu Hause sind an der Tagesordnung.
"Wenn alle wissen, der ist abgeholt worden. Dann kriegen die anderen auch die Panik und sind frustriert und reagieren teilweise psychosomatisch mit auch Anfällen, die heftig sind. Wir haben schon einige erlebt hier."
Auch wenn Innenminister Joachim Herrmann angekündigt hat, Schüler nur in Ausnahmefällen aus dem Unterricht abschieben zu wollen – klar ist hier allen, dass Schule nicht vor Abschiebung schützt. Frustrierend ist das, auch für diejenigen, die sich viel von den jungen Menschen erhoffen. Wie zum Beispiel die Handwerkskammer Oberbayern-München, die um jeden Auszubildenden ringt.
"Wenn man interessiert ist, Betriebe zu finden, die jetzt noch Stellen anbieten für das Lehrjahr – da sind meist immer über 2000 Stellenangebote drin. Und wenn man jetzt speziell auch von geflüchteten Menschen spricht, die erst seit kurzem hier sind, beziehungsweise seit zwei drei Jahren in Schulen und berufsvorbereitenden Maßnahmen sind, diese dann auch bald beenden, kann man hier schon gut ansetzen."
Christoph Karmann ist Ausbildungsakquisiteur der Handwerkskammer. Er soll zusammen mit drei Kollegen dafür sorgen, dass Geflüchtete in einem Handwerksbetrieb eine Lehre machen. Das erfordert gründliche Beratung und Vorbereitung. Erst Deutsch auf der Berufsintegrationsschule, dann Ausbildung mit Berufsschule. Dann arbeiten. Jedem im Münchner Klassenzimmer ist dieser Karriereweg längst klar.
"Und meine Ziele sind, erstmal einen Abschluss machen und dann einen Lehrstelle finden."
"Mein Ziel ist einen guten Abschluss machen – und gut deutschzusprechen. Und dann arbeite ich als Krankenschwester."

Verweigerungshaltung der Ausländerbehörden

Wäre das nur so einfach. Eigentlich dürfen auch abgelehnte Asylbewerber nach der Berufsintegrationsschule eine Lehre anfangen – und dann fünf Jahre in Deutschland bleiben. So ist es in der sogenannten 3+2-Regel festgeschrieben. Einigen Schülern wird sie jedoch verweigert, weil die Ausländerbehörden ihre Bleibeperspektiven als zu gering erachten.
Jay stammt aus dem Senegal. Die sprachliche Integration klappte reibungslos. Gerade schreibt er an der Berufsintegrationsschule seine Prüfungen für den höherwertigen qualifizierten Hauptschulabschluss. Die Praktika verliefen erfolgreich.
"Und ich konnte auch viele Verträge unterschreiben. Aber ich habe nur einen geschrieben, die anderen konnte ich nicht, weil die haben über meine Situation gehört – und die wussten: Es wird zu schwierig für mich."
Ein Elektromarkt setzt weiterhin auf Jay, und wartet darauf, dass er seine Ausbildungserlaubnis bekommt und anfangen kann. Viele Betriebe würden Geflüchtete einstellen, wenn die Behörden sie ließen, sagt der stellvertretende Schulleiter Eric Fincks.
"Da können wir auch sagen, dass wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben, weil die Betriebe, wo unsere Leute im Praktikum sind, uns sehr, sehr positive Rückmeldungen geben, ihnen auch häufig gern einen Ausbildungsplatz anbieten und es auch tun – dann selbst aber genervt sind, wenn die Ausbildungserlaubnis nicht erfolgt –und möglicherweise in Zukunft davon absehen, unseren Schülerinnen und Schülern einen Ausbildungsplatz anzubieten. Das ist natürlich eine Krux an dem Ganzen."

Unsicherheit bei fast allen Beteiligten

Die Staatsregierung sagt, es gebe keine Zahlen zu verweigerten Ausbildungserlaubnissen, viele seien es nicht. Doch es reicht, um Schüler und Schulen in Unsicherheit zu stürzen.
"Die wollen dann nicht mehr in die Schule gehen, und dann sagen wir mal dank des Engagements der Lehrkräfte, sagen die: Komm in die Schule, zieh das durch, du kannst es mit Sicherheit brauchen. Die motivieren sie wirklich sehr stark. Das geht aber auch an die Substanz von Lehrkräften, weil die ständig mit diesen Problemen beschäftigt sind.
So gehen dann beide Seiten leer aus: Geflüchtete, die keine Ausbildung bekommen. Und Arbeitgeber, die keine Auszubildenden finden.
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