Ablehnung einer religiös dominierten ägyptischen Gesellschaft

Von Christoph Burgmer · 11.12.2011
Nagib Machfus ist der einzige arabische Schriftsteller, der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. In seinem Werk beschreibt er die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Ägypten des 20. Jahrhunderts. Politisch ergriff er immer wieder Partei für die kleinen Leute. Am 11. Dezember 1911 wurde er geboren.
"Extremistischen Gedanken hat es in unserer Gesellschaft schon immer gegeben. Ich habe sie als Kind schon in Zeitschriften gelesen und von Islamisten gehört. Damals wollten sie die Musik verbieten, die Mädchen vom Studium auf der Universität ausschließen und viele Freiheiten einschränken. Alle diese Ansichten, die wir auch heute wieder hören, hat es schon damals gegeben."

Wer in den 90er-Jahren in die Wohnung von Nagib Machfus eingeladen wurde, musste sich geehrt fühlen. Denn der bis heute einzige arabische Literaturnobelpreisträger war aufgrund seines Alters nicht nur stark seh- und hörbehindert. Er litt außerdem massiv unter den Folgen eines Mordanschlags islamischer Fundamentalisten. So wurde man im populären Kairiner Stadtteil Agouza von einer Krankenschwester empfangen, die einen zu dem unter Polizeischutz stehenden Machfus geleitete.

"Der Unterschied besteht jedoch darin, dass islamistische Ideen weniger verbreitet gewesen sind, da Vorstellungen von Demokratie und Freiheit und die Gedanken der Moderne in der damaligen Gesellschaft stärker verankert waren. Islamistische Vorschläge sind damals nicht ernst genommen worden, man hat sich eher über sie lustig gemacht."

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Zeit des arabischen Aufbruchs, die Suche nach einem Weg, islamische Traditionen an die Anforderungen der westlichen Moderne anzupassen. Als siebtes und jüngstes Kind wurde Nagib Machfus am 11. Dezember 1911 in Kairo geboren. Es war kein Widerspruch, dass der junge Machfus streng religiös erzogen wurde, seine Mutter ihn jedoch täglich in öffentliche Bibliotheken schickte, wo er sich von Schriftstellern wie Proust, Kafka und Joyce beeindrucken ließ. Nach dem Philosophiestudium entschied er sich dazu, Schriftsteller zu werden. Als dann 1953 Gamal Abdel Nasser in einem revolutionären Putsch die Macht am Nil ergriff, unterstützte Machfus dessen panarabische und sozialistische Politik. Er hatte seine berühmte Kairo-Trilogie beendet, in der er auf über 1500 Seiten einfache Menschen in einem populären Kairiner Viertel eben genau diesen gesellschaftlichen Wandel erleben ließ. In Nasser sozialistisch geprägtem Ägypten entdeckte Machfus dann die Möglichkeiten des Kinos. Er wirkte an vielen Drehbüchern seiner Romane selber mit. Und wurde damit erst für viele Ägypter bekannt.

"Ich habe es sehr begrüßt, dass viele meiner Romane verfilmt wurden, wie groß auch die Änderungen waren, die im Film vorgenommen wurden. Mindestens die Hälfte der Ägypter sind Analphabeten, die meine Geschichten nie hätten lesen können. Aber heute kennen sie sie besser als die Intellektuellen."

Doch dem jetzt bekanntesten ägyptischen Autor wurde schnell das Minenfeld klar, auf dem er sich mit seiner Religionskritik und dem offenen Schreiben über Sexualität bewegte. Schon 1959 wurde sein Roman "Die Kinder unseres Viertels" wegen Blasphemie verboten. Erst 2006 wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. 1978 führten ihn dann die Muslimbrüder auf ihrer Todesliste. Der heute als Terrorist in den USA einsitzende Scheich Omar Abdul-Rahman forderte öffentlich die Ermordung Machfus, weil er den Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel begrüßt hatte. Seine Bücher wurden in allen arabischen Staaten verboten.

"... Fernsehen, die Schule und die Familie beteiligen. Wir müssen das Rad des Fortschritts schneller drehen, sowohl in der Wirtschaft als auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Korruption. Nur so wird Ägypten den Engpass des Flaschenhalses überwinden können, in dem das Land steckt und an der neuen Welt teilhaben können, von der alle sprechen. Eine wichtige Bedingung dafür ist der Frieden zwischen Israel und den arabischen Staaten."

Trotz permanenter Bedrohung lehnte Nagib Machfus eine religiös dominierte ägyptische Gesellschaft ab. Die Zukunft lag für ihn in der Emanzipation von korrupten Politikern und religiös begründeten Machtansprüchen islamischer Gruppen. Dafür musste der moderne arabische Autor politisch agieren, egal, ob in der Literatur oder in der Gesellschaft. Seine letzten Worte klingen wie eine Ermutigung für jene, die 2011 den "Arabischen Frühlings" ermöglichten:

"Es bleibt nur die Hoffnung. Vor allem in der letzten Zeit. Als wir begonnen haben, die Nachlässigen und Korrupten zur Rechenschaft zu ziehen, haben wir die Grundlagen für eine Erneuerung geschaffen. Es gibt jetzt ernsthafte Bemühungen, die politischen Probleme zu lösen. Jeden Tag gibt es neue demokratische Errungenschaften. Dies gibt mir Hoffnung."