"Abkehr vom Vertrauen in die Währung"

Thomas Macho im Gespräch mit Britta Bürger · 30.10.2012
Dass Sparbuch und Sparschwein aus der Mode kommen, sieht Thomas Macho nicht als Indiz für wachsenden Hedonismus: Andere Anlageformen seien wichtiger geworden. Der Philosoph bevorzugt das "gegenwartsorientierte Denken", denn Sicherheit bedeute nicht das höchste Lebensglück.
Britta Bürger: 1925 wurde er zum allerersten Mal begangen, der Weltspartag. Und auch heute werben die Sparkassen wie alle Jahre wieder um jeden, der sein volles Sparschwein dort abgibt. Aber macht das überhaupt noch jemand? Sind die Deutschen nicht gerade auf einem ganz anderen Trip? Nämlich dabei, ihr Geld mit vollen Händen auszugeben? Vollzieht sich da eine Art grundlegender Mentalitätswechsel? Darüber möchte ich jetzt mit dem Kulturwissenschaftler und Philosophen Thomas Macho sprechen. Ich grüße Sie, Herr Macho!

Thomas Macho: Ja, ich begrüße Sie herzlich, Frau Bürger!

Bürger: Haben Sie noch ein Sparschwein oder klassisches Sparbuch?

Macho: Nein, ich habe kein Sparschwein und ich habe auch kein Sparbuch. Allerdings hatte ich das auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht.

Bürger: Warum nicht?

Macho: Ich habe tatsächlich wenig Möglichkeiten gehabt, viel Geld zu sparen, und von daher haben sich auch Sparschweine und Sparbücher erübrigt. Ich habe sozusagen in lebende Werte investiert, in Kinder und deren Ausbildung und so weiter.

Bürger: Lange dachte man ja, die Deutschen hätten das Sparen zutiefst verinnerlicht, doch mittlerweile kann einem ja auch kein Sparkassenmitarbeiter mehr mit gutem Gewissen zum Sparbuch raten. Vermögensverwalter bezeichnen das klassische Sparen als reale Vermögensvernichtung. Was löst das in den Menschen aus, Herr Macho?

Macho: Ja, vermutlich eine Abkehr vom Vertrauen in die Währung. Man spart eben dann anders. Sparen ist ja als Haltung etwas, was auf die Anlegung von Vorräten zurückgeht, auf Vorratssammeln und dergleichen mehr. Und von daher kann man sagen, wenn das Geld nicht mehr etwas ist, was man sozusagen als Vorrat anhäufen kann, dann muss man das eben mit anderen Dingen tun. Und dann hängt das eben ein bisschen davon ab, wie viel Geld Sie auszugeben haben, ob Sie sich halt Silbermünzen und Goldbarren oder ob Sie ganze Häuser und Sachwerte wie Kunstwerke, Schmuck und dergleichen mehr kaufen. Aber das ist im Prinzip nichts anderes als sparen. Das ist halt nur eine Umschichtung von Geld, das unverlässlich geworden ist und wahrscheinlich auch immer irgendwie immer unverlässlich war, in Sachwerte.

Bürger: Man könnte auch sagen, das ist ein neuer Trend zum Hedonismus. Die Deutschen lernen gerade die Kunst der Verschwendung.

Macho: Das wäre ja schön, aber dann müssten die Zahlen vor allem darauf hindeuten, dass sie mehr tun, was mit Genuss zu tun hat, also zum Beispiel teuer Essen gehen und teure Reisen unternehmen. Ich habe eher das Gefühl, dass es in Richtung der Verlagerung auf zum Beispiel Immobilien und solche ähnlichen Akquisitionen geht, die ja nicht unbedingt mit Genuss zu tun haben müssen, sondern eher mit Sicherheit.

Bürger: Na ja, investiert wird auch in Kunst, in Schmuck, in Gold.

Macho: Ja, auch das sind alles Sicherheitswerte, nicht unbedingt primär Genusswerte. Also Genuss hat schon was zu tun auch mit dem – und Hedonismus mit Essen, mit Trinken, mit sich wohl fühlen. Also würden die Deutschen jetzt plötzlich sehr viel mehr Geld ausgeben für Aufenthalte in Wellness-Hotels, dann würde ich die Hedonismus-These schon eher glauben.

Bürger: So wie der französische Philosoph Georges Bataille das wollte. Er sah ja in der Verschwendung, darin, alles wie im Rausch auszugeben, die wahre Souveränität des Menschen. Ist das nicht ein Gedanke, der in die heutige Zeit passt?

Macho: Das ist ein Gedanke, der eigentlich in die heutige Zeit auch wieder passt, also Ökonomie der Verschwendung oder der Verausgabung, wie Bataille das nannte, war in der Tat ein Ideal und ist es vielleicht heute auch wieder. Wobei Verschwendung und Verausgabung natürlich auch etwas mit diesem Glück des Loswerdens zu tun haben kann. Das hatte Bataille durchaus vor Augen, der das ja eben auch in religiösen und religionsphilosophischen Kategorien des Opfers und der Aufgabe und des Verzichts denken konnte, aber eben eines genießerischen, eines fröhlichen Verzichts. Nicht eines Verzichts, der aus dem Unglück stammt und herrührt.

Bürger: Ja, aber eine schöne Villa zu besitzen, hat doch auch was mit Genuss zu tun?

Macho: Eine schöne Villa zu besitzen, hat was mit Genuss zu tun, aber ist ja nicht zwingend eine Wertanlage, sondern das ist etwas – natürlich, dort wo wir wohnen und wo wir zu Hause sind, sich schön zu gestalten, das hat was mit Genuss zu tun. Die Grundstückskäufe, die Waldkäufe, die Investitionen in Ackerland und dergleichen ist aber nun eben nicht, um dort jeweils immer zu wohnen, sondern vor allem halt, um eine sicherere Form der Anlage des eigenen gesparten Geldes zu finden. Und das unterscheidet uns nun nicht so sehr von den sparwilligen Bevölkerungen vergangener Jahrzehnte.

Bürger: Am heutigen Weltspartag sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Wie hat sich dieses Sicherheitsdenken, diese deutsche Mentalität des Sparens, wie hat die sich überhaupt entwickelt?

Macho: Ich denke, dass das ganz einfach auch Rahmenbedingungen sind, die weit zurückreichen und die was zu tun haben mit der Erfahrung nicht nur jetzt von den immer wieder gern zitierten und eben auch bei den großen Geschichtsphilosophen wie Herder und Hegel immer wieder in Anspruch genommenen klimatischen Verhältnissen, wo man sagt, na klar sind Völker, die im Norden leben, viel mehr bedroht von klimatischen Ereignissen, Missernten, strengen Wintern, die mit Hungersnöten und Seuchen einhergehen konnten, sozusagen vom Ritt der apokalyptischen Reiter. Es kann aber auch jenseits dieser klimatischen und geografischen Verhältnisse was zu tun haben mit den speziellen Erfahrungen etwas des Kriegs und der Unsicherheit, denen Deutschland im Laufe der mehrhundertjährigen Geschichte ja sehr oft ausgesetzt war. Denken Sie an den Dreißigjährigen Krieg und an die Verheerung wirklich ganzer Landschaften und Landstriche, die buchstäblich bis zum Letzten ausgeblutet waren. Solche Erfahrungen können einen schon dazu bringen, das Sicherheitsdenken etwas höher anzusetzen als den Freiheitsdurst.

Bürger: Und würden Sie sagen, es ist tatsächlich eine typisch deutsche Eigenschaft?

Macho: Ich glaube nicht, dass es eine typisch deutsche Eigenschaft ist. Ich glaube, dass das eine Eigenschaft von Völkern ist, die in dem Sinn eine, wie soll man sagen, auch ein Stück weit unglückliche Geschichte hatten und nicht immer nur begünstigt waren von Erfolgen und von Siegen und Triumphen und kollektiven Glückserfahrungen. Das kann man zum Beispiel auch an der Geschichte deutscher Feiertage studieren, die ja oft genug gewechselt haben und die selten so einen rein fröhlichen und ausgelassenen Charakter haben wie etwa der 4. Juli in den USA oder der 14. Juli in Frankreich.

Bürger: Wer spart, konsumiert weniger. Wer weniger konsumiert, der verbraucht weniger Ressourcen. Kann man also sagen, der Sparer leistet einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Ökonomie?

Macho: Das hat man immer gehofft und deshalb auch Geschichten erzählt von den großen Kapitalisten, die eben alle auch große Asketen waren. Und die ganze These von Max Weber, dass es ohne protestantische Ethik, das heißt ohne den Sparzwang, ohne die Askese, die in dieser Ethik eben auch verkörpert war, eben der Kapitalismus seine großen Erfolge gar nicht gefeiert hätte. Ich bin nicht so ganz sicher, ob das heute auch noch stimmt, ob nicht heute eben die andere Seite, die des Genießers, des Carpe Diem, dieses gegenwartsorientierten Lebens auch mehr Gewicht und mehr Bedeutung bekommen muss.

Denn die andere Seite des Sparens und des zukunftsbezogenen ängstlichen Aufhebens von Werten ist natürlich auch die Sorge vor den Schulden. Die Schulden sind sozusagen die Negativ-Vorräte, die man angehäuft hat. Und dieses Spiel zwischen Vorräten und dem, was man gerade noch hat und dem, was man irgendjemand schuldet, das ist natürlich auch bei Kulturen, in denen das Sparen besondere Bedeutung hat, sehr ausgeprägt.

Bürger: Ja, was sollte man seinen Kindern denn heute in punkto Sparen vermitteln?

Macho: Ich glaube, man tut gut daran, den Kindern zu vermitteln, dass Sicherheit ein hoher Wert, aber nicht der höchste Wert ist. Und dass sie von daher eben auch darauf achten müssen, dass sie ein bestimmtes Niveau von Lebensglück erreichen unabhängig davon, wie viel Geld sie jetzt auf dem Sparbuch liegen haben.

Bürger: Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch diejenigen, die gar nichts zum Sparen haben. Laut einer aktuellen Studie ist die Zahl dieser Menschen von 17 auf 25 Prozent der Bevölkerung gestiegen, das heißt, jeder vierte Bundesbürger hat gar kein Geld, das er zur Seite legen beziehungsweise in Gold bunkern kann. Müssen sich also immer mehr Menschen damit abfinden, ohne diese Sicherheit, ohne vorsorgendes Finanzpolster zu leben? Und wie verändert das auch das Selbstbild der Deutschen?

Macho: Würde diese Differenz noch stärker und spürbarer, dann würde sie ganz sicher auch das ... [nicht verständlich, Anmerkung der Online-Redaktion] sein, denn im Moment wird das ja noch von so was wie sozialstaatlichen Mechanismen ein Stück weit wenigstens korrigiert und aufgefangen. Aber in der Tat, die Grenzen zwischen Arm und Reich, die sind sehr … die werden immer empfindlicher spürbar und sind auch sozusagen etwas, was den Zusammenhalt und das Selbstbild einer Kultur betrifft, gefährlich. Das sind riskante Grenzen, wenn man so will. Weil ganz viele Lebensentscheidungen, ganz viele Elemente von dem, was man früher Weltbilder nannte, eben auch damit zusammenhängen, wie arm oder wie reich, wie viel Geld man hat oder ausgeben kann. Das hängt ja damit unmittelbar zusammen.

Bürger: Kritiker sagen, man müsste diesen Weltspartag heute eigentlich in einen Weltschuldentag umbenennen und den Menschen erklären, wie sie mit ihren Niedrigzinsanlagen die Finanzmärkte stützen. Ist der Weltspartag also ein Anachronismus?

Macho: In dieser Hinsicht ist er vielleicht ein Stück weit ein Anachronismus geworden, und es wäre so ein Weltschuldentag natürlich deshalb ganz schön, weil wir gelegentlich daran erinnern könnten und erinnern müssten, dass es zu den vornehmsten, schönsten und befreiendsten Erfahrungen der Vergangenheit gehört hat, Schulden wieder loszuwerden. Mechanismen der Entschuldung stehen im Zentrum nicht umsonst so vieler Religionen, aber auch emanzipatorischer Philosophien. Und an das sich zu erinnern, könnte nicht schaden.

Bürger: Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Er sieht in der neuen Lust am Geldausgeben nur eine andere Form, auf Sicherheit zu setzen. Ein Gespräch am heutigen Weltspartag. Danke Ihnen, Herr Macho.

Macho: Ich bedanke mich auch.

Bürger: Und dieses Thema wollen wir in der heutigen Hörerdebatte weiter diskutieren: Ist Sparen für Sie noch attraktiv? Das ist die Frage um zehn vor vier hier im Radiofeuilleton.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, aufgenommen während der Aufzeichnung der RBB-Talksendung "Im Palais" - Zu Gast bei Dieter Moor in Berlin.
Thomas Macho© picture alliance / dpa - Karlheinz Schindler
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