"Ein sehr US-fürchtiger Staat"
Im Fall Snowden wird Berlin nicht gegenüber Washington aufmucken, meint Heribert Prantl in der SZ. Dabei sind die USA moralisch längst bankrott - so Fritz Stern in der NZZ. Außerdem in den Feuilleton: Wortfunde und verstörende Musik.
Beschreiten wir zunächst mit der TAGESZEITUNG "Die wunderbaren Irrwege der Serendipidingsbums".
"Es gibt kein Wort, das ich so schlecht aussprechen oder aufschreiben kann wie Serendipität. Jedes Mal verdreht sich mein Gehirn und ich muss nachschlagen, ob es nun Serendipidität heißt oder doch nur Serendipität. […] Alles klingt falsch!",
klagt TAZ-Autor Michael Hake - auf hohem Niveau.
Denn Hand aufs Herz, liebe Hörer! Hätten Sie überhaupt gewusst, dass es in unserer Sprache einen Begriff gibt, der mit Serendi- beginnt - unabhängig davon, ob er auf -pität oder -pidität endet?
Wir selbst hatten keinen Schimmer und freuen uns umso mehr über diesen wahrhaft serendipitätischen Fund.
Denn Serendipität, um das Wort letztmalig zu gebrauchen, bezeichnet laut Wikipedia nichts anderes als "eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist."
Vielleicht teilen Sie nun unsere Wortfundfreude, liebe Hörer …
Wir aber konzentrieren uns auf die beruflichen Probleme von Johannes von Weizsäcker.
Der Kritiker der BERLINER ZEITUNG hatte sich im Heimathafen in Berlin-Neukölln die amerikanische Indierockband Warpaint angehört, fühlte sich nach dem Konzert indessen von aller Urteilskraft verlassen.
"Egal, unter welchen Gesichtspunkten betrachtet, wollte es keine erfassbare Meinung auslösen. Das ist verwirrend, ein wenig, als stünde man unter Schock und sei deswegen mit Hirnverdumpfungs-Psychopharmaka vollgepumpt worden: Gar nicht mal unangenehm, aber irgendwie auch gar nicht gut, da irgendetwas fehlt. Aber was? Richtig, die Meinung. Aber warum?"
Johannes von Weizsäcker findet bis zum Schluss keine plausible Antwort …
Anders jene Literatur-Exegeten, die sich anmaßen, aus jedem beliebigen Roman mithilfe der Theorien Sigmund Freuds und psychoanalytischem Sezierbesteck die Wahrheit über den Autor herausfinden zu können.
Der amerikanische Schriftsteller Louis Begley hält das für groben Unfug und wettert - anlässlich der Lektüre eines nicht näher bezeichneten Die-Wahrheit-über-Franz-Kafka-Buches - in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Hüten Sie sich vor dem Trugschluss, in der Dichtung liege die Wahrheit über den Dichter; hüten Sie sich, Erzählungen und Romane so zu lesen, als wären sie die verhüllte Autobiographie des Autors - eine Unsitte, die ungefähr so viel Sinn hat wie der Wunsch, beim Verzehren eines Omeletts in einem Drei-Sterne-Restaurant sehen zu können, wie der Koch aus dem Rührei wieder ganze Eier macht."
Nur so am Rande, lieber Louis Begley: Ein Omelett ist kein Rührei und Ihr Sprachbild kein Leckerbissen.
Der FAZ-Artikel ist übrigens die gekürzte Fassung der Rede, die Begley im Deutschen Literatur-Archiv zur Eröffnung der Ausstellung "Der ganze Prozess" gehalten hat.
Seinem Prozess um jeden Preis entgehen, das möchte der Whistleblower Edward Snowden. Und das könnte er ja vielleicht, wenn ihm Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis einräumen und dem dann zu erwartenden Auslieferungsbegehren der USA nicht nachkommen würde.
Folgt man der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und Heribert Prantl, hätte die Bundesregierung durchaus den nötigen rechtlichen Spielraum.
Die Ablehnung einer Auslieferung sei nämlich laut Artikel 4 des Auslieferungsvertrags von 1978 und dem Artikel 2 des ersten Zusatzvertrags dann möglich, "wenn es um politische Straftaten und Straftaten mit politischem Charakter geht".
Und eben das hält laut SZ auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages für möglich.
Prantl glaubt indessen nicht, dass Berlin gegenüber Washington nachhaltig aufmuckt, denn merke: "Die Bundesrepublik ist ein sehr US-fürchtiger Staat."
Dabei sind die USA moralisch bankrott - und wissen das laut Fritz Stern auch selbst ganz gut. Der Historiker diagnostiziert in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"‘Die Welt ist enttäuscht von Amerika - über den Verlust des Mythos von der führenden und freien Nation. Doch fast schlimmer noch ist die Enttäuschung im eigenen Land.‘" -
Und nun hoffen wir, dass dieser Freitag genauso wird, wie es eine TAZ-Überschrift verspricht - nämlich:
"Ein magischer Tag im November."