Abhängig vom Kupfer

Von Leonie March · 19.09.2012
Der Kongo ist reich an Bodenschätzen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in der Provinz Katanga die ersten Kupfervorkommen entdeckt. Die Bevölkerung brachte es zu Wohlstand. Jetzt hat der Betreiber einen Vertrag mit einer Firma geschlossen und die Stadt hofft wieder auf einen Aufschwung.
Das Gelände rund um die alte Kupfermine von Kipushi wirkt apokalyptisch. Eine Art Mondlandschaft. Kein Baum wächst hier, kein Busch, nicht einmal ein Grashalm. Stein- und Schotterhaufen so weit das Auge reicht. Verrostete Fördertürme und einsturzgefährdete Lagerhallen erinnern an eine vergangene Ära, als das staatliche Bergbauunternehmen "Gécamines" hier noch Kupfer und Zink förderte.

Heute graben ganze Familien auf eigene Faust nach den wertvollen Mineralien. Frauen und Mädchen bearbeiten mit Hämmern und Meißeln Steinbrocken, die ihre Männer und Väter aus ungesicherten Schächten an die Oberfläche bringen. In der prallen Sonne sitzen sie nebeneinander auf den Überresten eines Bahngleises oder hocken auf dem Boden. Neben ihnen spielen Kleinkinder im Dreck. Eine Mutter stillt ihr Baby. Was für Außenstehende kaum zu begreifen ist, gehört für die neunjährige Mishika zum Alltag. Ein mageres Mädchen, barfuss, in einem zerlumpten Kleid.

"Ich arbeite schon seit einem Jahr hier und zerkleinere Steine. Meine Eltern haben beide keinen Job. Deshalb müssen wir alle mit anpacken. Zwei meiner zwölf Geschwister arbeiten ebenfalls hier. Klar ist das anstrengend. Ich bin häufig müde, versuche aber trotzdem, so oft es geht, zur Schule zu gehen. Die Schulgebühren kann ich jetzt ja selbst verdienen. Meine Eltern könnten sie sich nicht leisten."

Mishika ist eines von schätzungsweise 150.000 Kindern, die in den Minen der Demokratischen Republik Kongo arbeiten. Rund um stillgelegte Bergwerke wie diesem und in unzähligen anderen Gruben des Landes fördern sie Kupfer, Kobalt, Gold und Diamanten, Coltan und Uran - um nur die begehrtesten Rohstoffe zu nennen.
Vom Kupferboom ist heute nicht mehr viel zu sehen. Die alten Fördertürme ragen wie Mahnmale im Herzen der Stadt auf. Drumherum drängen sich kleine Häuser aus selbst gebrannten Lehmziegeln, deutlich in die Jahre gekommene Gebäude der Kolonialzeit und provisorische Markstände. Frauen feilschen um Grundnahrungsmittel. Kassava, Maismehl und Erdnüsse. Halbverhungerte Hunde suchen im Müll nach Essbarem. Minibustaxis fahren Schlangenlinien um die unzähligen Schlaglöcher der Hauptstraße. Nach Einbruch der Dunkelheit stehen hier Prostituierte, viele von ihnen noch minderjährig. Armut und Arbeitslosigkeit sind unübersehbar. Dabei war das Leben hier einmal richtig gut, seufzt Jean-Jaques Banza, 49 Jahre alt, Familienvater aus Kipushi.

"Als ich anfing hier zu arbeiten, waren wir nicht nur bei Gécamines angestellt. Jedes Kind ging zur Schule und bekam dort sein Mittagessen. Für uns Arbeiter gab es eine Kantine, in der wir nach der Schicht auch mal gemeinsam entspannt ein Gläschen tranken. Das Gehalt wurde pünktlich zum Monatsende ausgezahlt. Dazu gab es ein Lebensmittelpaket für die Familie. Für alles war gesorgt. Es war ein schönes Leben."

Goldene Zeiten - Mit dieser Meinung ist Jean-Jaques Banza nicht allein. Viele Kongolesen scheinen in ihrer Nostalgie auszublenden, dass damals nicht alles wunderbar war. Im Gegensatz zu heute gab es zwar Arbeitsplätze und eine soziale Grundversorgung. Doch die Gewinne des Rohstoffreichtums flossen zuerst an die belgische Kolonialmacht und danach an Diktator Mobutu. Kurz nachdem er Mitte der 60er Jahre die Macht übernommen hatte, verstaatlichte er die Bergbauunternehmen, lenkte Milliardensummen auf seine Auslandkonten um, vernachlässigte Modernisierung und Instandhaltung der Betriebe.

Angesichts dieser ausufernden Korruption und Misswirtschaft sperrten Weltbank und Internationaler Währungsfonds 1993 die Kredite Mobutus. Im selben Jahr brach das Staatsunternehmen zusammen und mit ihm das Sozialsystem in Städten wie Kipushi.

Von rund 3000 Beschäftigten sind heute etwa 270 übrig. Jean-Jaques Banza ist einer von ihnen. Er hat sich vom einfachen Kumpel zum Sicherheitsbeauftragten hochgearbeitet und muss unter anderem darauf achten, dass keiner in die Schächte des Bergwerks gelangt.

Mit seiner gelben Signalweste und dem einzigen Schutzhelm weit und breit, wirkt Banza wie aus einer anderen Welt. Männer seilen sich in selbst gegrabene, tiefe Schächte ab, Frauen transportieren die Steine eimerweise auf dem Kopf. Jugendliche schieben Fahrräder mit schweren Säcken auf dem Gepäckträger einen steilen Hang hinunter. Dort stehen andere bis zu den Oberschenkeln im Wasser, um das Kupfer mit Sieben auszuwaschen. Rohstoffförderung wie im Mittelalter. Überall leisten auch Kinder Schwerstarbeit. Es bleibt uns momentan nichts anderes übrig, als diese Zustände zu dulden, meint der Familienvater.

"Es tut mir im Herzen weh. Als Sicherheitsbeauftragter sollte ich diese Kinder eigentlich wegschicken. Denn es ist gefährlich für sie hier. Anderseits habe ich Verständnis für ihre Situation. Sie kommen ja nicht her, weil sie das wollen, sondern weil sie müssen.

Die Freunde von einem Jungen, wie dem da drüben, sitzen in diesem Moment in der Schule. Er aber muss hier schuften, weil es zuhause nicht genug zu essen gibt und sich sein Vater das Schulgeld nicht leisten kann. Früher war das undenkbar. Wenn hier Unfälle passieren und sich eines dieser Kinder auch nur den Finger bricht, dann ist das sehr schlimm für mich."

Ein gebrochener Finger ist das kleinste Übel. Immer wieder kollabieren die selbst gegrabenen, ungesicherten Schächte. Unfälle mit Todesfolge sind häufig. Dazu kommen eine Reihe akuter und chronischer Erkrankungen der Atemwege, der Leber, der Haut. Schauen sie sich mal meine Hände an, meint Donji Thijika. Die ansonsten dunkle Haut des Jungen ist fast weiß, schuppig, entzündet. Mindestens fünf Stunden am Tag steht er bis zur Hüfte in einem gelblich schimmernden See, wäscht die kupferhaltigen Steine. 17 Jahre sei er alt, erzählt er. Dabei wirkt seine schmächtige Figur gerade einmal wie 14.

"Ich arbeite seit einem Jahr hier. Meine Eltern konnten sich die Schule nicht mehr leisten. Jetzt versuche ich genug zu sparen, um doch noch meinen Abschluss zu machen. Die mineralhaltigen Steine, die nach dem Waschen übrig bleiben, werden in Säcken gesammelt. Die verkaufen wir dann an einen Händler in der Stadt. Die Arbeit ist hart, aber es ist die einzige Möglichkeit in dieser Gegend etwas Geld zu verdienen."

Die Menschen bleiben in der Armut gefangen. Denn den Löwenanteil verdienen nicht die Arbeiter, sondern die Händler, kritisiert Alphonse Banza. Er arbeitet für die Nichtregierungsorganisation "Groupe One", die sich gegen die ausufernde Kinderarbeit in diesen so genannten "artisanalen", also komplett unkontrollierten Bergwerken engagiert.

"Die Händler profitieren davon, dass diese Arbeiter nicht organisiert und vollkommen mittellos sind. Sie haben keine Chance zu verhandeln. Denn der Zwischenhändler hat das Geld. Er kennt die Marktpreise und setzt einfach fest, wie viel er bezahlt. Er hat die Kontakte, um die Rohstoffe gewinnbringend weiter zu verkaufen und zwar ausdrücklich auch an ausländische Unternehmen. Sie und der Händler streichen auf Kosten der Arbeiter satte Gewinne ein."

Internationale Bergbaukonzerne, die angesichts des Rohstoffreichtums in der Demokratischen Republik Kongo Schlange stehen, profitieren also indirekt auch von der Kinderarbeit. Eigentlich ist die im Land verboten, doch das Gesetz wird ganz offensichtlich nicht angewandt, betont Maxime Germain vom internationalen Kinderhilfswerk UNICEF.

"Eigentlich sollte jeder, der im Bergbau arbeitet eine Genehmigung haben. Aber die kostet natürlich Geld und die Menschen sind zu arm dafür. Dazu kommt, dass keiner die Verantwortung für diese Bergwerke trägt. Sie gehören keinem Unternehmen und werden von niemandem kontrolliert. Man kann also einfach herkommen und arbeiten.

Die Polizei ist mit der Situation überfordert, oder will vielleicht auch gar nicht eingreifen. Denn sie weiß, dass sich diese Leute verzweifelt ums Überleben kämpfen. Das zeigt, dass Gesetze nicht losgelöst von der Lebenswirklichkeit der Menschen existieren können."

Die Kinderarbeit in den Minen ist eine der drastischsten Konsequenzen der bitteren Armut in Kipushi. Durch die fast einhundertjährige Abhängigkeit vom Bergbau haben die Familien weder Ideen noch Möglichkeiten ihr Geld woanders zu verdienen, erklärt Maxime Germain.

"Früher haben die Leute hier in Dörfern gelebt und Landwirtschaft betrieben. Doch als die Kupfervorkommen entdeckt wurden und der Bergbau begann, wandten sie sich von ihrem ursprünglichen Leben ab. Sie legten ihr Schicksal komplett in die Hände des Konzerns. Bis zum Bankrott funktionierte das auch. Doch danach brach hier alles zusammen. Trotzdem träumen viele auch weiterhin vom schnellen Geld im Bergbau, zum Beispiel der Chance einen Diamanten zu finden. Das interessiert sie mehr, als Felder zu bearbeiten und Erdnüsse anzubauen, die sie verkaufen und essen könnten."

Heute wächst so gut wie nichts auf den umzäunten Grundstücken rund um die kleinen Wohnhäuser. Viele Bäume wurden für Brennholz gefällt, Gemüsegärten mit ein paar Mais, Kassava- und Erdnusspflanzen sind die Ausnahme. Landwirtschaft ist viel zu mühsam, meint auch Josephine Kabati. Mit einem Handbesen fegt die 29-Jährige den kargen Hof vor ihrem kleinen Haus. Roter Staub wirbelt auf. Nicht weit von hier ragen die rostenden Fördertürme der Kupfermine in den blauen Himmel. Die goldenen Zeiten hat die fünffache Mutter nicht erlebt.

Josephine Kabati ist eine der wenigen, die den Absprung geschafft hat. Stolz zeigt sie auf eine antik anmutende Nähmaschine in der Ecke des kleinen Wohnzimmers. Ein Poster an der Wand zeigt die letzten Modetrends für die kongolesische Frau: Lange Kleider mit Puffärmeln aus knallbunten, großgemusterten Stoffen. Wenn in der Nachbarschaft Hochzeiten, Beerdigungen oder andere Feste anstehen, näht Josephine die neuen Kleider.

"Als ich noch in der Kupfermine gearbeitet habe, kam ein Sozialarbeiter auf mich zu, erklärte mir, dass es Alternativen gäbe. Ich bekam ein kleines Startkapital und diese Nähmaschine. Früher hat das Geld gerade einmal gereicht, um die Familie zu ernähren.
Doch seit ich nähe, kann ich es mir wieder leisten, meine Kinder zur Schule zu schicken und ihnen Medikamente kaufen, wenn sie krank sind. Ohne die Hilfe hätte ich es nie so weit gebracht."

Der Sozialarbeiter, der die junge Mutter damals ansprach, war Alphonse Banza von "Groupe One". Die Nichtregierungsorganisation hilft Familien dabei sich aus der Abhängigkeit vom Bergbau zu befreien, kleine eigene Existenzen zu gründen und einen nachhaltigen Weg aus der Armut einzuschlagen.

"Wir bringen die Leute davon ab, in den Minen zu arbeiten, weil die Familien dort Gefahr laufen sich zu verletzen, krank zu werden oder sogar zu sterben. Zuerst einmal geht es darum, dass die Kinder wieder zur Schule gehen. Aber damit das so bleibt, braucht die Familie eine solide Existenzgrundlage. Wir setzen uns also mit ihr zusammen und überlegen, was für sie in Frage käme.

Wir helfen den Menschen dabei, die nötigen Fertigkeiten zu erlernen und stellen ihnen das Nötigste für den Start in die Selbstständigkeit zur Verfügung. Den Grundstock für eine Schneiderei, eine Tischler- oder Metallwerkstatt, eine Bäckerei oder einen kleiner Laden. Es gibt viele mögliche Berufe."

Josephine Kabati träumt jetzt von einer richtigen Schneiderei, mit mehr als einer Nähmaschine und Angestellten. Eine Zukunftsperspektive, die die wenigsten ihrer Nachbarn teilen. Die meisten setzen ihre Hoffnungen noch immer in den Bergbau. Vor allem seit bekannt wurde, dass ein kanadisches Unternehmen den Löwenanteil der Kupfermine in Kipushi gekauft hat.

Wo heute noch die ärmsten Familien nach Kupfer graben, soll Ende des Jahres wieder mit der professionellen Förderung in großem Stil begonnen werden. Noch ist das kaum vorstellbar. Doch unter der apokalyptischen Mondlandschaft, in den Schächten, laufen bereits die Vorbereitungen. Unter anderem wird das Wasser aus den Stollen gepumpt, erklärt der Sicherheitsbeauftragte Jean-Jaques Banza.

"Wir wissen, dass sich das Leben hier wieder verbessern wird, wenn die Arbeit mit dem neuen Partner erstmal aufgenommen wird. Die Kinder müssen dann nicht mehr hier arbeiten, weil ihre Väter wieder einen Job haben. Rund um das Werk werden sich kleine Geschäfte ansiedeln.

Ganz so wie früher wird es aber wahrscheinlich nicht mehr werden. Damals hatte der Staatsbetrieb eine soziale Verantwortung, heute jedoch ist er auf seinen Partner angewiesen. Das soziale Engagement wird wohl in keinem Vergleich zu früher stehen."
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