Abgründe der Moderne
Eliots „The Waste Land“ ist ein moderner Klassiker schlechthin. Der Band bedeutete für viele deutsche Literaturinteressierte in der unmittelbaren Zeit nach 1945 den direkten Anschluss an die internationale Moderne. Gerade der Titel – in der frühen deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1927 von niemand Geringerem als Ernst Robert Curtius hieß er „Das wüste Land“ – war für die Deutschen damals äußerst suggestiv und identifikationsfördernd.
Es war natürlich ein großes Missverständnis, ihn zeitaktuell auf die deutsche Situation zu beziehen. Es fällt jedoch auf, wie viele deutsche Lyriker der Nachkriegszeit sich auf Eliot berufen, von Jürgen Becker bis Durs Grünbein – ein Langgedicht, ein Poem, das die Situation des Einzelnen in der Moderne auf geradezu zeitlose Weise darstellt.
Zuerst erschienen ist es 1922 in einer kleinen Literaturzeitschrift in einer Form, die Eliots Dichterfreund Ezra Pound zu verdanken ist: Er hatte Eliots Skript um zwei Drittel gekürzt und ihm dadurch zu seiner ungeheuren Wucht verholfen.
Eliot, der Amerikaner, der in Oxford studiert hatte und zu einem Engländer geworden war, der englischer als alle Engländer wirkte, verknüpfte in seinem Gedicht Subjektives und Objektives auf bis dahin ungekannte Weise: Da war zum einen das krisengeschüttelte Europa nach dem Ersten Weltkrieg, es war das Lebensgefühl, das sich auch in Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ ausdrückte, und da war auf der anderen Seite Eliot, der in einer tiefen Lebenskrise steckte, einer existenziellen Sinnleere. Es geht um die Erfahrung, dass den modernen Menschen keine Metaphysik mehr trägt. Eliots Zeilen wurden als Chaos wahrgenommen, als ein Blick in den Abgrund, als Botschaft vom Verschwinden des einzelnen und seinem anonymen Aufgehen in der Masse. Das wurde noch verschärft durch Visionen, die heute prophetisch anmuten und Nationalsozialismus wie Stalinismus vorausahnen:
„Wer sind diese vermummten Horden, die schwärmen
Über die endlose Steppe, in rissiger Erde steckenbleibend.“
Das Gedicht besteht aus fünf ungleichen Teilen, die fragmentarisch sind und auf ihre Weise der zusammenfallenden Nachkriegswelt entsprechen. Ein Mythos wie der blinde griechische Sänger Tiresias bleibt als übergeordnete Figur haften, aber neben ihm steht etwa auch der kurze Beischlaf einer Tippse mit einem kleinen Angestellten in einer absolut zeitgenössischen Tristesse.
Freie Rhythmen, Allusionen, Collage von Zitaten aus allen literaturgeschichtlichen Epochen: Eliot reagiert hier auf das, was ihn umgibt, mit einem der Gründungsmythen der Moderne. Die Neuübersetzung von Norbert Hummelt hat vor allem den Vorteil, dass sie wieder neu auf dieses Meisterwerk aufmerksam macht.
Natürlich versucht er, ihm eine zeitgenössische Sprache zu geben, Übersetzungen altern bekanntlich schneller als die Originale. Das ist manchmal ein bisschen gewollt, ansonsten passt er sich aber schmiegsam in den Duktus ein. Die Zweisprachigkeit dieses Buches unterstreicht dieses Bestreben: an dieses englische Original – dort wurde es jahrzehntelang so zitiert wie hierzulande Schillers „Glocke“ – kommt niemand heran.
Rezensiert von Helmut Böttiger
T.S. Eliot: The Waste Land / Das öde Land
Neu übersetzt von Norbert Hummelt
Englisch/deutsch
Suhrkamp Verlag 2008
68 Seiten, 16,80 Euo
Zuerst erschienen ist es 1922 in einer kleinen Literaturzeitschrift in einer Form, die Eliots Dichterfreund Ezra Pound zu verdanken ist: Er hatte Eliots Skript um zwei Drittel gekürzt und ihm dadurch zu seiner ungeheuren Wucht verholfen.
Eliot, der Amerikaner, der in Oxford studiert hatte und zu einem Engländer geworden war, der englischer als alle Engländer wirkte, verknüpfte in seinem Gedicht Subjektives und Objektives auf bis dahin ungekannte Weise: Da war zum einen das krisengeschüttelte Europa nach dem Ersten Weltkrieg, es war das Lebensgefühl, das sich auch in Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ ausdrückte, und da war auf der anderen Seite Eliot, der in einer tiefen Lebenskrise steckte, einer existenziellen Sinnleere. Es geht um die Erfahrung, dass den modernen Menschen keine Metaphysik mehr trägt. Eliots Zeilen wurden als Chaos wahrgenommen, als ein Blick in den Abgrund, als Botschaft vom Verschwinden des einzelnen und seinem anonymen Aufgehen in der Masse. Das wurde noch verschärft durch Visionen, die heute prophetisch anmuten und Nationalsozialismus wie Stalinismus vorausahnen:
„Wer sind diese vermummten Horden, die schwärmen
Über die endlose Steppe, in rissiger Erde steckenbleibend.“
Das Gedicht besteht aus fünf ungleichen Teilen, die fragmentarisch sind und auf ihre Weise der zusammenfallenden Nachkriegswelt entsprechen. Ein Mythos wie der blinde griechische Sänger Tiresias bleibt als übergeordnete Figur haften, aber neben ihm steht etwa auch der kurze Beischlaf einer Tippse mit einem kleinen Angestellten in einer absolut zeitgenössischen Tristesse.
Freie Rhythmen, Allusionen, Collage von Zitaten aus allen literaturgeschichtlichen Epochen: Eliot reagiert hier auf das, was ihn umgibt, mit einem der Gründungsmythen der Moderne. Die Neuübersetzung von Norbert Hummelt hat vor allem den Vorteil, dass sie wieder neu auf dieses Meisterwerk aufmerksam macht.
Natürlich versucht er, ihm eine zeitgenössische Sprache zu geben, Übersetzungen altern bekanntlich schneller als die Originale. Das ist manchmal ein bisschen gewollt, ansonsten passt er sich aber schmiegsam in den Duktus ein. Die Zweisprachigkeit dieses Buches unterstreicht dieses Bestreben: an dieses englische Original – dort wurde es jahrzehntelang so zitiert wie hierzulande Schillers „Glocke“ – kommt niemand heran.
Rezensiert von Helmut Böttiger
T.S. Eliot: The Waste Land / Das öde Land
Neu übersetzt von Norbert Hummelt
Englisch/deutsch
Suhrkamp Verlag 2008
68 Seiten, 16,80 Euo