Abgerutscht

    Von Christine Heuer |
    1978 machte in Herne die letzte Zeche dicht. Seitdem kämpft die Stadt mit dem Strukturwandel. Bislang ist es nicht gelungen, ausreichend viele zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen. In der Prognos-Studie landet Herne nur auf Platz 290 von 347.
    Herne, Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, 166.000 Einwohner, früher Bergbau-Revier, traditionell SPD-regiert.

    „In Herne überleben nur die Harten – ich war bis heute hart genug. Hier gibt es Hände groß wie Spaten, und hier spielt eigentlich das Dschungelbuch. Ich sage: – hey, hey – das Leben in Herne, – hey, hey – das Leben ist schön.“

    Leben in Herne war schon mal schöner. Als der Bergbau die Leute ernährte, hatte das Ruhrgebiet es gut. Doch 1978 machte in Herne die letzte Zeche dicht. Bis heute hat sich die Stadt davon nicht erholt. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren über 15 Prozent. Was das heißt, sieht man besonders dem Herner Stadtteil Wanne-Eickel an. In der Fußgängerzone dominieren Trinkhallen, Spieltreffs und Schnäppchenmärkte. Am Glück-auf-Platz beantworten Realisten zwischen Trotz und Resignation die Frage, ob Hernes Aussichten wirklich so schlecht sind, wie es heißt:

    „Ach Quatsch, das ist sowieso alles Mist. Ist überall gleich. Das sieht doch überall so aus, oder nicht? Und dass keine Arbeit ist, das ist überall so.“
    „Es müsste eigentlich wieder aufwärts gehen. Ja, jetzt in Herne/Wanne-Eickel eigentlich nicht, weil: Wer kommt schon hierhin? Hier ist ja nichts mehr.“
    „Ja, ich finde es einfach hier grausam. Die ganzen Jugendlichen hier, die kommen nur zu Drogen und versuchen zu klauen.“
    „Also, ich finde die Aussichten hier mies.“

    Im historischen Rathaus der Stadt am Friedrich-Ebert-Platz wird seit vielen Jahren am Strukturwandel Hernes gearbeitet. Innovative Unternehmen siedeln sich aber nicht im relativ kleinen Herne an, sondern in den großen Ruhrgebietsstädten und dort, wo es Universitäten gibt. Nach Herne kommen Logistiker, immerhin. Am Treffpunkt von zwei Autobahnen in einer dicht besiedelten Region können Transporteure auf gute Geschäfte hoffen. Die 38.000 Arbeitsplätze, die mit dem Bergbau verschwunden sind, können damit aber nicht wett gemacht werden. Herne – bestätigen Jutta Daniel und Bodo Steiner, Stadtsprecherin die eine, Stadtplaner der andere – leidet unter Abwanderung:

    „Der Hauptgrund für Leute, Herne zu verlassen, ist der, dass sie woanders einen Arbeitsplatz haben.“
    „Das sind die jungen, mobilen gut ausgebildeten Leute. Das ist klar.“

    Der Schlüssel zum Erfolg oder wenigstens zur Besserung, sagt Bodo Steiner, sei regionale Zusammenarbeit. Im Ruhrgebiet mit seinen fließenden Stadtgrenzen ist es nicht unüblich, am einen Ort zu arbeiten und an einem anderen zu leben. Herne empfiehlt sich als Freizeit- und Wohngegend. In den letzten Jahren ist am Rande alter Zechengelände ein Landschaftspark mit Radweg bis Bochum entstanden. Es gibt neue Einfamilien-Haus-Siedlungen und alte Stadtteile, die instand gesetzt wurden. Röhlinghausen zum Beispiel. Dort hat Klaus Blankenberg von der Fahrbereitschaft der Stadtverwaltung seine Kindheit verbracht. Dort wohnt er heute noch.

    „Früher, als die Zeche hier noch war, da bin ich als Kind immer hierher und hab’ meinen Opa abgeholt. Wenn ich aus der Schule kam und es lag mal Schnee war, da konnte man richtig die schwarzen Flocken auf dem weißen Schnee sehen. Früher war es ’ne Dreckecke – und jetzt, muss man sagen, ist viel gemacht worden.“

    Es gibt in Herne aber auch fast geschlossene Hartz-IV-Gegenden mit besonders vielen Migranten. Es gibt viel Ärger. Und es gibt Geldsorgen. Die Strukturfördermittel reichen nicht aus, um Herne zu stabilisieren oder gar weiter zu entwickeln. Den Stadtplaner Bodo Steiner ergreift manchmal Wehmut, wenn er an die Möglichkeiten anderer Städte denkt, und Jutta Daniel mitunter richtige Wut:

    „Wenn ich dann erlebe auch im ‚neuen Osten’, wie dort der Wiederaufbau Gott sei Dank ja fortgeschritten ist, aber dann inzwischen sehe, wie in diesem Verhältnis viele Kommunen in Westdeutschland – und dazu gehört auch Herne – sich da abmühen und abstrampeln, dann werde ich gelegentlich schon mal zornig und erlebe mich auch so, wie ich die eigene Stadt so richtig verteidige.“

    „In Herne lebt man eben gerne. In Herne geht’s mir gut.“