Abgeordnetenbestechung: Mehrtägige Reisen mit Lobbyisten schon "Grauzone"

Christine Lambrecht im Gespräch mit Marietta Schwarz · 02.03.2012
Seit 2003 gilt die UN-Vereinbarung zur Korruptionsbekämpfung, aber in Deutschland gibt es noch kein entsprechendes Gesetz. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, hält es für dringend geboten, diesen "peinlichen Zustand" aufzulösen.
Marietta Schwarz: Wenn es um die Bekämpfung von Korruption in den eigenen Reihen geht, sind Deutschlands Politiker äußerst zurückhaltend. Mit einem Gesetzentwurf macht die SPD jetzt wieder mal einen Vorstoß - ob der jedoch Chancen hat, von einer Mehrheit des Bundestags tatsächlich beschlossen zu werden, das ist ungewiss. Dabei hatte sich die Bundesrepublik bereits im Jahr 2003 gegenüber den Vereinten Nationen verpflichtet, die Anti-Korruptions-Regeln für Abgeordnete zu verschärfen.

Heute wird im Bundestag der Gesetzentwurf der SPD zum Thema Abgeordnetenbestechung diskutiert - und am Telefon ist Christine Lambrecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, guten Morgen!

Christine Lambrecht: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Frau Lambrecht, vorab vielleicht mal die Frage: Würden Sie Edda Müller zustimmen in dem, was sie sagt, dass es da einen Sittenverfall gibt in der Politik?

Lambrecht: Nein, ich glaube, dass wirklich 99 Prozent aller Kolleginnen und Kollegen über alle Fraktionen hinweg durchaus ihren Job absolut korrekt betreiben, und es gehört dazu als Politiker, sich zu informieren und auch mit Lobbyisten zu sprechen. Die Frage stellt sich ja immer, wer gehört denn dazu - ich spreche auch mit Transparency, die ja auch ein Lobbyverband sind, ich spreche mit Gewerkschaften, ich spreche mit Wirtschaftsvertretern -, all das dient der Hintergrundinformation, deswegen würde ich diese Treffen auch nicht per se in den Geruch von Korruption bringen wollen.

Schwarz: Frau Lambrecht, warum hat die Bundesrepublik die UN-Konventionen von 2003 unterschrieben, aber in neun Jahren nicht in deutsches Recht umgesetzt?

Lambrecht: Ja, dieser peinliche Vorgang, der lässt sich mit verschiedenen Aspekten begründen: Wir haben 2003 diese Konvention gehabt, damals noch unter rot-grün. Wir haben uns auch an die Arbeit gemacht, sind aber nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen, weil uns die Zeit ein bisschen weggelaufen ist. Es gab 2005 vorgezogene Neuwahlen, und damit war das Projekt dann erst mal auf Eis gelegt.

In der Großen Koalition gab es einen erneuten Vorstoß der SPD, allerdings hat da der Koalitionspartner CDU/CSU nicht mitgemacht, und aufgrund der Koalitionsvereinbarung konnten Gesetze eben nur gemeinsam eingebracht werden. Wir haben uns jetzt zu Oppositionszeiten - das ist richtig - noch mal dran gemacht, einen entsprechenden Vorstoß auf den Weg zu bringen, weil wir glauben, dass unser Vorschlag jetzt auch entsprechend präzise genug ist, auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition mitzunehmen, und ich bin da gar nicht so pessimistisch, auch, was die Durchsetzung anbelangt, wenn ich mir so Äußerungen des Bundestagspräsidenten Lammert anhöre, der ja eigentlich genau in diese Richtung Forderungen erhebt, von daher bin ich sehr gespannt auf die Debatte.

Schwarz: Sie wollen die Vorteilsnahme von Volksvertretern mit Gefängnis bestrafen, nehmen aber Zuwendungen, die den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechen, bewusst aus, da ist - Zitat - "von den üblichen Verhaltensweisen im parlamentarischen Verkehr" die Rede, die aus der Strafbarkeit auszuklammern sind. Was sind denn übliche Verhaltensweisen?

Lambrecht: Das ist genau das, was der Kollege Kelber im Beitrag schon beschrieben hat: Wenn ich abends zu einem Parlamentarischen Abend eingeladen werde, bei dem ich mich informiere, bei dem ich Hintergrundwissen bekomme, und dabei gibt es dann Essen und Trinken. Sicherlich ist das ein Vorteil, wenn ich dort essen und trinken kann, aber ich glaube, es wird niemand annehmen, dass sich ein Abgeordneter wegen einem Abendessen dann tatsächlich beeinflussen lässt.

Ich glaube, das ist dann lebensfremd, das ist normale Gepflogenheit, zu einer Einladung zu gehen, die ein gewisses Maß natürlich auch nicht überschreiten darf. Ich glaube, ein normales Essen, da wird auch niemand Anstoß daran nehmen. Problematischer wird das schon bei Einladungen auf Reisen beispielsweise, mehrtägige Reisen, das ist dann schon so eine Grauzone, die sicherlich nicht im Einzelfall zu einer parlamentarischen Gepflogenheit führt, aber wir wollen dieses ganz normale Arbeiten, das eben mit einer Tasse Kaffee, mit einem Essen und so weiter verbunden ist, nicht in irgendeiner Weise in den Geruch von Vorteilsnahme bringen.

Schwarz: Das Problem sind natürlich die Grenzen und die Frage, wo sind die, und das kritisiert ja auch die Union. Sie sagen, was erlaubt ist, aber nicht, was strafbar ist. Warum legen Sie keine Grenzen fest?

Lambrecht: Wir legen eine ganz große Grenze fest, indem wir sagen, dieser Vorteil, den ich erhalte, der muss verbunden sein mit einem Auftrag oder einer Weisung. Also ich bekomme gerade von jemandem, von dem ich den Vorteil bekomme, eben beispielsweise die Einladung zu einer Reise, auch einen konkreten Auftrag oder eine Weisung erteilt, mich entsprechend zu verhalten, und genau dazu ...

Schwarz: ... der ja nicht schriftlich irgendwie festgehalten ist.

Lambrecht: Nein, das muss auch nicht ...

Schwarz: ... ist nicht nachweisbar.

Lambrecht: Ja, das ist wie im normalen Strafrecht auch, das ist eine Frage dann hinterher der Beweisführung. Ich muss auch Steuerhinterziehung beispielsweise als Staatsanwaltschaft ganz konkret nachweisen, ich muss Vereinbarung zu einem Verbrechen ganz konkret nachweisen, also das ist nichts Unübliches im deutschen Strafrecht - aber das ist genau der vorwerfbare Punkt, der dem freien Mandat widerspricht.

Ich bin als Abgeordneter meinem Gewissen unterworfen, nur das darf mich leiten, weder Vereinbarungen gegenüber der Partei noch sonstige Vereinbarung, nur dieses freie Mandat ist entscheidend. Und Aufträge und Weisungen, die ich bekomme, gerade die widersprechen diesem freien Mandat, und die sollen, eben wenn sie kombiniert mit dem Vorteil dann erfolgen, dann zur Strafbarkeit führen.

Schwarz: Aber wie wird denn dieses Gesetz die Praxis der Abgeordneten verändern?

Lambrecht: Na, ich denke, es wird ganz genau hingeschaut, welche Einladung ich annehme - wie gesagt, ich habe da überhaupt kein Problem, wenn ich zu einem Parlamentarischen Abend des Anwaltsvereins gehe, da mache ich mir gar keine Gedanken, aber ich glaube, es wird dann schon dazu führen, dass Kollegen, die wie gesagt auf mehrtägige Reisen beispielsweise eingeladen werden von Verbänden, sich das gut überlegen, ob sie das machen, oder ich glaube sogar, dass es umgekehrt dazu führen wird, dass Verbände sich gut überlegen, was sie denn überhaupt anbieten. Und dann wäre ja schon viel damit gewonnen, wenn es auf ein Mindestmaß dessen, was eben auch im parlamentarischen Leben notwendig sei, notwendig ist, zurückgeführt werden würde.

Schwarz: Jetzt ist Korruption natürlich immer auch so ein Aufregerthema, aber vielleicht muss man auch mal fragen, kommt so etwas bei Abgeordneten überhaupt vor oder reden wir da eigentlich immer über die Mandatsträger?

Lambrecht: Ich will Abgeordnete da ausdrücklich aber nicht ausnehmen, denn sie sind ja auch Mandatsträger, aber natürlich sprechen wir jetzt nicht über aktuelle Fälle, sondern es geht ja auch darum, aufzuzeigen, dass man im eigenen Bereich, auch für sich selbst, Regeln aufstellt, die auch gefordert werden. Wir können nicht einfach sagen, da gibt es eine UN-Konvention, die fordert genau eine solche Strafbarkeit, aber wir machen sie nicht für uns, weil wir negative Folgen fürchten. Also das wäre ja wohl völlig absurd, und deswegen halte ich dringend geboten, dass wir diesen peinlichen Zustand auch auflösen.

Schwarz: Christine Lambrecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Lambrecht!

Lambrecht: Ich danke Ihnen, Frau Schwarz!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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